Stadtreformation Münster
Stadtherr: Bischof von Münster
Reformator: Bernhard Rothmann
Beginn der Reformation: 1531/32
Kirchenordnung: 1533
Der frühe Bernd Rothmann
Die Anfänge der Reformation in der Stadt Münster sind eng verknüpft mit der Person des Weltpriesters Bernhard Rothmann, denn vor seiner Zeit als theologischer Vordenker des münsterischen Täufertums war er Anhänger der lutherischen Lehre und predigte in deren Sinne. Er bekannte sich allerdings nie zum Augsburger Bekenntnis. Um 1495 in Stadtlohn geboren, studierte er in Mainz (1524 Magister) und war seit 1529 als Vikar an dem vor den Toren Münsters gelegenen Stift St. Mauritz tätig. 1531 reiste er nach Marburg, Wittenberg und Straßburg, wo er mit lutherischen Theologen (Marburg), Melanchthon und Bugenhagen (Wittenberg) sowie Anhängern Zwinglis und der frühen Täufer (Straßburg) Gespräche führte.
Um Rothmann und seine Anhängerschaft kam es dann 1531/32 auch zu einem ersten Protest, der durch die Verfassungsorgane der Handwerkerschaft, Gildemeister und Gemeinheit (die Vertretung derjenigen Bürger, die keiner der großen Gilden angehörten), organisiert wurde. Die vom Bischof ausgesprochenen Predigtverbote ignorierte der Prediger und wurde deshalb am 7. Januar 1532 des Landes verwiesen. Er verließ am 20./21. Januar das St. Mauritz-Stift und versteckte sich in der Stadt. Dort schrieb er sein Glaubensbekenntnis in Thesenform nieder, das er am 23. Januar beim Rat der Stadt einreichte und das später ins Niederdeutsche übertragen und gedruckt wurde.
Als am 15. Februar 1532 bei der turnusmäßigen Ratswahl einige Anhänger Rothmanns, unter ihnen auch Hermann Tilbeck, in den Rat gewählt wurden, sah Rothmann die Gelegenheit gekommen, die Reformation anzugehen. Zunächst setzte er dabei nur auf das Wort und wollte Ausschreitungen vermeiden. Rothmann dachte an einen langsamen Wandel. Erste Forderungen lassen sich aber bereits am 20. Mai des Jahres nachweisen, indem die sechs Schöffen des Kirchspiels Überwasser von der Äbtissin des Benediktinerinnenklosters als Patrona der Kirche forderten, sie solle den Kaplan durch einen anderen ersetzen, der das reine Wort predigen könne. Ferner verlangten sie das Abendmahl unter beiderlei Gestalt – eine Kernforderung der Reformation.Annahme der neuen Lehre durch den Rat
Der Weg zur Reformation wurde auch nach dem Amtsantritt des neuen Bischofs Franz von Waldeck fortgesetzt. Dieser war anlässlich seiner Wahl vom Domkapitel zum alten Glauben verpflichtet worden und verlangte am 28. Juni 1532 vom Rat, dass die Stadt die lutherischen Prediger ausweise. Am 1. Juli 1532 kam es zu einer Versammlung aller Gildemeister und der Gemeinheit. Dabei ging es um die Frage, ob man gegen das „papistische Gesindel“, wie es ein Redner ausdrückte, ein Bündnis schließen oder mit dem Rat eine friedliche Lösung anstreben sollte. Im Anschluss wurde ein Ausschuss gebildet (die 36er), der zunächst mit der Gemeinheit und den Gildemeistern das weitere Vorgehen beraten sollte. Die 36er sollten den Rat überzeugen, dass zukünftig in der Stadt nur eine einzige Lehre gelte. Der Rat versuchte jedoch, auf Zeit zu spielen und erbat sich eine Beratungsfrist. Mit der Drohung, dass sich der Volkszorn gegen die Geistlichkeit wenden werde, wenn es nicht bald zu einer Entscheidung käme, begannen schließlich Verhandlungen: Die Gildevertreter und die Vertreter der Gemeinheit (Older-/Alderleute) versicherten dem Rat ihre Loyalität unter der Bedingung zu, dass das neue Bekenntnis eingeführt werde. Der Rat wurde aufgefordert, dieses Bekenntnis zu gestatten, es zu verteidigen und dafür Sorge zu tragen, dass jedes Kirchspiel der Stadt Prediger erhalte, die das reine Gotteswort lehren sollten. Als Hüter der Lehre und theologische Autorität wurde Bernhard Rothmann eingesetzt. Der Rat unterschrieb am 15. Juli den Forderungskatalog, um Bürgereinung und Stadtfrieden aufrechtzuerhalten.
