Routen der Reformation: Steinfurt

In der Grafschaft Steinfurt, die seit 1530 zusammen mit der Grafschaft Bentheim von der gleichen Familie, den Grafen von Bentheim-Steinfurt, regiert wurde, begann 1544 unter dem Grafen Arnold II. (1497–1553) die Einführung der Reformation. Dessen Sohn Everwin III. (1536–1562) heiratete 1553 Anna von Tecklenburg (1532–1582), die Erbtochter des ebenfalls dem Luthertum anhängenden Grafen Konrad von Tecklenburg (1501–1557). Dadurch wurden Bentheim, Tecklenburg und Steinfurt seit 1557 in Personalunion regiert. Als Everwin III. 1562 starb, übernahm Anna bis 1573 die Regierung als Vormund für den Sohn Arnold IV. (1554–1606), der ab 1588 das reformierte Bekenntnis in den einzelnen Territorien einführte.

Zur Reformationsgeschichte Steinfurts

Die Einführung der lutherischen Reformation und der spätere  Übergang zum reformierten Bekenntnis ab 1588 prägte auch das Stadtbild Burgsteinfurts, in dem noch heute zahlreiche Spuren dieses historischen Prozesses erlebbar sind.

  • Die Hohe Schule

    Das bis heute prägendste Zeugnis der Reformation in Burgsteinfurt ist die sogenannte Hohe Schule. Sie wurde 1591 von Graf Arnold IV. von Bentheim-Steinfurt (1554–1606) in Burgsteinfurt eingerichtet – und zwar als dezidiert reformierte Gegengründung zu den katholischen Bildungszentren im Fürstbistum Münster wie das von den Jesuiten geleitete Gymnasium Paulinum in Münster oder die Jesuitenresidenz in Meppen. Zunächst hatte Arnold bereits 1588 in Schüttorf in der Grafschaft Bentheim eine Lehranstalt gegründet. Ostern 1591 wurde die Schule allerdings wegen der Einfälle feindlicher Truppen nach Burgsteinfurt verlegt.
    In der Burgsteinfurter Hohen Schule sollte der evangelische Nachwuchs für den Kirchendienst und für Regierungs- und Verwaltungsämter ausgebildet werden. Mit der Übersiedlung nach Burgsteinfurt wurde die Schule zur akademischen Lehranstalt mit den Fakultäten Theologie, Jurisprudenz, Physik/Medizin und Philosophie ausgebaut. Allerdings fehlte der Hohen Schule, weil sie eine evangelische Institution war, die kaiserliche oder päpstliche Privilegierung. Deshalb konnten hier keine akademischen Grade erworben werden. Um ihre Studien abschließen zu können, mussten die Studierenden noch eine andere Universität besuchen.

    Hohe Schule (Arnoldinum)
    Hohe Schule (Arnoldinum)
    © IStG
    Jubiläumsinschrift über dem Portal der Hohen Schule
    Jubiläumsinschrift über dem Portal der Hohen Schule
    © IStG
  • Professorenhaus am Markt (Markt 18)

    Die Hohe Schule brachte auch zahlreiche Hochschullehrer nach Burgsteinfurt, die das geistige Leben der Stadt prägten. Vor allem in die reformierten Niederlande bestanden durch die Hochschule enge Beziehungen. Die Professoren veränderten aber auch das bauliche Gesicht der Stadt. Ein frühes Beispiel ist das heute noch bestehende Haus am Markt 18. Das zuvor als Weinhandlung genutzte Gebäude wurde 1614 von dem Juristen Professor Goddaeus zu einem repräsentativen Wohnhaus umgebaut und mit dem bis heute prägenden geschweiften Giebel versehen. Goddaeus war nicht nur als Juraprofessor an der Hohen Schule beschäftigt, sondern trat auch als Richter in den Dienst des Grafen Arnold.

