Grafschaft Nassau Siegen Dillenburg
von Dennis Poschmann
Reformierender Landesherr: Wilhelm I., „der Reiche“
Reformatoren: Erasmus Sarcerius, Theologe, und Leonhard Wagner, Siegener Pfarrer
Beginn der Reformation: 1533/34
Kirchenordnung: etwa 1532 als erste Kirchenordnung anerkanntes „Bedenken“, 1533/34 Brandenburg-Nürnberger Kirchenordnung von 1533, wahrscheinlich nach dem 31. August 1537 erlassene Nassauische Kirchenordnung.
Der Reformationsprozess bis 1555
Zu Luthers Zeiten regierte in Nassau-Siegen-Dillenburg Graf Wilhelm I., genannt „der Reiche“ (1487–1559). Er herrschte von 1516 bis 1559. 1521 erlebte er auf dem Reichstag von Worms Martin Luther, 1527 kam Wilhelm durch den sächsischen Kurprinzen Johann Wilhelm mit reformatorischen Ideen in Berührung. Allerdings zögerte der Graf wegen seiner engen politischen Verbindung zum Kaiser, das neue Bekenntnis in seiner Grafschaft einzuführen. Denn Wilhelm der Reiche setzte unter anderem auf die kaiserliche Unterstützung hinsichtlich des Konflikts mit dem evangelischen Landgrafen Philipp von Hessen im sogenannten Katzenelnbogischen Erbfolgestreit, in dem erst 1557 eine Einigung erzielt wurde. Ebenfalls war Wilhelm durch die französischen und niederländischen Besitztümer seiner kaiserlich gesonnenen Verwandten an die Krone gebunden. So blieb es zunächst bei wenig spektakulären Maßnahmen, wie beispielsweise der Einstellung des protestantisch gesonnenen Heilmann Bruchhausen von Crombach als Hofkaplan im Jahr 1529. Dieser Vorgang weist allerdings auf die persönliche Hinwendung zum lutherischen Bekenntnis hin.
1531 ging Graf Wilhelm dann einen Schritt weiter in Richtung Reformation, indem er die evangelische Gräfin Juliane von Stolberg (1506–1580) heiratete, die fünf Kinder aus ihrer ersten Ehe mit dem Grafen von Hanau mitbrachte. Wilhelms erste Frau, Walburga Egmont von Büren, war 1529 verstorben.
1532 entstand das „Bedenken von heiligen Trachten, Wallfahrten, Kirchweihungen und anderen Zeremonien etc. vor alten Zeiten“, in dem in sieben Artikeln zur Abschaffung von Missständen aufgerufen wurde und das von der Forschung teilweise als „erste Kirchenordnung“ angesehen wird. Der Verfasser war genannter Hofkaplan Heilmann Bruchhausen von Crombach. Das Fundament der damaligen kirchlichen Ordnung wurde allerdings nicht angetastet.
Unter dem Einfluss der Wetterauer Grafenvereinigung, eines etwa zehnköpfigen Bündnisses evangelischer Fürsten, führte Wilhelm der Reiche 1533 in Nassau-Siegen-Dillenburg die jüngst verfasste Brandenburg-Nürnberger Kirchenordnung ein. Dies stellte eine Zwischenlösung dar, weil ein anberaumtes Konzil, das die Leitlinie der Reformation hätte bestimmen können, immer weiter hinausgeschoben wurde. Die Bevölkerung konnte sich mit dieser Ordnung nicht wirklich anfreunden, vor allem ihre Länge war ein Problem.
1534 löste Wilhelm zudem das Franziskanerkloster in Siegen auf, da die Mönche die neue Kirchenordnung nicht annehmen wollten. Bereits 1529 hatte der Graf gefordert, dass die niederländischen Patres aus dem Kloster in ihre Heimat zurückgesandt werden sollten, da das „Volk“ ihre Predigten kaum verstehe. Die Niederländer sollten durch Einheimische ersetzt werden. 1532 hatte Wilhelm ihnen die Predigt schließlich ganz verboten.
