Covid-19 in Mali: Die unmerkliche Bedrohung
Von Ethnologin Prof. Dr. Dorothea Schulz
Wie auch in anderen afrikanischen Ländern hat sich in Mali in den vergangenen Monaten eine brodelnde Gerüchteküche rund um Covid-19 entwickelt. In Alltagsgesprächen erörtern Freundinnen, Nachbarn und Familienangehörige Übertragungswege und Ansteckungsgefahr von „corona“, ergehen sich in Mutmaßungen zu seiner Herkunft aus der Fremde und zu den Ursachen seiner massiven Verbreitung in Industrieländern, oder stellen sogar die Existenz des Virus und seine Verbreitung in Mali grundsätzlich in Frage. So hält sich beispielsweise seit Wochen hartnäckig das Gerücht in der Hauptstadt Bamako und anderen Städten Malis, dass Covid-19 zwar existiere, aber seine Existenz in Mali nicht erwiesen, sondern eine von der Regierung lancierte Falschmeldung sei, die darauf ziele, Hilfsgelder von internationalen Organisationen zum Zwecke privater Bereicherung zu mobilisieren.
Ähnlich wie in europäischen Gesellschaften lässt sich das Florieren dieser teilweise abstrus anmutenden Theorien unter Anderem unter Verweis auf die Unsichtbarkeit und Unfassbarkeit des Virus und seiner Übertragung erklären. Die Bedrohung, die vom Virus ausgeht, ist nicht mit den menschlichen Sinnen zu fassen. Sie erschließt sich der Sinneswahrnehmung nur indirekt und im Nachhinein, erst, wenn das Virus gewissermaßen schon zugeschlagen hat und sich in körperlichen Symptomen manifestiert. Für viele Malier sind selbst diese Symptome, insbesondere Husten, Schnupfen, Fieber nicht eindeutig. Denn schließlich stellen Erkältungssymptome während der Regenzeit, die vor einigen Wochen in Mali eingesetzt hat, eher die Regel, nicht die Ausnahme dar. Und auch die Zahl der Malariafälle, und damit der an Fieber Erkrankten, steigt in dieser Saison exponentiell, da die Bodenfeuchtigkeit die Vermehrung der Anopheles-Mücken fördert, die für die Übertragung von Malaria verantwortlich sind.
Die Uneindeutigkeit körperlicher Zeichen, die eine Ansteckung durch das Coronavirus belegen, verstärkt bei vielen Menschen das Gefühl, jederzeit, von überall und von jedem bedroht zu sein. Das Ergebnis ist eine höchst spannungsgeladene atmosphärische Mischung von sozialer Angst und gleichzeitiger Weigerung, die Existenz und Bedrohlichkeit des Virus anzuerkennen. Hier gibt es Parallelen, jedoch auch wesentliche Unterschiede zum HIV-Virus, das in den letzten 30 Jahren auch in Mali teilweise verheerende Folgen gezeitigt hat. Obwohl zunächst ebenso unsichtbar und un-merklich in seiner Übertragung, konnte die zerstörerische Macht von HIV-II anhand körperlicher Symptome wie extremer Magerkeit und Schwäche nachvollzogen werden. Im Falle von corona dagegen verweisen viele Zweifler auf die Beobachtung, dass diejenigen, die von Covid-19 genesen, gesund und oft sogar wohlgenährt aussehen. Gleichzeitig jedoch macht die Uneindeutigkeit der mit Covid-19 einhergehenden Symptome es auch für die Zweifler und Leugner unmöglich, die Verbreitung des Virus in Mali eindeutig zu widerlegen. So führt die Unlesbarkeit von corona dazu, bestehendes soziales und politisches Misstrauen zu verschärfen.