    Professorenhaus am Markt
    Professorenhaus am Markt
    © IStG
  • Bütkamp 3: Beifang Haus

    Die Hinwendung des Grafen Arnold IV. zum reformierten Bekenntnis machte die Stadt Burgsteinfurt zu einem Zufluchtsort für konfessionell verfolgte Menschen, zum Beispiel Mennoniten. In der Regel waren diese gebildet und wohlhabend, was dem kleinen Städtchen wirtschaftlich, aber auch gesellschaftlich zugutekam. Das Gebäude Bütkamp 3 (das sogenannte Beifang-Haus), das 1584 von der Familie Beifang als zweigeschossiges Renaissancegebäude mit Drei-Staffel-Giebel nach niederländischem Vorbild errichtet wurde, erinnert an diese Zeit. In diesem Haus lebte zwischen 1617 und 1634 der Mennonitenführer Heinrich von Kalkar, der aus Vreden vertrieben wurde und nach Burgsteinfurt flüchtete. Nach ihm ist auch die heutige Kalkar-Stiege benannt. Im Zeitraum von 1600 bis 1617 stieg die Zahl der Einwohner der Stadt um 500 Personen an.

    Beifanghaus in Burgsteinfurt
    Beifanghaus in Burgsteinfurt
    © IStG
  • Kleine Kirche

    Die sogenannte Kleine Kirche entstand im 14. Jahrhundert aus einer zu einem Armenhaus gehörigen Kapelle, die von der bürgerlichen Armenstiftung zum Heiligen Geist errichtet worden war. Um 1470 wurde die Kapelle als spätgotischer Hallenbau neu erbaut und vergrößert. Damals erhielt das Gotteshaus auch seine seltene Fassade, mit einem in Stein ausgeführten achteckigen Giebelreiter, der auf zwei spitzbogig zusammengeführten Strebepfeilern ruht. Mit dem Beginn der Reformation in Burgsteinfurt seit 1544 wurde neben der Schlosskapelle auch die Kleine Kirche zu einem evangelischen Gotteshaus umgewandelt, in dem die ersten lutherischen Gottesdienste abgehalten wurden.

    Kleine Kirche in Burgsteinfurt
    Kleine Kirche in Burgsteinfurt
    © IStG
  • Große Kirche

    Bis 1564 wurde in der Großen Kirche, die außerhalb des Stadtgebietes lag und die seit dem Spätmittelalter dem Johanniter-Orden der unmittelbar benachbarten, nach 1222 eingerichteten Kommende unterstand, die katholische Messe gefeiert. Doch dann zog Arnold III. von Steinfurt (+ 1566) das Patronatsrecht der Johanniter über die Pfarrkirche an sich und führte die Deutsche Messe ein. Dabei scheint die Gemahlin des Grafen, Magdalena von Braunschweig-Lüneburg, eine wichtige Rolle gespielt zu haben. Sie war es nämlich, die zusammen mit den Amtleuten des Grafen und dem Rat von Burgsteinfurt die Große Kirche betrat und die Frage des gräflichen Sekretärs, ob sie den Vorsatz habe, die Kirche mit dem Willen ihres Gemahls zu reformieren, bejahte und in diesem Zusammenhang die „Papistenketzerei“ und „päpstlichen Zeremonien“ kritisierte. Die Augsburger Konfession müsse eingeführt werden. Der katholische Priester sagte in Anwesenheit der Gräfin und des Sekretärs den Konfessionswechsel zu. Dann sang er mit allen Anwesenden das Lied Luthers: „Nun bitten wir den heiligen Geist um den rechten Glauben allermeist“. Nach einer evangelischen Predigt wurde der Gräfin und ihrem Gefolge das Abendmahl unter beiderlei Gestalt gespendet. Die wenigen verblieben Katholiken konnten erst 1673 mit Unterstützung Christoph Bernhard von Galens, dem Fürstbischof von Münster, eine abwechselnde Nutzung der Kirche im Sinne eines Simultaneums durchsetzen. 1722–24 wurde dann mit St. Johannes Nepomuk außerhalb der Stadtmauern eine katholische Kirche errichtet.
    Das bis heute zugemauerte Portal auf der Südseite der Großen Kirche, das ursprünglich den Zugang der Johanniter zu diesem Gotteshaus darstellte, ist ein sichtbares Zeichen für die Reformation der Kirche und den Ausschluss der Katholiken.