Der Dülmener Vertrag
In der Folgezeit kamen weitere Prediger nach Münster, um die Pfarrkirchen den Forderungen gemäß besetzten zu können. Dieses Vorgehen rief allerdings den Klerus der Stadt auf den Plan, der sich am 24. August über die Absetzung zahlreicher Geistlicher beim Bischof beschwerte. Der liturgische Abschluss dieser Entwicklung war dann die erste Feier des Abendmahls nach Art der Lutheraner durch Rothmann am 25. August 1532 in der Hauptkirche St. Lamberti. Zur Einrichtung einer neuen Kirchenorganisation kam es allerdings nicht mehr, weil Bischof Franz von Waldeck einschritt. Der Bischof hatte schon am 5. August vom Rat die Rücknahme der Neuerungen verlangt und wiederholte diese Weisung am 30. August 1532. Eine außerplanmäßige Ratswahl sorgte allerdings dafür, dass der Rat nun ausschließlich mit lutherischen Kandidaten besetzt werden konnte. Als Bischof Franz erneut die Stadt aufforderte, die Beschlüsse zurückzunehmen, weigerte sich der neue Rat und wandte sich an den Landgrafen Philipp von Hessen.
Der Bischof versuchte, die Stadt an ihrem wirtschaftlichen Nerv zu treffen, indem er mit Straßensperren und Handelssanktionen reagierte. Doch in der Nacht vom 25. zum 26. Dezember 1532 überfielen münsterische Bürger die Stadt Telgte und nahmen Domherren und bischöfliche Räte in Gefangenschaft, woran sich Friedensverhandlungen unter Einschluss hessischer Vermittlung anschlossen. Das Ergebnis war der sogenannte Dülmener Vertrag vom 14. Februar 1533, in dem der Bischof vom Rat die Anerkennung der weltlichen Herrschaft des Bischofs über die Stadt forderte. Im Gegenzug wurde dem Rat das kirchliche Regiment zugestanden und dieser mit der Einführung einer Kirchenordnung beauftragt. Der Bischof erkannte also die Reformation in der Stadt an. Die mit den Pfarrkirchen zusammenhängenden Stifte und Klöster erhielten aber ebenso wie das Domstift Bestandsschutz; katholischer Gottesdienst durfte dort weiterhin stattfinden. Auch wurde den Predigern auferlegt, weder die weltliche noch die geistliche Obrigkeit zu schmähen und auch die Polemik gegen die Katholiken zu unterlassen. Jegliche weitere Religionsänderung war verboten; sollte dies passieren oder die Katholiken angegriffen werden, war der Bischof zur Strafe berechtigt.Streit um die Taufe
Doch schon unmittelbar vor Vertragsabschluss und erst recht danach machten sich abweichende Strömungen in der Stadt breit. Im Herbst 1532 erschienen neue Reformatoren in der Stadt, die mit dem bisher Erreichten nicht zufrieden waren. So forderten am 3. November 1532 einige Pfarrangehörigen von der Äbtissin von Überwasser, dass sie in der Kirche zwei Kapläne als Prediger einsetzen solle. Es handelte sich um Dionysius Vinne und Gottfried Straelen. Ersterer war zusammen mit drei anderen Mitprädikanten (Johann Klopris, Hermann Staprade und Henrich Roll) kurz zuvor, im Oktober 1532, wegen seines symbolischen Abendmahlsverständnisses aus der zum Herzogtum Jülich gehörenden Stadt Wassenberg ausgewiesen