Ein Jahr nach der Auflösung (1535) fand der Graf Aufnahme in den Schmalkaldischen Bund, bei dem er sich bereits seit 1531 beworben hatte. Sein Konkurrent Philipp von Hessen konnte den Eintritt nicht verhindern. Im Schmalkaldischen Krieg 1547 griff Wilhelm allerdings militärisch nicht ein, sondern verhielt sich gegenüber dem Kaiser loyal.
Der Graf berief 1536 den Theologen Erasmus Sarcerius zunächst zum Rektor der Lateinschule in Siegen. Seit 1530 wurde daran gearbeitet, die Lehranstalt zu einem evangelischen Gymnasium auszubauen.
1537 erließ Wilhelm der Reiche die eigens für seine Grafschaft erarbeitete Nassauische Kirchenordnung. In der Forschung gab es eine Diskussion um deren Datierung, da eine Zeit lang auch 1536 als plausibel erschien, zudem wurde 1538 als Datum der Einführung vorgeschlagen. Die zweite Hälfte des Jahres 1537, nach dem 31. August, kommt nach aktuellem Forschungsstand aber am ehesten in Frage. Um die Autorschaft herrscht ebenfalls keine Einigkeit: Es gibt gute Gründe für Heilmann Bruchhausen und den Siegener Pfarrer Leonhard Wagner, wie etwa Sabine Arend annimmt. Aber auch Erasmus Sarcerius wird von einigen Forschern als Urheber angesehen.
Mit der Nassauischen Kirchenordnung bekamen die Ämter Siegen und Dillenburg je einen Superintendenten. In Dillenburg übernahm Sarcerius diese Position, in Siegen Leonhard Wagner. Eine kirchliche Trennung der beiden Orte findet sich bereits in vorreformatorischer Zeit; Siegen gehörte zum Erzbistum Mainz, Dillenburg zum Erzbistum Trier.
1539 wurde Sarcerius nach dem Tod Heilmann Bruchhausens zum Hofprediger ernannt, ab 1541 war er als Generalsuperintendent für die gesamte Grafschaft verantwortlich.
Starker Widerstand der Geistlichkeit regte sich, als ab 1548 das Augsburger Interim in der Grafschaft umgesetzt werden sollte. Die Pfarrer und Adligen erklärten sich bereit, es mit Abstrichen einzuführen. Als der Erzbischof von Mainz allerdings das Interim ohne Einschränkung etablieren wollte, legten fast alle Geistlichen Siegens ihre Ämter nieder. Sarcerius wurde entlassen, Wagner resignierte sein Amt. Beide reisten aus. Die Situation beruhigte sich wieder, als nach einem vagen Kompromiss 1549 die Siegener Pfarrer wieder berufen wurden, 1552 durch den politischen Umschwung im Reich die Rückkehr zur Nassauischen Kirchenordnung möglich war und 1555 mit dem Augsburger Religionsfrieden die gänzliche Aufhebung des Interims für Nassau-Siegen-Dillenburg folgte.
Anfang der 1550er-Jahre wurde eine Visitationsordnung erlassen, passend zur Nassauischen Kirchenordnung. Außerdem wurden nach 1552 wieder Superintendenten eingesetzt. Leonhard Wagner kehrte in sein Amt zurück, hinzu trat Johann Schnepf, Neffe des Reformators Erhard Schnepf (1495–1558), des ehemaligen Stuttgarter Hofpredigers und württembergischen Generalsuperintendenten, der damals als Superintendent in Jena wirkte. 1555 folgte wieder ein einzelner Superintendent in der Person des Pfarrers Bernhard Bernhardi. Dieser hatte in Marburg und Wittenberg studiert.
Der Reformationsprozess bis 1586
1559 starb Wilhelm der Reiche. Sein ältester Sohn, Wilhelm von Nassau-Oranien (1533–1584), erhielt bereits 1544 die niederländischen Gebiete der Familie. Die rechtsrheinischen Stammlande wurden unter seinen Brüdern Johann, Ludwig, Adolf und Heinrich aufgeteilt. Erster übernahm als Johann VI. die Herrschaft über einen großen Teil des geerbten Territoriums, Ludwig und Adolf bekamen kleinere Landesteile. Heinrich ging zunächst leer aus, übernahm aber nach Adolfs Tod 1568 dessen Ländereien. Wilhelm I. hatte sich zwar noch zum alten Glauben bekannt und seine Söhne waren katholisch getauft, da er seine Beziehung zum Kaiser nicht gefährden wollte, aber sie waren evangelisch erzogen worden. Dies tat der Graf auch aus herrschaftspolitischem Kalkül.
