Routen der Reformation: Lemgo

Erste reformatorische Tendenzen lassen sich in Lemgo bereits Mitte der 1520er Jahre feststellen. Die lutherischen Ideen in der Stadt hielten durch personelle und kommunikative Verbindungen Einzug, vor allem nach Herford als einem westfälischen Zentrum der neuen Lehre. Die Anhänger Luthers, die sich „Sänger der deutschen Lieder” nannten, wurden schließlich so einflussreich, dass 1531 die katholischen Bürgermeister die Stadt verließen. 1533 bekannte sich die Stadt dann offiziell mit einer Kirchenordnung zur evangelischen Bewegung. Zwischen 1605 und 1610 wandten sich die lippischen Landesherren dem reformierten Bekenntnis zu. Diese konfessionelle Entwicklung wollte allerdings die Stadt Lemgo nicht mittragen und hingegen beim lutherischen Glauben verleiben. Nach jahrelangem Konflikt zwischen Stadt und Landesherrschaft konnte sich Lemgo behaupten und sicherte sich das eigene städtische Bekenntnis im „Röhrentruper Rezess“ von 1617. Dadurch war Lemgo eine lutherische Stadt in einem reformierten Territorium – eine Besonderheit bis zum heutigen Tag.

Zur Reformationsgeschichte Lemgos

  • Sankt Marien

    St. Marien besaß seit dem 14. Jahrhundert eine Doppelfunktion, die in der Reformation brisant wurde. Denn das seit 1260/70 als Pfarrkirche der Neustädter Bürgergemeinde fungierende Gotteshaus war seit 1306 auch Klosterkirche der Dominikanerinnen, die damals auf Einladung des Landesherrn aus Lahde bei Minden nach Lemgo übersiedelten. Bürgergemeinde und Dominikanerschwestern teilten sich also die Kirche. Doch während sich die Bürger bereits 1530 der neuen Lehre zuwandten, bekannten sich die Nonnen erst 30 Jahre später – 1560 – zur lutherischen Reformation. Deswegen waren Konflikte in den drei Jahrzehnten natürlich an der Tagesordnung.

    Ein deutliches Zeugnis der Reformation stellt die 1592 von Georg Crossmann geschaffene Taufe dar, die der Bürgermeister Ernst von der Wipper und seine Frau Ilsabe Derental stifteten. Die Anlage ist nicht vollständig erhalten. Die Eingangspfosten sind neben den Stifternamen und -wappen mit Bibelzitaten zur Taufe sowie mit zwei Reliefs versehen, die Christus und eine Mutter zeigen, die Kinder bei sich führen. Das Taufbecken wird getragen von vier weiblichen Figuren, die die Tugenden Liebe, Glaube, Geduld und Hoffnung symbolisieren. Inmitten der Figuren ist ein Christus versinnbildlichender Pelikan mit seinen Jungen zu sehen. Die Taufschale selbst ist mit Reliefs der vier Evangelisten versehen. Der Holzdeckel trägt eine Inschrift, die zur Taufe auffordert. Die in einer Nische nahe dem Nordostportal aufgestellte Sündenfallgruppe (um 1635) gehörte ebenfalls zur Taufanlage.


    Ein besonderes Schmuckstück in St. Marien ist die über den Turm zugängliche Schwalbennestorgel an der Nordostwand neben dem Chor. Sie ist die älteste Orgel in den Kirchen des Lipper Landes und entstand in zwei Bauphasen: 1588–1595 durch den Orgelbauer Georg Slegel aus den Niederlanden und 1610–1613 durch Fritz Scherer aus Hamburg.

    Sankt Marien
    St. Marien
    © sdf
    Taufstein in Sankt Marien
    Taufstein in St. Marien
    © sdf
    Schwalbennestorgel
    Schwalbennestorgel
    © sdf
  • Sankt Nicolai

    In dieser Kirche, die ab ca. 1220 zunächst als romanische Basilika mit hohem Hauptschiff und zwei niedrigen Seitenschiffen errichtet und später zu einer gotischen Halle (um 1375 vollendet) ausgebaut worden war, liegen die Anfänge der Reformation in Lemgo und in Lippe. Hier wurden erstmals Mitte der 1520er Jahre deutschsprachige Kirchenlieder gesungen und damit der Hinwendung zum neuen Bekenntnis Ausdruck verliehen. Während des Lemgoer Bildersturms 1530 haben aufgebrachte Bürger sakrale Kunstwerke in der Kirche zerstört, darunter ein Sakramentshäuschen, das sichtbar beschädigt ist. Keine der einst zugehörigen Heiligenfiguren ist mehr vorhanden.

