Geschlechterrollen? – Zum Umgang mit Geschlechterrollen in den Weltreligionen
Themenfeld der Ausstellung „Körper. Kult. Religion.“

Männlich und weiblich sind zentrale, aber nicht absolute Kategorien von Körperlichkeit, welche auch religiös legitimiert und definiert werden, woraus Rollenzuschreibungen – sozial, reproduktiv und sexuell – entstehen. In der Wissenschaft wird häufig unterschieden zwischen dem „biologischen“ Geschlecht einerseits, d. h. dem Geschlecht, das einer Person aufgrund physiologischer Attribute zugesprochen wird, und dem sozialen Geschlecht andererseits, womit die Verhaltenserwartungen gemeint sind, die – in den Gesellschaften durchaus verschieden – mit dem biologischen Geschlecht assoziiert werden. Da die deutsche Sprache keine begriffliche Unterscheidung zwischen sozialem und biologischem Geschlecht zulässt, wurden seit den 1970er-Jahren in der Forschung die englischen Lehnwörter „sex“ und „gender“ genutzt, um auf diesen Unterschied hinzuweisen.
In allen alten Gemeinschaften der Antike, im Judentum, Christentum und Islam, aber auch in Hinduismus, Buddhismus oder Konfuzianismus, herrschte grundsätzlich eine Unterordnung der Frau unter den Mann. So sieht z.B. schon der zweite Schöpfungsbericht in der Bibel, dass Eva aus der Seite Adams geschaffen ist und macht klar, die Frau ist dem Mann untergeordnet.
In den sog. tantrischen Formen hinduistisch und buddhistisch geprägter Religiosität, die sich von Indien aus nach Zentral- und Ostasien hin ausbreiteten, erlangt die Geschlechterpolarität eine herausgehobene symbolische Bedeutung, wobei das Weibliche häufig für die transzendente Weisheit und das Männliche für deren mitleidvolle und geschickte praktische Umsetzung steht – eine Sichtweise, die den europäischen Kulturen weniger vertraut ist.
Ausgewählte Ausstellungsstücke
Die folgenden Texte basieren auf dem Katalog zur Ausstellung:
Erhardt, S.; Graefe, J.; Lichtenberger, A.; Lohwasser, A.; Nieswandt, H.-H.; Strutwolf, H. (Hgg.): Körper. Kult. Religion. Perspektiven von der Antike bis zur Gegenwart. Münster 2024.
Statuette des römischen Gottes Hermaphroditos aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. (Kat.-Nr. 57)
© Lady Lever Art Gallery, Liverpool Hermaphroditos war das Kind der römischen Götter Hermes und Aphrodite und wurde als Hochzeits- und Fruchtbarkeitsgott verehrt. Laut antiken Quellen verschmolz er mit einer Nymphe, wodurch sein Körper sowohl weibliche als auch männliche Geschlechtsmerkmale erhielt. Reale intersexuelle Menschen, also Personen, die mit Merkmalen mehrerer Geschlechter geboren wurden, werden in antiken Quellen sowohl positiv als auch negativ betrachtet. (exc/fbu)
© Silvia Meier Terrakotte einer nackten Frau (Kat.-Nr. 52)
Terrakottafigurinen von nackten Frauen standen im 2. Jt. v. Chr. vermutlich für die Fruchtbarkeit der Frau, betont durch ihre üppigen Hüften und Schenkel. Ihre Brüste haltend dargestellt waren sie im Südwesten Irans weit verbreitet. Diese Terrakotte aus der elamischen Hauptstadt Susa trägt ein kunstvoll verziertes Diadem auf dem Kopf, eine Halskette mit Anhängern, die bis zu den Brüsten herabfällt, drei Armbänder an jedem Arm und einen Armreif um jeden Knöchel. Ihre Augen sind überlebensgroß, und ihr Mund scheint leicht zu lächeln. Der Bereich um ihre Brüste wird durch ein Zierband betont, und das Schamdreieck ist durch ein Buckelmuster definiert. Die vertikale Kante zwischen dem Nabel und dem Zierband um die Brüste ist ein charakteristisches Merkmal dieser Art von Figuren. (exc/pie)
