Grafschaft Lingen
Reformierender Landesherr: Konrad von Tecklenburg, reg. 1535/41–1548
Reformator: Jakob Weldigen (Ledigen/ Leidigen)
Beginn der Reformation: 1541(Niedergrafschaft), 1535 (Obergrafschaft)
Kirchenordnung: 1543
Der Reformationsprozess bis 1545
Die Reformation der Grafschaft Lingen – bestehend aus den Teilen Ober- und Niederlingen – ist eng verbunden mit dem Reformationsgeschehen in der benachbarten Grafschaft Tecklenburg, da auch Lingen bis 1548 ein Teil des Herrschaftsbereiches der Grafen von Tecklenburg war. Durch Erbteilung war der Besitz allerdings für wenige Jahrzehnte in zwei Linien gesplittet. So betrieb Nikolaus von Tecklenburg als Herr in Lingen in den Jahren von 1493 bis 1535/1541 eine eigenständige Politik. Im Gegensatz zu seinem in Tecklenburg-Rheda regierenden Neffen Konrad, hegte er keine reformatorischen Ambitionen. Während seiner Regierung lassen sich also für Lingen keine Anzeichen der Reformation feststellen. Das änderte sich, als sein Neffe Konrad von Tecklenburg (1501–1557) das Erbe seines Onkels antrat und die Kirchenpolitik, wie schon ab 1535 in der Ober-, auch in der Niedergrafschaft Lingen bestimmte. Dabei nahm Konrad, entsprechend seines Vorgehens während der Reformation in der Grafschaft Tecklenburg, wenig Rücksicht und besetzte Pfarrstellen kurzerhand neu, wenn sich die Pfarrer der neuen Lehre nicht anschließen wollten. Analog zur Vorgehensweise in Tecklenburg setzte Konrad die Patronatsrechte auswärtiger Herren außer Kraft. Als Reformator berief Konrad den aus Lippstadt stammenden Prediger Jakob Weldigen, den er mit seiner unehelichen Tochter verheiratete. Nach der erfolgreichen Wiedervereinigung des Herrschaftsgebietes führte Konrad in den drei Teilen seiner Grafschaft, Tecklenburg, Lingen und Rheda, 1543 eine Kirchenordnung ein, die das Augsburger Bekenntnis festigen sollte. Dabei griff er auf die Hessische sowie die Brandenburg-Nürnbergische Kirchenordnung von 1533 zurück, die er von seinen Predigern an die eigenen landschaftlichen Verhältnisse anpassen ließ.
Die Niederlage des lutherischen Lagers im Zuge des Schmalkaldischen Krieges hatte für Konrad, der am Feldzug gegen die katholische Liga allerdings selbst nicht beteiligt gewesen war, schwerwiegende Konsequenzen. Aufgrund seiner Mitgliedschaft im Schmalkaldischen Bund übertrug Kaiser Karl V. nach Ende des Krieges die gesamten Besitzungen Konrads dem Grafen Maximilian Egmont von Büren als Lehen. Durch Vermittlung des Kölner Erzbischofs Adolf von Schaumburg gelang es Konrad zwar im Jahre 1548, einen Vertrag mit dem Grafen von Büren auszuhandeln und die Grafschaft Tecklenburg sowie die Herrschaft Rheda zurückzuerhalten, die Grafschaft Lingen (Ober- und Niederlingen) hingegen verblieb beim Bürener. Mit der Bestätigung des Vertrags durch den Kaiser im Februar 1549 entwickelte sich in Lingen eine von Tecklenburg losgelöste Kirchenpolitik. Der neue Landesherr führte, anscheinend ohne auf Gewalt zurückgreifen zu müssen, das alte Bekenntnis in der Grafschaft wieder ein. Die Reformation Konrads war damit nach nicht einmal 10 Jahren wieder rückgängig gemacht worden.