    Besonderes Augenmerk verdient das Epitaph für Moritz von Donop am südwestlichen Hauptpfeiler. Die farbig gefasste Gedenktafel aus Sandstein entstand 1587 und stellt im Mittelteil, nach einer Vorlage von Lucas Cranach dem Älteren, Szenen aus dem Alten und dem Neuen Testament einander gegenüber, ganz im Sinne der lutherischen Lehre von Gesetz und Gnade: den Sündenfall und die Auferstehung Christi, die Errichtung der Ehernen Schlange durch Moses und Moritz von Donop mit seiner Ehefrau betend unter der Kreuzigung Christi, den Gesetzesempfang durch Mose und die Verkündigung Mariens. Auf dem Aufsatz ist das Jüngste Gericht dargestellt.

    Wie St. Marien beherbergt auch St. Nicolai eine prächtige Taufanlage von Georg Crossmann, die dieser 1597 schuf und die sich im Südchor befindet. Sie besteht aus einem Taufstein mit hölzernem Deckel und einer steinernen Einfassung. Sie ist mit Bibelzitaten versehen, die sich auf die Taufe beziehen. Das Portal wird von Christus in Begleitung zweier Kinder gekrönt, darunter werden die Apostel Petrus und Paulus dargestellt sowie Christus mit Weltkugel und Johannes der Täufer mit dem Lamm. Der Aufsatz des Deckels zeigt unter einem Baldachin die Taufe Jesu und die vier Evangelisten. Ursprünglich gehörte auch das Gemälde im Nordwesten der Kirche, das Johannes den Täufer zeigt (1598), zur Taufanlage.

    Sankt Nicolai
    St. Nicolai
    © sdf
    Blick ins Kircheninnere
    Blick in den Innenraum von St. Nicolai
    © sdf
    Epitaph des Moritz von Donop, 1587
    Epitaph des Moritz von Donop, 1587
    © sdf
    Taufstein in St. Nicolai
    © Kretschmer
  • Hexenbürgermeisterhaus

    Ein weiteres Zeugnis der Reformation in Lemgo findet sich am sogenannten Hexenbürgermeisterhaus (Breite Straße 19), das heute das städtische Museum beherbergt. Die Fassade des zwischen 1565–1571 für den Kaufmann Hermann Cruwell erbauten Gebäudes wird dem Lemgoer Renaissance-Baumeister Herman Wulff zugeschrieben. Im lutherischen Geist ist über dem Portal der Sündenfall dargestellt und in der Giebelspitze Christus als Erlöser.

    Hexenbürgermeisterhaus in Lemgo
    © sdf
    Detail der Giebelseite
    © sdf
  • Ballhaus

    Das ehemalige städtische Tanz- und Ballhaus (Markt 3), ein ursprünglich mächtiger Saalbau aus der Mitte des 13. Jahrhunderts, der 1608/09 zum städtischen Tanz- und Ballhaus umgebaut wurde, zeigt zur Diebesgasse hin eine Inschrift, die auf das Reformationszeitalter in Lemgo verweist: In Latein und Niederdeutsch steht hier:

    SI DEVS PRO NOBIS QVIS CONTRA NOS * Js Gott mit vns woll kan wedder uns * ANNO. 1608

    „Wenn Gott für uns ist, wer kann wider uns sein.“

    Diese Inschrift bezieht sich auf die Zeit der Konflikte zwischen 1605 und 1617, als die lutherischen Lemgoer Bürger sich gegen die reformierten Landesherrn behaupteten und sich ihr Bekenntnis im Röhrentruper Rezess durch Beharrung zu sichern vermochten.

    Ballhaus zu Lemgo
    © sdf
    Inschrift am Ballhaus
    © sdf

Literatur

Werner Freitag, Die Reformation in Westfalen. Regionale Vielfalt, Bekenntniskonflikt und Koexistenz, 2. Aufl., Münster 2017, S. 184–187.

Glaube, Recht und Freiheit. Lutheraner und Reformierte in Lippe, hrsg. v. Andreas Lange, Lena Krull u. Jürgen Scheffler, Bielefeld 2017.

Roland Linde, Lemgo in der Zeit der Hanse. Die Stadtgeschichte 1190–1617, Lemgo 2015.

Roland Linde u. Julia Schafmeister, Stätten der Reformation, hrsg. v. Lippischen Heimatbund, Detmold 2017.