Ägyptologie
Gegenstand der Ägyptologie ist die altägyptische Kultur von der Vorgeschichte (ab ca. 3200 v. Chr.) bis zu ihrem Ende in den ersten Jahrhunderten n. Chr., d.h. in einem Zeitraum von fast 4000 Jahren. Diese Kultur soll in allen ihren Teilgebieten sowie in deren Aspekten und Erscheinungsformen erfasst werden, um diese zu einem ganzheitlichen Bild zu vereinigen. Die wichtigsten Teilgebiete der Ägyptologie sind: Archäologie, Geschichte, Kunst, Sprache, Schrift, Literatur, Religion, Baugeschichte und Feldarchäologie. Grundlagen hierzu bieten die materiellen Hinterlassenschaften sowie Texte und Bildquellen, die in besonderer Qualität und Quantität erhalten sind.
Altägypten wird dabei im Rahmen der umgebenden Kulturen und Reiche gesehen, mit denen die pharaonische Gesellschaft im Austausch stand. „Ägyptisch“ zu interpretierende Denkmäler stammen daher sowohl aus dem Niltal vom Mittelmeer bis Khartum im heutigen Sudan als auch von der Libyschen Wüste im Westen bis nach Vorderasien im Osten sowie aus dem gesamten Mittelmeerraum.
Methoden und Erkenntnisse zahlreicher anderer Wissenschaftszweige (z.B. Sprachwissenschaft, Kunst- und Literaturgeschichte, Religionsgeschichte, Ethnologie, Politikwissenschaften, Anthropologie, Biologie, Pharmazie etc.) sind somit für die Erforschung des alten Ägyptens in vielen Bereichen förderlich. In der Forschung wird erwartet – und die Studierenden werden herangeführt -, dass inter- bzw. transdisziplinäres Arbeiten selbstverständlich ist. Ägypten mit seinen vielfältigen und gut erhaltenen Quellen und Befunden kann andererseits oft in exemplarischer Weise Fragen an frühe Hochkulturen und die Entwicklung der Menschheitsgeschichte beantworten helfen.
Wir Ägyptologie-Studierenden möchten euch gerne einen Überblick über die Themen unseres Studiums geben. Daher haben wir eine Orientierungshilfe erarbeitet, die in die Welt des alten Ägyptens einführt. Die Konzeption ist im Rahmen einer Lehrveranstaltung entstanden und die Texte von Studierenden unterschiedlicher Jahrgänge verfasst.
Bereits vor der Staatsgründung zeugen große Gräber aus Lehmziegeln, in denen die ersten Nachweise der Hieroglyphenschrift gefunden wurden, vom kulturellen Schaffen der Bewohner des Landes am Nil. Ab der Zeit der Pyramiden (Altes Reich, ca. 2600-2200 v. Chr.) sind reich dekorierte Gräber und exquisite Statuen erhalten, die den hohen Lebensstandard der Elite demonstrieren. Im Mittleren Reich (ca. 2137–1781 v. Chr.) erlebt das literarische Schaffen eine erste Hochblüte, viele Weisheitstexte und Erzählungen sind uns auf Papyri überliefert. Aufgrund des sehr trockenen Klimas in Theben in Oberägypten, dem Zentrum des Neuen Reiches (ca. 1550–1070 v. Chr.), sind uns reiche Funde, auch aus organischem Material, erhalten. Der Großteil dieser Objekte stammt aus Gräbern und ist mit dem Totenglauben und den Jenseitsvorstellungen verbunden. Nach dem Neuen Reich und in der Spätzeit (ca. 664–332 v. Chr.) herrschen Pharaonen fremder Herkunft – aus Libyen, Nubien und Persien –, so dass verstärkt der Einfluss der umgebenden Mittelmeerwelt sichtbar wird. Mit Alexander dem Großen geht 332 v. Chr. die Macht an die hellenistischen Ptolemäerkönige über, bevor das Pharaonenreich 30 v. Chr. mit dem Tod Kleopatras römische Provinz wird. Als Kornkammer Roms sowie als imaginärer Ursprung der Weisheit spielt Ägypten bis in die Spätantike eine bedeutende Rolle.