Miniatur aus der Handschrift „Die Nutzung der Tiere“ (Kat.-Nr. 69)
© The Morgan Library & Museum. MS M. 500, fol. 4v. Purchased by J. Pierpont Die persische Handschrift über den Nutzen der Tiere (manāfiʿ al-ḥayawān) stammt aus dem 13. Jh. und ist nur ein Beispiel aus einer ganzen Reihe ähnlicher Werke, die sich mit den pharmazeutischen Anwendungsmöglichkeiten verschiedener Teile von Tieren, aber auch mit der Nutzung menschlicher Körperteile auseinandersetzen. Besonders bekannt ist ein Werk dieses Titels, das dem Arzt ʿUbaydallāh Ibn Bakhtīshūʿ (11. Jh.) zugeschrieben wird. Auch wenn der Text in erster Linie vom Nutzen des Menschen im Allgemeinen handelt, so zeigt die Illustration deutlich, dass in dieser Zeit der menschliche Körper gar nicht anders gedacht und geschildert werden konnte als in Form der bipolaren Geschlechter Mann und Frau. (exc/tst)
Statuette der Gottesgemahlin Ahmes-Nefertari aus der 19. Dynastie (1279–1213 v. Chr.) (Kat.-Nr. 55)
© ÄMP Berlin Ahmes-Nefertari war die Begründerin des Priesteramtes der „Gottesgemahlin“ im Alten Ägypten. Das Amt verkörpert das Ideal der ägyptischen Königin als irdische Gattin des Gottes Amun. Die Gottesgemahlinnen stehen daher sinnbildlich für die Verflechtung von Menschlichem und Göttlichen, das für das Fortbestehen des ägyptischen Königsamt von großer Bedeutung war. (exc/fbu)
Fotoserie „Orthodox Eros“ von Lea Golda Holterman (Kat.-Nr. 65)
© Lea Golda Holterman Die Serie „Orthodox Eros“ der israelischen Fotografin Lea Golda Holterman zeigt inszenierte Porträts junger jüdischer Männer. Das Auftreten von ultraorthodoxen Jungen in Holtermans homoerotischen Fotografien verbindet Sexualität mit Ausdrucksformen religiöser Frömmigkeit. Diese Verbindung von Körper, Sexualität und Geist spiegelt das jüdische Konzept wider, in dem der Körper und die Seele, einen zentralen Platz einnimmt. Im Gegensatz zu den christlichen Kulturen, in denen die Ansicht vorherrschte, der Körper sei nur das Gefängnis der Seele, war die Meinung der jüdischen Weisen oft eine andere. Holterman stellt den Mythos des „Exil“-Juden, der von Juden und Antisemiten gleichermaßen in der Vergangenheit als passiv und weiblich, kastriert und manchmal auch homosexuell wahrgenommen wurde, in Frage und reflektiert ihn in ihrer Fotoserie. (exc/tst)
Statuette der Gottheit Guanyin mit Kind (Kat.-Nr. 72)
© Übersee-Museum Bremen Die Statuette zeigt Guanyin, die chinesische Version des Bodhisattva Avalokiteśvara. Bodhisattvas werden im Buddhismus als moralische und gesellschaftsorientierte Wesen verehrt, die irdische Seelen durch buddhistische Lehren aus dem Kreislauf der Wiedergeburt und somit aus ihrem Leid erlösen. In China wurde Guanyin seit der Ausbreitung des Buddhismus androgyn dargestellt, wobei weibliche Merkmale oft überwogen. Seit dem 12. Jh. entstanden fast ausschließlich weibliche Darstellungen, von denen die hier abgebildete, an eine Madonnenfigur erinnernde Darstellung mit Kind (songzi Guanyin 送子 觀音; Kinder schenkende Guanyin) sich durchgesetzt hat. Mit ihr trat besonders für Frauen eine neue Instanz in Erscheinung, an die sie sich mit ihren Sorgen zum Thema Geburt und Nachkommen wenden konnten. (exc/tst)