Grafschaft Wittgenstein
Reformierender Landesherr: Wilhelm I. von Wittgenstein-Hohenstein, reg. 1517–1570, Johann VII. von Wittgenstein-Berleburg, reg. 1517–1551, Ludwig d. Ältere von Wittgenstein, reg. 1557–1605
Reformator: Nikolaus Cell, Caspar Olevian
Beginn der Reformation: 1534
Kirchenordnung: 1555, 1563, 1565
Die aus den Ämtern Wittgenstein, Erndtebrück, Richstein und Berleburg bestehende Grafschaft Wittgenstein gehörte in vorreformatorischer Zeit kirchlich zu Mainz und gliederte sich in die vier Hauptpfarreien Laasphe, Raumland, Arfeld und Feudingen. Aus außenpolitischen Gründen hatten sich die Wittgensteiner 1494 in ein Lehnsverhältnis mit den hessischen Landgrafen begeben. 1517 wurde das Territorium mit Zustimmung Hessens unter zwei Linien aufgeteilt, die die beiden Brüder Wilhelm I. von Wittgenstein-Hohenstein (1497–1570) und Johann VII. von Wittgenstein-Berleburg (1488–1551) bildeten. Ein dritter Bruder, Georg, war Kölner Domherr und entschiedener Gegner der Reformationsbestrebungen des Kölner Erzbischofs Hermann von Wied.
Der Reformationsprozess bis 1545
Die Ideen Luthers beeinflussten die Grafschaft Wittgenstein erst recht spät. Zwar begleiteten die beiden jungen Landesherrn den Landgrafen Philipp von Hessen 1521 zum Reichstag nach Worms, wo sie Luther begegneten, doch blieb dieses Erlebnis anscheinend ohne erkennbaren Einfluss auf ihre Glaubenshaltung. Die offizielle Ablehnung der kirchlichen Jurisdiktion durch den Mainzer Erzbischof, die Philipp von Hessen 1528 für seine Länder vornahm, ging ebenfalls spurlos an den Wittgensteinern vorbei. Erst als der territoriale Nachbar Graf Wilhelm der Reiche von Nassau-Dillenburg dem Schmalkaldischen Bund beitrat und die Reformation einzuführen begann, scheinen sich die Wittgensteiner Grafen mit der lutherischen Bewegung befasst zu haben. Doch auch die Gemahlinnen Wilhelms und Johanns trugen zu diesem Gesinnungswandel bei. Wilhelm hatte 1522 Johannetta von Isenburg-Grenzau († 1565) geehelicht, Johann in zweiter Ehe 1534 die Protestantin Margarethe von Henneberg-Schleusingen († 1546). Gegenüber ihrem Einfluss – vor allem letzterer – verhallten die Warnungen des altgläubigen Bruders Georg aus Köln. Noch 1534 ließ Johann in der Berleburger Schlosskapelle den evangelischen Gottesdienst einrichten. Im Jahr darauf gewann die Gräfin auch den sich anfangs sperrenden Berleburger Pfarrer Hermann Schmalz für die neue Lehre. Beraten und unterstützt durch Philipp von Hessen begann Johann das Kirchenwesen neu zu organisieren.
Der Reformationsprozess bis 1565
Etablierung der neuen Lehre unter Wilhelm von Wittgenstein
Auf die Aufforderung Kaiser Karls V. nach Einführung der Formula reformationis 1548 hin gab sich Wilhelm von Wittgenstein-Hohenstein unwissend: Da er über keine Kenntnisse verfüge, Änderungen durchzuführen, die Gottes Wort oder den Regeln der alten Kirche zuwider liefen, wolle er das kaiserliche Konzil abwarten. Die kaiserliche Reform zeitigte also in Wittgenstein keine Wirkung.
Nach dem erbenlosen Tod des Bruders Johann 1551 wurden die Wittgensteiner Landesteile mit hessischer Zustimmung wieder unter Wilhelms Regierung vereint. Anschließend bat er den Marburger Superintendenten Adam Krafft, ihm zu einem fähigen Prediger zwecks Verkündigung der neuen Lehre in seiner Grafschaft zu verhelfen. Daraufhin entsandte Krafft seinen Schüler Nikolaus Cell ins Wittgensteiner Land, der 1552 Prediger in Laasphe wurde. In diese Zeit fallen auch erste Bemühungen um eine Kirchenordnung, die allerdings nicht in Kraft trat und deren vermutlich von Cell stammender Entwurf sich nicht erhalten hat.