Im Laufe ihrer fast 4000 Jahre langen Geschichte hat die ägyptische Sprache mehrere Stufen ausgebildet: Alt- und Mittelägyptisch, Neuägyptisch, Demotisch und Koptisch. Für die drei frühesten ägyptischen Sprachstufen sind zwei verschiedene Schriftarten belegt: Die Hieroglyphen, die in erster Linie für monumentale Inschriften z.B. an Tempelwänden verwendet werden, und die hieratische Schrift, bei der es sich um eine kursive Form der Hieroglyphen handelt. Im Gegensatz zu den Hieroglyphen wird die hieratische Schrift meist mit Tinte auf Papyrus, Leder, Holz oder Tonscherben geschrieben. Die demotische Sprachstufe, die sich aus dem Neuägyptischen entwickelt hat, bedient sich dagegen einer neuen Schriftform, die auch als „demotisch“ bezeichnet wird. Mit der Einführung der griechischen Sprache als Amtssprache durch Alexander den Großen um 332 v.Chr. entwickelt sich mit dem Koptischen eine weitere Sprachstufe des Ägyptischen. Diese zeichnet sich besonders durch ihr alphabethisches Schriftsystem aus, das aus griechischen und einigen teils demotischen Zusatzbuchstaben besteht. Entstanden ist dieses Schriftsystem aus dem Versuch, die ägyptische Sprache mit Hilfe der griechischen Schrift wiederzugeben.
Die Religion berührt beinahe alle Lebensbereiche der ägyptischen Gesellschaft. Ähnlich wie auch viele andere Kulturen nutzen die Ägypter ihre Götter als Erklärung für verschiedene Naturphänomene und versuchen diese auf unterschiedliche Art zu beeinflussen. In den Tempeln finden, unter Ausschluss der Öffentlichkeit, tägliche Rituale für die großen ägyptischen Götter statt. Die einfachen Menschen, die nicht bis ins Innere des Tempels dürfen, können im Rahmen regelmäßiger Feste am Götterkult teilhaben. Eine besonders große Rolle spielt außerdem der Totenkult, der eng mit dem Götterkult verbunden ist. Eine wichtige Komponente des Totenkults ist die Mumifizierung. Dafür wird eine Mischung aus technischen Methoden, die den Leichnam konservieren, und religiösen Ritualen und Anrufungen verwendet. Diese sollen gemeinsam das Weiterleben des Toten im Jenseits sichern. Auch in anderen Bereichen der ägyptischen Kultur sind Religion und Wissenschaft eng verbunden. Deutlich wird dieser Zusammenhang auch in ägyptischen medizinischen Texten. Darin werden zur Bekämpfung verschiedener Krankheiten, neben anderen Mitteln, bestimmte Götter angerufen. Diese sollen das vorliegende Leiden zu lindern oder präventiv gegen mögliche Schädigungen durch Krankheitsdämonen vorgehen.
Die altägyptische Gesellschaft zählt zu den organisiertesten und beständigsten in der Geschichte der Menschheit.
Das Alte Ägypten war vor allem geprägt durch den Nil. Die "Lebensader" des Landes erlaubte es den Menschen, im fruchtbaren Niltal zu siedeln und im Laufe der Jahrtausende eine Hochkultur zu errichten und zu erhalten. Der Fluss diente nicht nur der Fischerei und als Verkehrsweg. Die jährliche Nilflut überschwemmte das Tal und ließ regelmäßig neue fruchtbare Erde zurück, die es den Ägyptern ermöglichte, auch ohne Dünger ertragreiche Land- und Viehwirtschaft zu betreiben. Kemet, das Schwarze Land, nannten die Ägypter ihr Tal nach diesem fruchtbaren dunklen Nilschlamm. Das Gegenstück war Ta Descheret, das Rote Land, wie die Wüste genannt wurde. Obgleich ihres eher lebensfeindlichen Charakters war auch die Wüste nicht unbedeutend. Neben einzelnen Oasen wie das Fayyum-Becken oder Siwa ist die Wüste vor allem durch ihre natürlichen Bestände von wirtschaftlicher Bedeutung. Reichhaltige Stein- und Erzvorkommen, darunter Flint für Werkzeuge oder auch Gold aus Nubien, sowie der Abbau von Natron in der Sketischen Wüste lieferten Ressourcen, die aus heutiger Sicht für die ägyptische Kultur charakteristisch erscheinen.