worden. Die Gruppe war dann nach Münster gezogen. Dort schloss sich ihnen Gottfried Straelen an, der auf Bitten Rothmanns aus Hessen nach Münster gekommen war. Auf die Forderung der Eingesessenen reagierte die Äbtissin mit einer Verzögerungstaktik: Sie dürfe die Neubesetzung nur nach einer Weisung des Bischofs vollziehen. Am 5. April 1533 fand in der Pfarrkirche Überwasser ein Bildersturm und am 14. April 1533 ein weiterer in der Ludgerikirche statt. Die Bestimmungen des Dülmener Vertrages wurden also gebrochen, religiöse Spannungen blieben bestehen. Auch die Einführung der von Bernhard Rothmann erarbeiteten Kirchenordnung scheiterte, weil die Theologen des hessischen Landgrafen in Marburg, denen sie zur Prüfung vorgelegt wurde, wegen des symbolischen Abendmahlsverständnisses und wegen der leisen Kritik an der Kindtaufe die Zustimmung verweigerten. In der Antwort Rothmanns wird Christus selbst als das einzige Zeichen bezeichnet; die Taufe sei kein sakramentales Wirken Gottes an den Menschen, sondern Bekenntnis mündiger Christen. Die Kindtaufe sei biblisch nicht belegt. Daraufhin fand am 7. und 8. August 1533 eine Disputation statt. Diese wurde vom städtischen Syndikus Dr. Johann von der Wieck angeordnet, um Rothmann in die Schranken zu weisen. Schwerpunkt der Debatte sollte die Taufe sein. Rothmann, begleitet von den Wassenberger Prädikanten und seinem Schwager Brictius thon Norde, stritt mit seinem einstigen Lehrer, dem in Münster hochangesehenen Hermann Buschius, einem lutherischen Theologen, den Rothmann noch 1531 in Marburg besucht hatte. Buschius wurde vom Schulmeister Glandorp und zwei Fraterherren begleitet! Die Disputation fand im Rathaus in Anwesenheit von Rat, Gildemeistern und Olderleuten der Gemeinheit statt. In seiner Eröffnungsrede verteidigte der Syndikus Wieck die Kindtaufe und betonte, dass die „wederdoper“ der Strafe des Reichs unterlägen und dass der Dülmener Vertrag mit dem Bischof verletzt werde. Sowohl Rothmann als auch sein Gegner Buschius argumentierten mit der Hl. Schrift in Bezug auf die Kindtaufe. Wohl um die lutherische Partei unter den Prädikanten in dieser Phase zu stärken, schickte der hessische Landgraf den aus dem westmünsterländischen Anholt stammenden Kasseler Prädikanten Dietrich Fabritius sowie den Prädikanten Johann Lening in die Stadt. Auch Johann Westermann, der Reformator Lippstadts, hielt sich im Herbst 1533 in Münster auf. Fabritius und Westermann sollten bei einer Fortsetzung der Disputation als Schiedsrichter fungieren. Diese war vom Rat für Dezember 1533 angedacht worden. Als Rothmann hörte, wer als Schiedsrichter fungieren sollte, lehnte er die Teilnehme ab.
Erneut kam es zu Protesten. Am 7. September 1533 verweigerte der Prediger in der Lambertikirche, Hermann Staprade – einer der Wassenberger –, einigen Säuglingen die Taufe. Die Gegner Rothmanns versuchten ihn mit Druckwerken als „Stutenbernd“ zu verunglimpfen, weil er Brot statt Hostien bei der Reichung des Abendmahls nutzte.