    Große Kirche in Burgsteinfurt
    Große Kirche in Burgsteinfurt
    © IStG
    zugemauertes Johanniterportal
    zugemauertes Johanniterportal
    © IStG
  • Armenhaus

    Im Mittelalter erfolgte die Armenfürsorge vor allem über fromme Stiftungen. Der Stifter hinterließ finanzielle Mittel, die den Armen zugute kommen sollten. Im Gegenzug beteten die Armen für das Seelenheil des Stifters. Dieses Modell änderte sich allerdings in evangelischen Gebieten mit der Einführung der Reformation. Luther lehnte jegliche Werkfrömmigkeit ab, das Seelenheil war seiner Lehre nach nur durch die Gnade Gottes zu erlangen. Die Gläubigen sollten ihre armen Mitbrüder und Mitschwestern demnach nicht als Gegenzug für fürbittendes Gebet, sondern freiwillig und aus Nächstenliebe finanziell unterstützen. In diesem Kontext ist vermutlich das 1553 eingerichtete Armenhaus (An der Hohen Schule 10) zu sehen. Das um 1490 errichtete Gebäude war 1516 von dem wohlhabenden Kaufmann Engelbert tom Schevenhus erworben worden. In seinem 1542 errichteten Testament legte dieser fest, dass sein Vermögen zur Einrichtung eines Armenhauses verwendet werden sollte. Diesem Wunsch kam seine Witwe Aleke nach, indem sie das besagte Haus 1553 einer solchen Nutzung übergab. Das Armenhaus erhielt den Namen zum "Neuen Heiligen Geist". Zum Stiftungsvermögen gehörten Leibrenten, Grundstücke und abgabepflichtige Bauernhöfe. Auch Aleke bedachte die Armenstiftung ihres Mannes in ihrem Testament.

    Armenhaus in Burgsteinfurt
    Armenhaus in Burgsteinfurt
    © IStG
  • Stadtmuseum Burgsteinfurt

    Im Gebäude des Stadtarchivs Steinfurt findet sich das durch den Heimatverein Burgsteinfurt getragene Stadtmuseum. Das 1987 eröffnete Museum fußt auf der städtischen Heimatsammlung von 1911, die seither durch zahlreiche Schenkungen und private Stiftungen erweitert wurde. Zentrales Thema der Dauerausstellung ist die Geschichte der Stadt Steinfurt "vom Frühmittelalter bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts" (Heimatverein Burgsteinfurt). Neben wirtschafts-, sozial- und territorialgeschichtlichen Entwicklungen Steinfurts findet auch die Reformationsgeschichte der Grafschaft eine besondere Berücksichtigung innerhalb der Ausstellungsräume.

    Beispielhaft für die Zeugnisse der Reformation im Stadtmuseum Steinfurt werden hier die Fragmente einer Heiligenfigur aus dem 15. Jahrhundert gezeigt, die deutliche Spuren des Bildersturms in Steinfurt aufweisen. Wie in Münster wurden auch in Steinfurt die zerschlagenen Figuren in die Stadtbefestigung eingebaut. Die Bruchstücke der in Steinfurt wiederentdeckten Figur wurden am Katthagen geborgen.

    Weitere Informationen zum Stadtmuseum Burgsteinfurt erhalten Sie hier.

    Stadtmuseum in Burgsteinfurt
    Stadtmuseum in Burgsteinfurt
    © Heimatverein Burgsteinfurt
    Fragemente von Heiligenfiguren
    Fragemente von Heiligenfiguren
    © Heimatverein Burgsteinfurt

Literatur

Unterwegs im Kreis Steinfurt. Ein Führer, hrsg. v. Kreis Steinfurt, 2., überarb. Aufl., Steinfurt 1984.

Historischer Stadtführer Steinfurt, hrsg. v. Thomas Hoeren, Steinfurt 2005.

Steinfurt zu Fuß und mit dem Rad, hrsg. v. Thomas Hoeren, Steinfurt 2011.

Werner Freitag, Reformation in Westfalen. Regionale Vielfalt, Bekenntniskonflikt und Koexistenz, Münster 2016, S. 173–192.

Rudolf Rübel, Bursteinfurt. Geschichte einer kleinen westfälischen Residenz im Wandel der Zeiten, hrsg. v. Eckart Hammerström, 3. korr. Aufl., Freiburg i. Br. 2015.