Die Außenbeziehungen Ägyptens zeichneten sich zunächst vor allem durch Handel aus. Archäologische Artefakte aus angrenzenden Kulturräumen zeugen spätestens seit der frühdynastischen Zeit von gegenseitigem Austausch, der nicht nur auf Güter beschränkt ist, sondern im Laufe der Jahrtausende auch handwerkliche Dienstleistungen oder Konzepte, Ideen und Techniken umfassen konnte. Bekannt sind zudem die inschriftlich belegten Expeditionen nach Punt, dem Goldland, dessen genaue Lokalisierung bisher nicht bekannt ist. Die weitreichenden diplomatischen Beziehungen Ägyptens umfassen neben dem südlich gelegenen Nubien, die Mittelmeerinseln und v. a. den Vorderen Orient.
Fremdherrschaften lassen sich auf militärische Eroberungen oder demographisch auf Zuwanderungen zurückführen, die zu Veränderungen in der Gesellschaftsstruktur geführt haben und sich ebenso archäologisch fassen lassen. Expansionen und kriegerische Auseinandersetzungen sind ebenfalls inschriftlich und bildlich belegt.
Grundstein für die moderne Ägyptologie legten die Expeditionen von Napoleon Bonaparte, bei denen der Stein von Rosette gefunden wurde. Mithilfe dessen gelang es Jean-François Champollion 1822, ein System zur Entzifferung von Hieroglyphen zu entwickeln. Während des 19. Jahrhunderts wuchs das Interesse an ägyptischen Denkmälern stark an. Europäische Eliten finanzierten zu dieser Zeit Grabungen in Ägypten oder reisten selbst in das Land der Pyramiden. Viele Funde wurden nicht wissenschaftlich dokumentiert und als Souvenirs mit nach Europa genommen. Systematische Grabungen wurden erst Ende des 19. Jahrhunderts durchgeführt.
In Deutschland gilt Karl Richard Lepsius als Begründer der Ägyptologie. Sein Schwerpunkt lag am Anfang vor allem auf der Sprachforschung. Durch die von ihm geleitete königlich-preußische Expedition wurde aber auch das Wissen um die Denkmäler und Geschichte immens vergrößert.
Durch die Erbauung des Assuan Staudamms ordnete die UNESCO 1960 eine Notgrabung im Niltal an. Bei diesen Grabungen kamen nicht nur unzählige Objekte zum Vorschein, sondern es wurden auch große Tempelanlagen in höhere Lagen umgesetzt.
Bis heute dauern Grabungen über ganz Ägypten an und liefern immer wieder neue Erkenntnisse über die einstige Hochkultur.
Das Bachelorstudium vermittelt das Wissen über das alte Ägypten sowohl auf philologischer als auch kulturwissenschaftlich-archäologischer Basis. Das komplexe Herangehen an die unterschiedlichen Phänomene der Kultur- und Geistesgeschichte legt die Grundlagen für Interdisziplinarität im Denken und Handeln der Studierenden. Um als Ägyptolog:in in der Wissenschaft zu arbeiten, ist nach dem BA-Abschluss ein MA-Studium sowie für die meisten fachspezifischen Tätigkeiten eine Promotion notwendig. Damit ist es dann möglich, an einer Universität, dem Deutschen Archäologischen Institut /Kairo, einem ägyptologischem Vorhaben an einer Akademie sowie in der Leitung eines ägyptischen Museums zu arbeiten. Eine Übersicht über diese Institutionen finden Sie hier.
Doch auch für Berufe außerhalb der Fachwissenschaft sind Sie qualifiziert. Die interkulturelle Kompetenz sowie die Qualifikation, selbstständig zu recherchieren, das gesammelte Material unter bestimmten Fragestellungen auszuwerten und die Ergebnisse schriftlich und mündlich klar darzustellen befähigt Sie für viele weitere Arbeitsfelder. Diese liegen in den Bereichen Kulturvermittlung, Journalismus und Medien, Kulturaustausch, Tourismus, Verlagswesen, Politik, um nur einige zu nennen. Dazu ist es hilfreich, bereits während dem Studium durch Praktika oder Fortbildungen Erfahrungen und Kontakte zu sammeln.