,(UN-)SICHTBARKEIT‘ oder: Visualisierung und Wahrnehmung einer unsichtbaren Bedrohung
Dossier "Epidemien. Kulturwissenschaftliche Ansichten"
Es ist unsichtbar. Selbst für hochmoderne Bilderzeugungstechnik ist das 80-160 Nanometer kleine Corona-Virus eine Herausforderung. Den Drang, das Unsichtbare und seine Wirkungsweise sichtbar zu machen, ihm eine Gestalt zu geben, begleitet die Menschheit, seitdem Epidemien immer wieder den Lebensraum bedrohen. Das Unsichtbare, das man nicht riechen, nicht schmecken und nicht anfassen kann, verunsichert zutiefst. Erst dem Bakteriologen Robert Koch (1843-1910) gelang es, Krankheitserreger sichtbar zu machen. Die Bilder der Wissenschaft erzeugen Nachvollziehbarkeit, Glaubwürdigkeit; sie vermitteln den Eindruck, das Unsichtbare zu beherrschen. Die globale Verbreitung des Corona-Virus macht uns zu Konsumenten räumlicher Datenanalysen und Location-Intelligence-Tools; interaktive Karten und Charts brechen die Komplexität des Virus und seiner Folgen herunter. Und doch herrscht große Verunsicherung. Denn die Nicht-Wahrnehmbarkeit verstärkt eine Atmosphäre der sozialen Bedrohung und des Misstrauens. Kriegsmetaphern werden bemüht, um dem unsichtbaren Feind den Kampf anzusagen.
Die „Kulturwissenschaftlichen Ansichten“ widmen sich in diesem Kapitel der Frage, wie das unsichtbare Virus, die Unsichtbarkeit von Epidemien über die Jahrhunderte sichtbar, greifbar, erfahrbar und lesbar gemacht wird, wie die Wahrnehmung der unsichtbaren Bedrohung Gesellschaften beeinflusst.