1550 belehnte der Kaiser die Tochter Maximilians, Anna, mit der Grafschaft Lingen, die diese im Zuge ihrer Verlobung mit dem Grafen Wilhelm von Nassau und Prinzen von Oranien für 120.000 Gulden dem Kaiser verkaufte. Lingen war damit Teil des Habsburger Besitzes und wurde 1555 Karls Sohn Philipp II. von Spanien als Lehen übertragen.Der Reformationsprozess bis 1610
Mit der Zugehörigkeit zur spanischen Krone entwickelte sich die Grafschaft Lingen zu einem Spielball innerhalb des Spanisch-Niederländischen Krieges, der den Konfessionalisierungsprozess der Grafschaft beeinflussen sollte. 1597 wurde Lingen nach einer kurzen Belagerung von Moritz von Nassau-Oranien erobert, der die Grafschaft als oranisches Hausgut beanspruchte. Als Legitimation diente ihm hierbei die oben erwähnte Heirat seines Vaters mit Anna von Büren. Die oranische Herrschaft über Lingen währte allerdings nur acht Jahre: 1605 wurde die Grafschaft von den Truppen des spanischen Feldherrn Spinola zurückerobert – die seit 1597 vorgenommenen Versuche, das reformierte Bekenntnis in der Grafschaft einzuführen, wurden von den neuen Herren zurückgenommen. Erneut erfuhr Lingen eine Restauration des katholischen Bekenntnisses.
Der Reformationsprozess bis 1650
1633 erfolgte wiederum ein Wechsel des Landesherrn, als niederländische Truppen unter dem Prinzen Friedrich Heinrich von Nassau-Oranien in Lingen einrückten. Dieser letzte Herrschaftswechsel sollte Bestand haben, 1648 wurde die Grafschaft Lingen im Zuge des Westfälischen Friedens von Spanien an die neugegründeten Niederlande abgetreten.
Im Gegensatz zu den übrigen westfälischen Territorien lieferten die Verhandlungen und die Beschlüsse des Westfälischen Friedens für die Grafschaft Lingen keine Klarheit hinsichtlich der konfessionellen Zugehörigkeit: Während der Besetzung Lingens durch die Niederländer ab 1633 versuchten diese, das reformierte Bekenntnis in der Grafschaft zu festigen. Die Normaljahresregelung, die vorsah, dass nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges in den Territorien die 1624 vorherrschende Konfession als offizielles Bekenntnis festgeschrieben werden sollte, konnte von dem neuen Lingener Landesherrn daher nicht akzeptiert werden – 1624 befand sich Lingen noch unter der Herrschaft der spanischen Krone und war damit offiziell katholisch. Um die Durchsetzung des in den Niederlanden vorherrschenden reformierten Bekenntnisses rechtfertigen zu können, verteidigten die oranischen Landesherren den Standpunkt, dass Lingen mit der Zugehörigkeit zum niederländischen Besitz nicht mehr Teil des Reiches sei und somit auch nicht unter die Normaljahresregelung fallen würde. Diese Meinung wurde von den umliegenden Landesherren, allen voran den Grafen von Bentheim-Tecklenburg, angezweifelt, ohne jedoch den gewünschten Erfolg erzielen zu können. Letztlich erfolgte im Westfälischen Frieden von 1648 keine Festlegung der staatsrechtlichen Stellung der Grafschaft Lingen und damit auch keine eindeutige Position zur Festlegung der Konfessionsausübung.
Diese Unsicherheit nutzten die neuen Landesherren, um ab spätestens 1648 eine „Protestantisierung“ der Grafschaft zu betreiben, die unter anderem durch „zunehmenden Druck auf die katholische Bevölkerungsmehrheit“ durchgeführt wurde. Wenn dieses Vorgehen auch erst ab 1674 forciert wurde, ist für das Jahr 1650 zumindest ein Einsetzen der Protestantisierung Lingens unter der bis dahin bereits über 15 Jahre andauernden Landeshoheit der Oranier festzuhalten.
Literatur
Alois Schröer, Die Reformation in Westfalen. Der Glaubenskampf einer Landschaft, Münster 1979, S. 194 – 198.
Thomas Rohm u. Anton Schindling, Tecklenburg, Bentheim, Steinfurt, Lingen, in: Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung, hrsg. v. Anton Schindling u. Walter Ziegler, Bd. 3: Der Nordwesten, Münster 1991, S. 187 – 197.
Werner Freitag, Die Reformation in Westfalen. Regionale Vielfalt, Bekenntniskonflikt und Koexistenz, Münster 2016, S. 173 – 180.
URL zur Zitation: www.uni-muenster.de/Staedtegeschichte/reformation-in-westfalen/Reformation_in_Westfalen/territorienderreformation/gftlingen/index.html