Sebastian Schröder
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Akziseorte in Westfalen

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Akzisestadt

Bei der „Akzisestadt“ handelt es sich um einen frühneuzeitlichen Stadttypus, der nahezu ausschließlich auf das Gebiet des preußischen Westfalens begrenzt ist. Die Akzise war eine Verbrauchssteuer auf alle die Stadt durchquerenden Waren und dort verkauften Güter. Der Historiker und Archivar Carl Haase prägte in seiner Studie „Die Entstehung der westfälischen Städte“ als einer der Ersten maßgeblich den Begriff der „Akzisestadt“. Dabei erweist sich bei den „Akzisestädten“ eine an mittelalterliche Kategorien (Autonomie, Ratsverfassung, Schwureinungen, Befestigung) anknüpfende Definition als problematisch.

Steuerpolitische Ziele hätten den preußischen König in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts bewogen, einen „völlig neuen Städtetyp“ zu schaffen, wie Haase erläuterte (Haase, Entstehung, S. 180). Haase führte aus: „Es werden nämlich geeignete, wirtschaftlich auf Handel und Gewerbe basierende größere Dörfer oder Minderstädte durch einfache Verordnung zu ‚Städten‘ erhoben und durch Steuergrenzen gegen das flache Land – wo man stattdessen Handel und Gewerbe einzuschränken sucht – abgegrenzt, ohne daß das doch topographisch für diese neuen Städte irgendwelche Folgen von Belang hätte“ (ebd.). Die neu gegründeten Städte sollten einen wichtigen Beitrag zur Finanzierung der im Entstehen begriffenen staatlichen Verwaltung und den damit verbundenen Aufgaben leisten. Motiv der Stadtwerdung war die Einführung der landesherrlichen Akzise. Diese Steuer konnte aus technischen Gründen nur in Städten erhoben werden; auf dem Land fehlten die Kontrollmöglichkeiten. Die zu Städten erhobenen Orte zeichneten sich durch eine gewisse wirtschaftliche Vorrangstellung gegenüber ihrem Umland aus. Es handelte sich ausnahmslos um Kirchenstandorte mit einer verkehrsgünstigen Lage. So kreuzten oftmals Fernstraßen die Ortschaften. Im Schatten der Gotteshäuser hatten sich deshalb schon seit dem ausgehenden Mittelalter Händler und Kaufleute angesiedelt. Vor allem in der Grafschaft Ravensberg veräußerten diese das im Umland hergestellte Garn und Leinen. Hinzu kam, dass die „Akzisestädte“ bereits vor ihrer Stadtwerdung als „Wigbolde“ oder „Flecken“ einen gewissen rechtlichen Sonderstatus genossen. Damit waren einerseits landesherrlich verbriefte Handelsprivilegien verbunden. Andererseits lassen sich Formen von Selbstverwaltung erkennen: Vorsteher (die mitunter als Bürgermeister bezeichnet wurden) standen an der Spitze dieser Gemeinwesen und versahen etwa die Aufsicht über die kommunalen Einnahmen und Ausgaben. Denn die Flecken und Wigbolde verfügten über eigene Liegenschaften und Nutzungsrechte an bestimmten Grundstücken. Außerdem organisierten sie zum Beispiel im mindischen Hausberge das Schützenwesen. Ein gewisser Vorrang vor den umliegenden Dörfern lässt sich darüber hinaus in sozialer Hinsicht beobachten: Im ravensbergischen Vlotho an der Weser hatten sich die Schiffer bereits im 17. Jahrhundert zu einer Gilde zusammengeschlossen. Durch Schenkungen und repräsentative Bauten brachten sie die von ihnen beanspruchte Stellung zum Ausdruck. Ähnlich verhielt es sich in Halle in der Grafschaft Ravensberg, wo einige wohlhabende Händler Porträtbilder von sich anfertigen ließen. Hier erfolgte also eine deutliche Unterscheidung durch die Bewohner der „Akzisestädte“ von den Bauerschaften des Umlandes.

Im Gegensatz zu den mittelalterlichen Städten fehlte es den „Akzisestädten“ des frühen 18. Jahrhunderts allerdings an Mauern oder Befestigungsanlagen. Der Charakter der Streusiedlung dominierte, wobei der Baubestand dann eben doch nicht mit demjenigen der benachbarten Dörfer vergleichbar ist: Ein Teil der Gebäude entsprach eher den Erfordernissen von Handel und Handwerk und war nur bedingt auf landwirtschaftliche Tätigkeit ausgelegt. Ferner waren steinerne Baumaterialien in den „Akzisestädten“ bereits im 18. Jahrhundert relativ weit verbreitet. Zum Sozialgefüge in den einstigen Flecken und Wigbolden muss jedoch konstatiert werden, dass dort neben freien auch eigenbehörige Personen lebten. Eigenbehörige waren nicht zur Zahlung der Akzise verpflichtet. Demzufolge trennten die preußischen Akzise- und Stadtreformen nicht nur zwischen Stadt und Land, sondern sie schufen gleichzeitig Trennlinien zwischen den Bewohnern innerhalb der neuen Städte. Ein autonom handelndes Ratsregiment lässt sich in den „Akzisestädten“ ebenfalls nicht erkennen. Hinzu kommt, dass die Einwohnerschaft der neuen Städte der landesherrlichen Gerichtsbarkeit unterstanden.

