Minden Cut
© Merian, Topographia Westphaliae, Sammlung IStG

Stadtreformation Minden

Stadtherr: Fürstbischof von Minden
Reformator: Nicolaus Krage
Beginn der Reformation: 1529/30
Kirchenordnung: 1530

In den westfälischen Städten hatte sich lutherisches Gedankengut oft unterschwellig im Stillen und in bestimmten Gesellschaftskreisen verbreitet, die die Thesen und die neue Lehre im Privaten diskutierten. Damit aus dieser vielfach unerkannt wirkenden evangelischen Bewegung eine dezidiert lutherische, die ganze Stadt erfassende öffentliche Massenbewegung werden konnte, bedurfte es allerdings eines konkreten Auslösers. Dieser Impuls zum Handeln konnte stadtinterne Ursachen haben, aber er konnte auch durch auswärtige Ereignisse befördert werden. Eine solche Kombination ist bei der Stadtreformation in Minden festzustellen.
Albert Nisius, der mit der Seelsorge beauftragte Kaplan an der Mindener St. Marienkirche – gleichzeitig Kirche des Kanonissenstifts –, führte um die Jahreswende 1529/30 Änderungen am Gottesdienst – wohl im Sinne der Deutschen Messe – ein und spendete das Abendmahl unter beiderlei Gestalt. Kurz zuvor, am Sonntag vor Michaelis (29. September), hatte der mit der Pfarrseelsorge beauftragte Benediktiner Heinrich Traphagen an der dem Kloster inkorporierten Simeonskirche von der Kanzel seine Hinwendung zum Luthertum verkündet. Daraufhin ließ der Abt des Klosters den Mönch von Ratsdienern festnehmen und ins Stadtgefängnis stecken. Doch eine große Zahl von Bürgern befreite ihn wenige Tage später; am nächsten Sonntag predigte er erneut im lutherischen Sinne.

  • Bürgerversammlung und Ausschussbildung

    Die Bürger wählten einen Ausschuss von 36 Männern, der die Einführung der neuen Lehre betreiben sollte. Aus einer Zeugenbefragung im Zuge eines Reichskammerprozesses lässt sich diese Entwicklung näher beschreiben. Die Beteiligten erinnerten sich 1534 daran, dass der Ratsherr Johann Bruning zunächst elf weitere Männer um sich geschart hatte, die Traphagen dann befreiten. Sie führten ihn zur Kanzel der Simeonskirche zurück. Im Anschluss erfolgten Zuwahlen, und zwar ohne Beisein des Rates; zweimal zwölf seien von ihnen aus der Bürgerschaft ausgesucht worden. Dann hätten sie auf Gott und sein göttliches Wort geschworen, also eine Schwureinung vorgenommen. Der Ausschuss konstituierte sich durch Kooptation; die Legitimität seines gegen den Rat gerichteten Handelns schöpfte er aus der Eidverbrüderung, die das göttliche Wort zur Grundlage hatte.

  • Nicolaus Krage

    Bereits am dritten Weihnachtstag 1529 wurde der reformatorisch gesonnene Hofprediger Nicolaus Krage an der St. Martinikirche, der Rats- und Hauptkirche, vom 36er-Ausschuss als Prediger eingesetzt. Möglicherweise kam es im Vorfeld zu einem Kirchen- und Klostersturm. Belegt ist, dass in dieser Zeit die Stadttore geschlossen waren. In seinem ersten Gottesdienst predigte Krage im Sinne Luthers und polemisierte gegen den alten Glauben. Der Rat blieb zunächst passiv. Krage rief zur Disputation auf und verfasste im Februar 1530 eine Kirchenordnung. Sowohl die schnelle Abfassung einer Kirchenordnung als auch die Untätigkeit des Stadtrates sind in Minden bemerkenswert. Dieser hatte sich Ende 1529 letztmalig zu Wort gemeldet, als er zusammen mit den 40ern, dem überkommenen Wahlausschuss, dem neuen 36er-Ausschuss die Neuerungen Krages vorwarf.

