

Arbeitsstelle für kritische, interdisziplinäre und interreligiöse Männlichkeitsforschung (AKIIM)
Leitung: Prof. Dr. Mouhanad Khorchide
Prof. Dr. Michael Tunç (Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin)
Dr. des. David Koch
Ab dem Sommersemester 2025 eröffnet das Zentrum für Islamische Theologie der Universität Münster eine interdisziplinäre Forschungsstelle, die sich den vielfältigen Facetten von Männlichkeit widmet. In einem interreligiösen Kontext werden traditionelle und moderne Vorstellungen von Männlichkeit kritisch untersucht. Ziel ist es, ein tieferes Verständnis für die Rolle von Männern in der Gesellschaft zu entwickeln und neue Perspektiven für eine gleichberechtigte Zukunft zu eröffnen. Die neue Arbeitsstelle widmet sich der interdisziplinären, interreligiösen und kritischen Erforschung von Männlichkeit(en). Durch die Einbeziehung verschiedener Disziplinen wie Soziologie, Soziale Arbeit, Politikwissenschaft, Psychologie und den Theologien sollen traditionelle Geschlechterrollen hinterfragt und neue, inklusive Modelle von Männlichkeit entwickelt werden. Die Forschungsstelle bietet Raum für den Austausch zwischen Wissenschaftler*innen, Studierenden und der interessierten Öffentlichkeit und trägt so zu einer gesellschaftlichen Debatte über Männlichkeit bei.
Im Rahmen dieser Arbeitsstelle wollen wir uns schwerpunktmäßig mit folgenden Themen auseinandersetzen:
- Männlichkeitsbilder und -ideale in religiösen Kontexten
- die Konstruktion von Männlichkeit(en) aus intersektionaler Perspektive
- progressive Männlichkeit am Beispiel der Väterarbeit
- männliche Gewalt und ihre gesellschaftlichen Ursachen
- Männlichkeiten in der Migration und ihre Interaktion mit hegemonialen Männlichkeitsmustern
- die Rolle von Männern in religiös-politischen Extremismusbewegungen
Die Forschungsergebnisse der Arbeitsstelle sollen sowohl durch gemeinsame Publikationen als auch durch Veranstaltungen der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Des Weiteren streben wir eine enge Zusammenarbeit mit dem Bundesforum Männer und dem Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW an, um unsere Forschungsergebnisse durch Multiplikatoren in die Praxis zu übertragen und gesellschaftliche Veränderungsprozesse mitzugestalten.
Die neue Arbeitsstelle versteht sich als Versuch, dem Forschungsdesiderat der kritischen Männlichkeitsforschung in Religion und Theologie, besonders im Islam, mit interdisziplinären Ansätzen zu begegnen. Gerade die Untersuchung der komplexen Wechselwirkungen zwischen Geschlecht, Sexualität, Religion und Religiosität in verschiedenen religiösen Kontexten bietet ein enormes Potential für neue Erkenntnisse. Hierbei geht es nicht um eine bloße Verlagerung des Fokus auf die männliche Erfahrungswelt, die lediglich androzentrische Strukturen zementieren würde. Vielmehr zielt die Forschung darauf ab, ein differenziertes Geschlechterbewusstsein zu etablieren, um die vielschichtigen Intersektionalitäten und Interdependenzen von Religion und Männlichkeit(en) zu analysieren. Folglich steht nicht die Affirmation hegemonialer Männlichkeitskonstruktionen innerhalb religiöser Traditionen im Zentrum, sondern die Dekonstruktion bestehender Machtverhältnisse. Dies beinhaltet die kritische Analyse von Privilegien und Marginalisierungsprozessen innerhalb männlicher Gruppen sowie die Untersuchung von Geschlechterdynamiken in religiösen Kontexten.
Ziel der Arbeitsstelle ist es, die historisch und kulturell divergente Konstruktion von Männlichkeiten in Religionen zu hinterfragen und die damit verbundenen Herrschaftsstrukturen aufzudecken, anstatt die bestehende männliche Dominanz in religiösen Systemen zu reproduzieren. Es sollen Antworten auf die Frage formuliert werden, wie die Religionen ein progressives Männlichkeitsbild entwerfen, vertreten und in die Öffentlichkeit tragen können.