Führte Haase die Gründung der von ihm so genannten „Akzisestädte“ demnach vor allem auf finanzielle und wirtschaftliche Beweggründe des „absolutistischen“ Preußen zurück, so weitete der Historiker Friedrich-Wilhelm Hemann die Perspektive und schlussfolgerte, dass die „Akzisestädte“ als Stadttypus eine „Zwitterstellung“ einnehmen würden: „Die Charakteristika des eigenständigen neuzeitlichen Stadttyps Akzisestadt basieren im Wesentlichen auf der steuertechnischen Exemtion vom platten Lande und einer gewerberechtlichen Gleichstellung mit den alten Städten […]“ (Hemann, Akzisestädte, S. 41). Folglich setzte Hemann auch andere Akzentuierungen als Haase: „Es waren daher erst in zweiter Linie wirtschaftliche Erwägungen, die […] zur Erhebung der Wigbolde und Flecken führten – es war primär ein vom Merkantilismus geprägtes staatliches Ordnungsdenken, gepaart mit einer Optimierung steuerlicher Erfassung von Handel und Gewerbe bis in die letzte Ecke des Territoriums“ (ebd., S. 24).

Dieses staatliche Bestreben konnte jedoch noch bis weit ins 18. Jahrhundert hinein nicht alle Formen der lokalen Selbstverwaltung verdrängen. Zur Aufsicht der neuen Städte hatten die preußischen Landesherren Steuerräte bestellt, die als Ansprechpartner in allen städtischen Angelegenheiten fungierten. Trotzdem gelang es der Bewohnerschaft der „Akzisestädte“, einen Teil der hergebrachten Rechte zu bewahren. In Vlotho beispielsweise verpachteten die Vorsteher ohne Zutun der landesherrlichen Behörden das sogenannte Steinwegegeld. Und überhaupt existierte das Amt der Vorsteher häufig noch parallel neben dem vom Preußenkönig eingesetzten Magistrat weiter. Es kam zu einer eigentümlichen Verflechtung zwischen bürgerlicher Beharrungskraft und staatlichen Idealvorstellungen. Zusammengefasst heißt das: Die „Akzisestädte“ besitzen einen eigenständigen stadttypologischen Charakter, der sich mit den klassischen Kategorien mittelalterlicher Städte nur schwer in Einklang bringen lässt.

Sebastian Schröder (Dezember 2021)

Literaturhinweise:

  • Altenberend, Johannes/Beyer, Burkhard (Hg.): Akzisestädte im preußischen Westfalen. Die Stadtrechtsverleihungen von 1719 und die Steuerpolitik König Friedrich Wilhelms I. Beiträge der Tagung am 23. März 2019 in Bielefeld, Bielefeld 2020.
  • Haase, Carl: Die Entstehung der westfälischen Städte, 3. Aufl. Münster 1976.
  • Hemann, Friedrich-Wilhelm: Akzisestädte in Westfalen als Beispiele eines neuzeitlichen Städtetyps, in: 275 Jahre Stadtrechte 1719–1994: Bünde, Enger und Preußisch Oldendorf, hg. v. Sabine Bartezko/Andrea Plüss, Bielefeld 1994, S. 7–60.
  • Schröder, Sebastian: Aus Dörfern werden Städte. Die preußischen Akzisereformen von 1719 und ihre Auswirkungen auf Borgholzhausen, Halle, Versmold und Werther, in: Heimat-Jahrbuch Kreis Gütersloh 36 (2019), S. 67–75.
  • Ders.: Des Königs neue Stadt. Borgholzhausen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Eine Festschrift zum Jubiläum „300 Jahre Stadtrechte in Ravensberg 1719–2019“, Borgholzhausen 2019.
  • Ders.: Neue Städte braucht das Land! Bünde, Enger und Vlotho erhalten 1719 Stadtrechte, in: Historisches Jahrbuch für den Kreis Herford 27 (2020), S. 222–235.
  • Ders.: Wer regiert wen? Landesherrlicher Einfluss und lokale Kräfte in den ravensbergischen Akzisestädten des 18. Jahrhunderts, in: Westfälische Forschungen 72 (2022), S. 15–30.