  • Machtvakuum

    Dass die 36er nicht auf Übereinkunft mit dem Rat setzten, scheint seine Ursache im Machtvakuum im Fürstbistum Minden gehabt zu haben. Da der Stadtherr, der Mindener Bischof Franz aus dem Haus Braunschweig-Wolfenbüttel, am 29. November 1529 verstorben war, drängten Krage und der Ausschuss darauf, vor dem Antritt des neuen Bischofs Fakten zu schaffen. Insofern kann die eingangs gestellte Frage, ob eine neue Legitimitätsstiftung der Ratsherrschaft stattfand, verneint werden: Der Rat war in dieser Phase nicht mehr Organ der Bürgerschaft; die 36er hatten die Macht an sich gerissen und führten zum Jahreswechsel die entscheidenden Maßnahmen durch.
    Allerdings zählten auch Mitglieder von Ratsgeschlechtern zu den 36ern. Dieses Gremium und nicht der Rat ernannte Krage zum Superintendenten. Dann riefen die 36er die Dekane der beiden Stifte und den Abt des Benediktinerklosters in das Rathaus und forderten diese auf, die neue Lehre in den inkorporierten Pfarrkirchen zuzulassen. Zwei der drei sagten zu. Der Abt von St. Moritz – zuständig für die Pfarrkirche St. Simeon – weigerte sich zunächst. Er wurde einen Tag festgehalten und akzeptierte dann die Bedingungen: die Zahlung von Zinsen für den klösterlichen Grundbesitz, Einschränkung der Wirtschaftsbetriebe, Überlassung von Äckern zum niedrigen Preis, die Zahlung der Stadtsteuer und – ganz zentral – den Verzicht auf die geistliche Gerichtsbarkeit. Wichtig war zudem die Zusage, Mönche, die ausscheiden oder durch die 36er zum Predigtamt berufen werden sollten, friedlich aus dem Kloster gehen zu lassen. Nach der Unterzeichnung verließ die katholische Geistlichkeit die Stadt und strengte von außerhalb die Restitution durch das Reich an. Die 36er nahmen die Martini-, Johannis- und wahrscheinlich die Simeonskirche in Besitz und bestimmten neue Prediger; das Kloster St. Moritz wurde geplündert. Zudem beauftragten sie Krage mit der Erstellung der Kirchenordnung.

  • Einführung der Kirchenordnung

    Dann aber trat der Rat wieder in Erscheinung: Er schloss mit den Dominikanern einen Vertrag, dass aus ihrem Kloster eine Schule werden sollte. Eine Leibrente sicherte die Versorgung der Mönche (27. Januar 1530). Am 13. Februar 1530 wurde dann die von Krage erstellte Kirchenordnung, die in Lübeck gedruckt worden war, von der Kanzel der Martinikirche verkündet und von Rat und Bürgerschaft bewilligt. Sie kann als städtische Antwort auf die Wahl des neuen Bischofs am 10. Februar 1530 gesehen werden.
    In der Kirchenordnung war der Rat als Garant des neuen Kirchenwesens vorgesehen, doch die 36er bestimmten weiterhin die Politik mit. Noch musste die städtische Reformation abgesichert werden. 1532 änderten die 36er die Ratswahlordnung, indem sie sich statt der 40er als Ratswahlgremium konstituierten. Da der Administrator von Minden, Bischof Franz von Waldeck, der auch Bischof von Münster und Osnabrück war, die Mindener unbehelligt ließ – Minden stellte für ihn nur ein Nebenland dar –, konnte sich das Luthertum festigen.

  • Vertragliche Absicherung des Luthertums

    Die Nichtbeachtung der reformatorischen Vorgänge in der Stadt durch den Stadtherrn sollte sich ändern. Am 12. September 1535 – wenige Monate nach der Niederschlagung der Täufer in Münster – fand der Bischof Zeit für Minden. Er schloss gemeinsam mit dem Domkapitel und der Stadt einen Vertrag, in dem der Stadt das Luthertum zugebilligt wurde, die Rechte des Domkapitels und der Dom als katholisches Gotteshaus aber anerkannt wurden.
    Die Reformation geriet noch einmal in Gefahr, als der von Klöstern und Stiften 1530 angestrengte Prozess vor dem Reichskammergericht 1536 zu dem Urteil führte, dass die Stadt alle enteigneten Kirchengüter zurückgeben sollte. Als die Stadt dem nicht nachkam, wurde die Reichsacht verhängt. Doch es kam nicht zur Reichsexekution und damit zum Angriff auf die Stadt, da diese schon 1535 dem protestantischen Schutzbündnis, dem Schmalkaldischen Bund, beigetreten war. Minden war übrigens die einzige westfälische Stadt. Als Bundesmitglied erfuhr die Stadt den Schutz der Verbündeten; die Reichsacht wurde 1541 suspendiert.

Literatur
Werner Freitag, Die Reformation in Westfalen. Regionale Vielfalt, Bekenntniskonflikt und Koexistenz, Münster 2016, S. 92 – 93, 103 – 104.

URL zur Zitation: www.uni-muenster.de/Staedtegeschichte/reformation-in-westfalen/Reformation_in_Westfalen/staedtederreformation/minden/index.html