In dieser Hinsicht hat die kritische Männlichkeitsforschung in den letzten Jahren wichtige Erkenntnisse über die soziale Konstruktion von Männlichkeit(en) und ihre Auswirkungen auf Individuen und Gesellschaft geliefert. Sie zeigt, dass Männlichkeit nicht biologisch determiniert, sondern ein kulturelles Konstrukt ist, das sich im Laufe der Zeit verändert und unterschiedliche Formen annehmen kann. Diese Erkenntnisse sind besonders relevant für die Theologie, da religiöse Traditionen aber auch Fundamentalisten wie Islamisten oft geschlechterspezifische Idealvorstellungen vermitteln, die die Lebenswirklichkeit von Gläubigen und Nichtgläubigen prägen. Im muslimischen Kontext steht die kritische Erforschung von Männlichkeitsvorstellungen, anders als in der christlichen Theologie, jedoch noch am Anfang. Es fehlt bislang an einer systematischen Auseinandersetzung mit den spezifischen Männlichkeitsbildern, die in der islamischen Tradition verankert sind, und ihren Auswirkungen auf die muslimische Gesellschaft.
Beitrag zur Fundamentalismus- und Radikalisierungsforschung
Eine kritische Erforschung von Männlichkeitsbildern ist besonders mit Blick auf die zunehmende Gefahr des Islamismus und weiterer Akteure des religiösen Fundamentalismus als dringend notwendig zu erachten. Die meist jungen Männer radikalisieren sich seit Jahren verstärkt in den sozialen Netzwerken, in denen sie ungefiltert von selbsternannten Islampredigern mit gefährlichen Männlichkeitsidealen manipuliert werden. Die fundamentalistischen Influencer nutzen ihre Reichweite für die Anwerbung von Jungen aber auch Mädchen, indem sie mit vermeintlich religiösen Ge- und Verboten auf die Legitimität ihrer politischen Agenda verweisen. Durch einfache Antworten auf komplexe Sachverhalte wird nicht nur die Religion als solche für Hass und Gewalt instrumentalisiert, sondern gleichzeitig auch die Kinder und Jugendlichen, die sich einer Radikalisierung ohne Hilfe von außen nur schwer entziehen können. Es gilt nicht nur problematische Konstruktionen von Männlichkeit kritisch zu betrachten, sondern aktiv Lösungs- bzw. Befreiungsstrategien aus der Radikalisierungsfalle zu entwickeln, die durch Multiplikatoren in die Moscheegemeinden und Schulen getragen werden.
(Religiöse) Ausbildung von Lehrer*innen und Sozialarbeiter*innen
Das Zentrum für Islamische Theologie der Universität Münster bildet bereits seit über 13 Jahren Lehrer*innen für den islamischen Religionsunterricht aus. Hinzu kommt, als Reaktion auf das gesteigerte gesellschaftliche Bedürfnis nach Sozialarbeiter*innen in muslimischen Gemeinden, dass sich ab 2026 sowohl bereits etablierte Fachkräfte als auch interessierte Studierende in einem Masterstudium in der muslimischen Wohlfahrtspflege professionalisieren können. Diese positive Entwicklung wird zum Anlass genommen, um Lehrmaterialien aus dem Bereich der kritischen Männlichkeitsforschung für die angehenden Lehrer*innen und Sozialarbeiter*innen zu entwickeln, damit diese an den Schulen und Gemeinden als Multiplikatoren fungieren können. Dies gilt gleichermaßen für die Gefängnisseelsorge, um Strafgefangene bei der Rehabilitierung und gesellschaftlichen Integration zu helfen. Sie alle sollen in die Lage versetzt werden, die Vielfalt und Komplexität von Männlichkeiten in verschiedenen religiösen Kontexten zu verstehen und die Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten. Durch den Vergleich verschiedener Perspektiven können bestehende Männlichkeitsvorstellungen kritisch hinterfragt und neue, progressive Modelle für die sämtliche Praxisformen entwickelt werden.
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an Dr. des. David Koch david.koch@uni-muenster.de