Doch worin bestand das eigentliche Problem des Streites über die Taufe und des Abendmahlsverständnisses? Das sogenannte Wiedertäufermandat Kaiser Karls V. von 1528 war auf dem Reichstag zu Speyer 1529 zum Reichsgesetz erhoben worden. In diesem Reichsabschied wurde die Todesstrafe all denen angedroht, die sich als Erwachsene taufen ließen. Die weltlichen Obrigkeiten wurden verpflichtet, Täufer als Aufrührer zu ergreifen und zu bestrafen. Nicht nur die Taufe Erwachsener schied die Täufer vom protestantischen und katholischen Bekenntnis. Das Abendmahl sahen die Täufer lediglich als Gedächtnismahl; die weltliche Obrigkeit wurde verworfen, da sich alle nur nach dem göttlichen Liebesgebot zu richten haben. Abweichungen würden von der Gemeinde bestraft. Auch die Abschottung in Gestalt frommer Kreise und die Wertschätzung der Prophetie machten sie verdächtig.Versuche der Eindämmung des Täufertums
Der Rat musste vor dem Hintergrund des Dülmener Vertrages dem Treiben in Münster Einhalt gebieten. Zusammen mit den Gildemeistern und Olderleuten, also den Vertretern der anderen Verfassungsorgane der Stadt, ließ er eine Zuchtordnung erstellen, die dem Straßburger Vorbild folgend im Sommer 1533 verfasst, verkündet und zudem gedruckt wurde. Münster wird in dieser Ordnung als protestantische Gemeinde beschrieben, in der das Zusammenleben durch die Gebote des Stadtfriedens und der Nächstenliebe geregelt sei. Eigens bestimmte Zuchtherren sollten die Stadt hinsichtlich Fluchens, Hurerei, Glücksspiels und Meineids überwachen und diesbezügliche Meldungen der Bürger aufnehmen. Hinzu kamen Bestimmungen über Versammlungen, mit denen die Täufer zurückgedrängt werden sollten. Das Sakrament der Taufe dürfe nicht geschmäht werden, und die Zuchtherren sollten auf „aufrührerische Sekten“ und ungebührliche Versammlungen und Verbindungen achten.
Die städtischen Gremien, Rat und Gilden, aber auch die Gemeinheit, bejahten zu diesem Zeitpunkt noch mehrheitlich das lutherische Kirchenwesen und akzeptierten die katholische Minderheit. Um beides zu sichern, verbot der Rat im September 1533 Rothmann und den Wassenbergern die Predigt. Rothmann protestierte – mit Erfolg. Sein Predigtverbot wurde wieder aufgehoben, das der Wassenberger blieb aber bestehen. Ende Oktober verfügte der Rat dann nach Aufforderung durch den Bischof die Ausweisung der Wassenberger; Rothmann aber blieb unbehelligt, weil er von einem Teil der städtischen Gilden gestützt wurde. Die Wassenberger Prädikanten verließen die Stadt, kehrten aber im November heimlich zurück.Versuch des Abschlusses der lutherischen Reformation
In dieser Situation kam es zum letzten Versuch des Rates, die lutherische Reformation zum Abschluss zu bringen. Im November 1533 wurde erneut eine Kirchenordnung erstellt, die vom Rat mit Zustimmung der Gesamtgilde am 30. November 1533 in Kraft gesetzt wurde. Ihr Druck und ihre Verlesung in den Kirchen scheint aber nicht erfolgt zu sein. Rothmann und die Wassenberger Prädikanten erstellten als Gegenentwurf das „Bekenntnis von den beiden Sakramenten“. Dieses enthielt ein dezidiertes Plädoyer für die Erwachsenentaufe und das symbolische Abendmahlsverständnis als Erinnerungsmahl. Zudem entwickelte Rothmann ein Christentum der Tat. Kristallisationskern dieser neuen Tatfrömmigkeit war nicht mehr das Seelenheil des Einzelnen, sondern die Liebesgemeinschaft im Sinne der Urgemeinde. Gemeinsam wollte man auf die Wiederkunft Christi warten. Diese Bereitschaft bedurfte der Glaubenstaufe, also der Taufe der Auserwählten, die aus dem Taufbefehl Christi am Ende des Matthäus-Evangeliums und aus der Apostelgeschichte abgeleitet wurde.
Der Taufe wurde der Sakramentscharakter – also Gottes Verheißung auf Erlösung in Gestalt einer symbolischen Handlung (Ritus) – abgesprochen; ihre Wirksamkeit als wahres Zeichen und als Erlösung von der Sünde hing vielmehr von der „Gesinnung“, dem „Bekenntnis“ und der Abkehr von der „Fleisches Lust“, d.h. dem weltlichen Treiben, des Täuflings ab. Nur die so Getauften seien Teil der heiligen Kirche. Das Ergebnis dieser Tauftheologie war die Ablehnung der Kindtaufe, der keine Gnadenkraft zugesprochen wurde. Daraus ergab sich die Notwendigkeit der erneuten Taufe, also der „Wiedertaufe“ des einst als Kind schon getauften, nun aber bekennenden Gläubigen.Das Erstarken täuferischer Predigt
Konsequenz des Wirkens des Täufers war die Spaltung der Prädikanten in der Stadt. In dieser Situation blieb dem Rat nur das Mittel, erneut gegen Rothmann vorzugehen. Auf Rothmanns gedrucktes Bekenntnis antwortete der Rat zunächst mit einer Gegenschrift: In seinem Auftrag fertigte der Prediger Brictius thon Norde – er hatte Rothmanns Schwester zur Frau – eine niederdeutsche Übersetzung des antitäuferischen Berichtes von der Disputation des Täufers Melchior Hoffmann mit den Predigern Straßburgs „Handelinge in dem opentlike gespreke to Straßburg“ an. Diese Schrift wurde in Münster im Herbst 1533 gedruckt. Daraufhin habe Rothmann in seinem Haus eine heimliche Druckerei eingerichtet. Nach deren Auffindung durch Abgeordnete des Rates wurde Rothmann der Stadt verwiesen. Allerdings kam es zu Tumulten der Anhänger des Predigers. Die konfessionelle Spaltung der Stadt wurde ebenso wie die Machtlosigkeit des Rates immer offensichtlicher.