Im Jahr des Augsburger Religionsfriedens 1555 erließ dann Wilhelm am 1. August eine erste Kirchenordnung für die vereinigte Grafschaft Wittgenstein. Auf einer Synode am 1. November wurde das Werk den versammelten Pfarrern und Lehrern vorgelegt. Nur drei Geistliche verweigerten die Unterschrift. In der Kirchenordnung war festgelegt worden, jährlich nach Ostern in Laasphe eine Synode unter der Leitung des vom Landesherrn eingesetzten Superintendenten abzuhalten. Bei dieser sollte auch der Lebenswandel und das geistliche Wirken der Pfarrer abgefragt werden. Um die Vorgaben der Kirchenordnung auch durchsetzen zu können, war die zweimal jährliche Durchführung einer Visitation durch den Superintendenten und einen gräflichen Beamten vorgesehen. Vor allem die Bilderverehrung und Werkfrömmigkeit in der Bevölkerung wollte man so abgestellt wissen. Zu jeder Visitation hatten alle Pfarrer eine Predigt vorzubereiten und die Predigten seit der letzten Synode vorzulegen. Auf eine Pfarrstelle konnten nur Pfarrer berufen werden, die sich durch Zeugnisse, Examen und Probepredigten qualifiziert hatten. Ferner traf die Kirchenordnung Maßnahmen zur Regelung des Armen- (Einführung des „Gemeinen Kastens“) und Schulwesens sowie der Versorgung der Geistlichen.Erneuerung der lutherischen Lehre unter Ludwig von Wittgenstein
1557 dankte der bereits betagte Wilhelm, der allerdings erst 1570 verstarb, ab. Ihm folgte sein Sohn Ludwig (1532–1605), der zunächst für den geistlichen Stand vorgesehen gewesen war und eine entsprechende altgläubige Ausbildung genossen hatte. Überraschenderweise bekannte sich Ludwig allerdings mit Herrschaftsantritt in aller Form zum Augsburger Bekenntnis. Dies mag mit seinen Reisen in Verbindung stehen, die ihn auch in die Schweiz führten, wo er führende Vertreter der reformierten Kirche kennenlernte, mit ihnen eine rege Korrespondenz führte und auch in religiösen und politischen Fragen bei diesen Rat einholte. Zu den Problemen, denen er sich zu stellen hatte, gehörte, dass die Bevölkerung die neue Lehre größtenteils nicht anzunehmen gewillt war. Deshalb erneuerte und verschärfte er 1563 die Kirchenordnung (repetitio reformationis ecclesiasticae). Die in dieser Neufassung erkennbar werdenden Maßnahmen zielten auf eine bessere Durchsetzung der evangelischen Lehre. So sollte die Synode, an der nun auch der Landesherr selbst bzw. ein Vertreter teilnahm, nicht mehr einmal, sondern zweimal im Jahr zusammentreten. Auch auf die Berufung der Pfarrer, deren Qualifikationsvoraussetzungen noch einmal erhöht wurden, wollte der Landesherr fortan persönlich Einfluss nehmen. An die Repetitio schloss sich auch eine Gottesdienstordnung an, die einen einheitlichen Gottesdienst gewährleisten sollte.
Bereits zwei Jahre später wurde die Kirchenordnung erneut revidiert und um reformierte Elemente erweitert.
Der Reformationsprozess bis 1590
Vermutlich durch die Kontakte zu schweizerischen Theologen wandte sich Ludwig immer mehr dem reformierten Bekenntnis zu. 1577 brachte er aus Heidelberg den Reformator Caspar Olevian mit sich in die Grafschaft Wittgenstein, wo 1578 auch äußerlich das reformierte Bekenntnis durch Abschaffung der Altäre und Bildnisse eingeführt wurde.
Literatur
Alois Schröer, Die Reformation in Westfalen. Der Glaubenskampf einer Landschaft, Bd. 1, Münster 1979, S. 208 – 225.
URL zur Zitation: www.uni-muenster.de/Staedtegeschichte/reformation-in-westfalen/Reformation_in_Westfalen/territorienderreformation/gftwittgenstein/index.html