Johann IV. war überzeugter Protestant und setzte in seiner Regierungszeit viele Reformen im Sinne des neuen Glaubens um. In den 1560er- und 1570er-Jahren wollte er durch die Berufung mehrerer Theologen auf die Ämter des Superintendenten und Generalsuperintendenten für Ordnung im Kirchenwesen sorgen.
Er trat offiziell zum reformierten Bekenntnis über, als er 1577 das Abendmahl nach reformiertem Ritus empfing. Den Zugang zu dieser Konfession hatte er über sein Studium in Straßburg und seinen älteren Bruder Wilhelm bekommen.
Um den Calvinismus nach Nassau-Siegen-Dillenburg zu bringen, ließ der Graf 1578 eine Generalsynode der protestantischen Kirche des Landes durchführen, die das neue Nassauische Bekenntnis übernahm. 1579 folgte eine angepasste Presbyterialverfassung, 1580/81 wurden der Heidelberger Katechismus und die reformierte Kirchenordnung der Kurpfalz eingeführt. 1584 kam es zur Gründung der Hohen Schule in Herborn, die bald eine wichtige reformierten Bildungsstätten werden sollte. Eine 1586 in Herborn einberufene reformierte Generalsynode verabschiedete eine einheitliche Kirchenordnung für die Grafschaften Nassau-Siegen-Dillenburg, Wittgenstein, Solms und Wied.
Ausblick
Als Johann VI. 1606 starb, wurde sein Land in fünf Teilgrafschaften gegliedert: Nassau-Dillenburg, Nassau-Bilstein, Nassau-Diez, Nassau-Hadamar und Nassau-Siegen. Letztgenanntes Territorium fiel an Johanns zweitältesten Sohn, Johann VII. Unter dessen zweiten Sohn, Johann VIII., der 1617 die Regierung übernahm, sollte nach dem Willen des neuen Herrschers die Rekatholisierung vollzogen werden. Johann VIII. war 1612 in die katholische Kirche aufgenommen worden. Der Dreißigjährige Krieg (1618–1648) konnte seine Ambitionen nicht gänzlich aufhalten. 1638 starb er und sein Sohn Desideratus wurde sein Nachfolger. Da Desideratus erst 12 Jahre alt war, vertrat ihn seine Mutter. Johann VIII. hatte allerdings einen Halbbruder, Graf Johann Moritz von Nassau-Siegen, der Teile der Grafschaft 1645 erblich in Anspruch nahm. Desideratus blieb das sogenannte „Johannland“ mit vier Kirchspielen, in dem es 1651 schließlich zum „Religionsvergleich“ kam und die gleichzeitige Religionsausübung von Reformierten und Katholiken geregelt wurde.
Literatur
Sabine Arend (Bearb.), Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Zehnter Band. Hessen III. Die Grafschaften Nassau, Hanau-Münzenberg und Ysenburg, Tübingen 2012.
Wilhelm H. Neuser, Evangelische Kirchengeschichte Westfalens im Grundriß, Beiträge zur Westfälischen Kirchengeschichte 22, Bielefeld 2002.
Alois Schröer, Die Reformation in Westfalen. Der Glaubenskampf einer Landschaft, Bd. 1, Münster 1979.
Robert Stupperich, Westfälische Reformationsgeschichte. Historischer Überblick und theologische Einordnung, neu herausgegeben und um aktuelle Literaturangaben ergänzt von Ulrich Rottschäfer, Bielefeld 2017.
URL zur Zitation: https://www.uni-muenster.de/Staedtegeschichte/reformation-in-westfalen/Reformation_in_Westfalen/territorienderreformation/gftnassau-siegen-dillenburg.html