Am 21. Dezember begann Rothmann wieder mit der Predigt, und zwar in der Servatiikirche; zeitgleich predigte Fabritius im Sinne des Luthertums in der Lambertikirche, wo er auch das Abendmahl spendete. Am 1. Januar 1534 predigte ein Anhänger Rothmanns in der Aegidiikirche; die lutherischen Prediger der Liebfrauenkirche, der Ludgerikirche und der Martinikirche (dies war thon Norde) wurden an der Predigt gehindert. Um Unruhen zu vermeiden, ließ der Rat alle Kirchen schließen; nur Fabritius predigte mit Konsens des Rates weiter. Am 4. Januar verlangten dann Frauen aus der Bürgerschaft von den Bürgermeistern die Absetzung des Fabritius. Am 5. Januar wurde die Wiedereinsetzung Rothmanns als Prediger der Lambertikirche gefordert, und zwar ebenfalls von Anhängerinnen des Predigers. Zeitgleich kamen zwei Boten des Täuferapostels Jan Mathys nach Münster, die in dessen Auftrag Rothmann und die Wassenberger Prädikanten tauften. Mathys hatte in Amsterdam von dem ausgewiesenen Wassenberger Prädikanten Roll von den Geschehnissen in Münster gehört. Nun ließ er die Boten sondieren, ob Münster die Stadt sei, die sich der Herr für seine Wiederkunft ausgesucht habe. Rothmann und die Wassenberger Prädikanten, von den Sendboten beauftragt, setzten die Erwachsenentaufe fort, u.a. im Haus Rothmanns! Mit der Erwachsenentaufe wurde auch das neue Bekenntnis angenommen.
Am 13. Januar 1534 kamen erneut zwei Boten des Mathys – einer war Jan van Leiden –, denen eine Liste gezeigt wurde, die angeblich 1.400 Getaufte aufwies. Damit war eine Trennung in der Stadt entstanden, und zwar zwischen der Gemeinschaft der Neugetauften und der lutherischen Stadtgesellschaft. Erstere sonderte sich in dieser Phase ab, so etwa zu Gottesdiensten und Gebeten in den Privathäusern; die letzte Predigt Rothmanns in der Servatiikirche fand am 25. Januar 1534 statt. In ihr erläuterte Rothmann das eigene Auserwähltsein: Als er unter seinen Zuhörern auch Katholiken und Evangelische erblickte, billigte er diesen das Wort Gottes nicht mehr zu. Er wählte ein drastisches Bibelwort: Die „Perlen des Wortes Gottes“ dürften nicht mehr unter die Säue geworfen werden, sondern nur den „Erwählten“ zukommen!Konstituierung der Täufergemeinde
Die Neugetauften verstanden sich in den Januarwochen 1534 in der Tradition der apostolischen Urgemeinde: Die Stadt war für sie Heimstatt einer Liebesgemeinschaft; die Grundlage des egalitären Zusammenlebens gaben die sog. Münsterischen Artikel ab, die Jan Mathys verfasst und die Jan van Leiden mitgebracht hatte. Nur wer diese annahm, wurde zur Taufe zugelassen. Die Artikel führten zur Distanzierung von der Stadt als Wirtschafts- und Sozialkörper. Die Welt sei „gottlos“; die Täufer sollten ihr absagen; das Zusammensein mit den Gottlosen vermeiden, sie nicht grüßen. Die Täufer erkannten sich untereinander an einem Zeichen, die Frauen trugen eine besondere Kopfbedeckung. Im März 1534 führten sie untereinander die Gütergemeinschaft ein. Vor allem Lebensmittel wurden an alle weitergereicht; später kam es zu gemeinsamen Mahlzeiten. Geld und Wertsachen mussten abgegeben werden.
Dieses friedliche, aber auch abgesonderte Leben der Täufer geriet durch zwei Aspekte aus den Fugen. Zum einen durch das Hoffen auf die konkrete und zeitnahe Wiederkunft Christi, die zum Osterfest 1534 in Münster erfolgen sollte. Die Wiederkehr des Herrn machte es aber nötig, die „Gottlosen“ von der Gemeinde der Reinen zu scheiden.Zum anderen entschied der Rat der Stadt am 23. Januar zusammen mit Gilden und Gemeinheit wohl aus Furcht vor Unruhen, dass alle Bürger, Einwohner und Prediger bei ihrem jeweiligen Glauben bleiben dürften! Mit dem Beschluss waren das Rothmann‘sche Bekenntnis und die Taufpraxis anerkannt und standen gleichberechtigt neben Luthertum und Katholizismus.
Indem aber der Rat sich um des Stadtfriedens willen für neutral erklärte, war der Boden der lutherischen Stadtreformation verlassen worden. Denn ein friedliches Nebeneinander der Konfessionen konnte wegen der endzeitlichen Erwartung der Täufer, die auf Exklusivität ausgerichtet war, nicht aufkommen.
Am 28./29. Januar 1534 gingen die Täufer wieder in die Öffentlichkeit. Sie bewaffneten sich, stellten Nachtwachen auf und verschlossen die Tore; dann rotteten sie sich zusammen und liefen gegen den Rat auf. Parallel hierzu kamen, geleitet von der Zuversicht auf das von Jan Mathys für das Osterfest 1534 in Münster prophezeite Ende aller Zeiten, viele Täufer, auch aus Friesland und Holland, in die Stadt. Ihre Endzeiterwartung wurde gestärkt durch außergewöhnliche Himmelszeichen und durch die Prophetie der führenden Apostel und der „Laienpropheten“. Ekstatische Bewegungen, das Raufen der Haare, Schlagen und Stammeln gehörten zum Alltag. Immer wieder erschallte im Februar 1534 der Ruf in der Stadt „Thut Buße und bekehrt euch! Der König des Himmels wird bald herniederfahren und Jerusalem wiederherstellen.“Der Glaube an das Auserwähltsein ließ die Bereitschaft der größer werdenden Täufergemeinde wachsen, Andersgläubige auszuweisen oder zu bekämpfen. Als der Rat am 23. Februar letztmalig gewählt wurde, kamen die Täufer ans Ruder (23 von 24); einer der Bürgermeister wurde der Täufer Bernd Knipperdollinck. Mit dieser Wahl distanzierte sich das Organ der Bürgerschaft von der friedlichen Koexistenz. Knipperdollinck ordnete an, dass alle, die sich nicht taufen lassen wollten, aus der Stadt ausgewiesen werden sollten. Über 2.000 Bewohner verließen am 27. Februar die Stadt. Gleichzeitig kamen Täufer aus den Nachbarregionen. Um den 15. März rief Jan Mathys zu einer Büchervernichtung auf, die alle Schriften außer der Bibel betreffen sollte.
Totalitäre Herrschaft im Bann der Endzeit
Gegen die Gemeinschaft der Täufer in Münster richtete sich Widerstand von außen. Bischof Franz von Waldeck ließ die Stadt belagern, weil sie gegen den Dülmener Vertrag und gegen das Reichsrecht verstoßen hatte. Deshalb wurde der Bischof auch von den Reichsständen unterstützt. Gefahren kamen aber auch von innen. Im März 1534 bezeichnete der Schmied Hubert Rüscher Jan Mathys als ungelehrten, unfähigen Propheten und Lügner. Mathys erschoss ihn ohne Gerichtsverfahren in Anwesenheit des Rates. Ein weiteres Problem stellte sich, als Christus am Ostertag 1534 entgegen der Weissagung des Mathys nicht in Münster erschien. Der Prophet zog zwar mit wenigen Getreuen gegen das Belagerungsheer hinaus, doch es gab keinen himmlischen Beistand – Mathys wurde vor den Augen der Stadtbewohner massakriert; sein Haupt aufgespießt.
In dieser Situation gelang es Jan van Leiden, die Prophetie umzudeuten und damit das Täuferreich zu stabilisieren. Er betonte, es seien die Vorbereitungen für die Wiederkunft des Herrn noch unzureichend gewesen. Warten alleine reiche nicht, man müsse das Gottesreich schon auf Erden vorbereiten und auch der ganzen Welt mitteilen. Konsequenterweise wurde im April 1534 der Rat abgeschafft und in Anlehnung an das Alte Testament das Regiment der zwölf Ältesten eingeführt, denen der neue Prophet Jan van Leiden vorstand. Ihm folgte in der ersten Hälfte des September 1534 die Einführung der alttestamentarischen Königsverfassung; das theokratische Regime ersetzte die fragile, ausschließlich auf Charisma beruhende Herrschaft. Die Trennung von Welt und Gottesgemeinde wurde endgültig aufgehoben: Jan van Leiden wurde zum König ausgerufen. Theologisch gerechtfertigt wurde das Königtum von Rothmann, der Jan van Leiden als neuen David sah, dem Christus als neuer Salomon folgen werde. Der König sei berechtigt, die Sünden in der Stadt zu strafen, und zwar durch das Schwert; die Todesstrafe, die in der Folge sprunghaft anstieg, wurde für Verfehlungen gegen die Lehre und Sittengesetze ausgesprochen. Die Täuferherrschaft blieb allerdings auch unter ihrem König fragil. Zwar widerstand man den militärischen Angriffen von außen, aber die Missionierung in anderen Städten der Region schlug fehl. Die insgesamt 27 entsandten Apostel wurden in allen Städten verhaftet, viele von ihnen dem münsterischen Bischof bzw. dem Herzog von Kleve ausgeliefert. Fast alle Apostel wurden anschließend hingerichtet.
Das Scheitern der Mission führte zu einer weiteren Verschärfung der Lehre von den letzten Tagen, die nun neben der Erlösung der Gemeinde darauf abzielte, die Andersgläubigen zu bestrafen. Dazu angeforderte Unterstützung von Täufern aus den Niederlanden blieb aber aus.
Aus der Feststellung des Verlassenseins kurz vor Anbeginn der Endzeit wuchs in Münster im Frühjahr 1535 die Bereitschaft zum Martyrium. Umgekehrt wurde jeder ‚Verräter‛ umgehend hingerichtet. Ohne dass Hilfe jenseitig oder diesseitig kam, verschlechterte sich die Lage der Stadt durch Belagerung und Aushungern immer mehr. Frauen und Kinder flüchteten Anfang Mai aus der Stadt. Eine Kapitulation der Täufer kam wegen ihrer Überzeugung, dass das Gottesreich bald anbrechen sollte, nicht in Betracht.Das Ende wurde allerding durch Verrat eingeleitet. Am 23. Mai floh der Täufer Heinrich Gresbeck aus der Stadt. Er zeigte den Belagerern die Schwachstellen der Befestigung, so dass am 24. Juni die Eroberung Münsters erfolgte. Die Sieger richteten unter den männlichen Täufern ein Gemetzel an; 650 wurden getötet. Die Frauen der Täufer wurden, wenn sie nicht ihrem Glauben abschworen, ausgewiesen. Am 29. Juni 1535 zog der Bischof in die Stadt ein. Klöster und Stifte wurden voll restituiert; der Dülmener Vertrag wurde nicht wieder in Kraft gesetzt. Das Täuferreich hatte dazu geführt, dass Münster formal wieder zu einer katholischen Stadt wurde.
Literatur
Werner Freitag, Die Reformation in Westfalen. Regionale Vielfalt, Bekenntniskonflikt und Koexistenz, Münster 2016, S. 100 – 102, 109 – 111, 127 – 143.
URL zur Zitation: www.uni-muenster.de/Staedtegeschichte/reformation-in-westfalen/Reformation_in_Westfalen/staedtederreformation/muenster/index.html