Bergstadt
Als Bergstädte bezeichnet man städtische Siedlungen, deren Entwicklung in Verbindung mit dem Bergbau stand, die also aufgrund von Bodenschatzfunden gegründet oder umgestaltet wurden. Durch die Förderung der Vorkommen entstanden in recht kurzer Zeit Siedlungen mit umfassender technischer Infrastruktur, und die Zahl ihrer Einwohner stieg entsprechend stark an. Da die Bodenschätze häufig in wenig urbanisierten Regionen gefunden wurden, sind viele Bergstädte planmäßige Anlagen der jeweiligen Landesherren mit regelmäßigen Straßenzügen im Schachbrettmuster und einem quadratischen Markt (v.a. im sächs.-böhmischen Erzgebirge, z.B. Marienberg). Mit Hilfe der neu angelegten Städte sollte der Bergbau nicht nur mit den nötigen Arbeitskräften ausgestattet werden, sondern auch die Förderungen, Weiterverarbeitung und Verhandlung technisch wie organisatorisch geregelt werden. Eine Nähe zum Typ der Planstädte ist demnach gegeben, die Funktion als Bergbaustadt überwiegt jedoch mit ihren Spezifika.
Bereits im hohen Mittelalter gab es Städte, deren Aufschwung mit dem Abbau von Bodenschätzen in Verbindung stand, etwa Goslar (Rammelsberg seit 968), Freiberg in Sachsen (seit 1168/70) sowie Iglau und Kuttenberg (seit dem 12. Jh.) in Böhmen. Zahlreiche Regionen waren vom Berg- und Hüttenwesen geprägt, jedoch stieß man im Laufe der Frühen Neuzeit in vielen Abbaugebieten an die Grenzen der förderbaren Vorkommen. Der technische Fortschritt seit dem 15. Jh. und die gestiegene Nachfrage nach Edel- und Halbedelmetallen führten seit dem 16. Jh. zu einem regelrechten Boom, der zahlreiche Neugründungen mit sich brachte: Die Städte Schneeberg, Annaberg und Marienberg im sächsischen Erzgebirge, Andreasberg im Oberharz oder Clausthal im Landkreis Goslar sind Beispiele für diese erste Blütephase des Bergbaus. Die Kunde über neue Silber- oder andere Erzfunde, das sog. „Berggeschrey“, sorgte in kürzester Zeit für rasante Bevölkerungsverschiebungen. So besaß das 1496 gegründete Annaberg um 1500 3.000 Einwohner, 1508 bereits 6.000 und 1509 8.000 Einwohner. 1540 war Annaberg mit 12.000 Einwohnern eine der größten Städte Kursachsens. Für das 15. und 16. Jh. geht man von ca. 180 bis 200 Bergstädten in Mittel- und Ostmitteleuropa aus (Gerteis 1986, S. 18).
Die Forschung hat mittlerweile einen Zusammenhang zwischen der Art der abgebauten Bodenschätze und dem Grad der Urbanisierung der zugehörigen Siedlungen ausgemacht: „Erz- und Salzgänge förderten eher Zentralität, der flächige Steinkohlenabbau führt, von Ausnahmen abgesehen, zu Defiziten in der Zentralität, die Braunkohle entzieht sich der Urbanität“ (Reininghaus 2004, S. 331–332). Im Hinblick auf den Erzbergbau scheint der Einfluss auf die Entstehung bzw. den Ausbau von Städten umso größer gewesen zu sein, je hochwertiger das Produkt aus dem abgebauten Erz war. Silbererzabbau förderte die Städtebildung, da er aufgrund der großen zu bewegenden Gesteinsmassen arbeitsintensiv und zudem finanziell lukrativ war. Eisenerzabbau fand hingegen lange abseits von Städten statt.
In rechtlicher Hinsicht werden Bergstädte über die vom jeweiligen Landesherrn gewährten Privilegien definiert. Die sog. „Bergfreiheiten“ bedeuteten im engeren Sinne das Recht, die Bodenschätze im Rahmen vorgegebener Ordnungen frei zu fördern und zu nutzen. Konkret hieß dies für die Bergleute, dass sie freien Zugang zu Holz und Wasser hatten und ohne Einschränkungen schürfen durften – lediglich den Bergzehnten mussten sie ihrem jeweiligen Herrn leisten (Bergregal). Im weiteren Sinne konnten unter „Bergfreiheit“ aber auch zeitlich befristete Rechte der Landesherren oder gar die Gesamtheit der Privilegien zur Förderung des Bergbaus (Zoll- und Abgabefreiheit, Gewerbefreiheit etc.) bzw. die persönliche Freiheit der Bergleute gemeint sein. Die „Bergfreiheiten“ förderten den schnellen Aufstieg der Städte und das rasante Bevölkerungswachstum: So wurden über das reine Bergrecht hinaus weitergehende Privilegien für die Weiterverarbeitung und den Handel wie besondere Markt- und Zollrechte oder auch spezielle Brau- und Schankrechte gewährt. Charakteristisch für Bergstädte ist daher ein hohes Maß an städtischer Autonomie: Besonders früh wird ein städtischer Rat beispielsweise für das sächsische Freiberg erwähnt (um 1225 konstituiert). Über die weitreichenden Rechte zum Bau von Brot- und Fleischbänken, Waage und Mühle hinaus wurden zudem durch die Städte zahlreiche Gemeinschaftseinrichtungen installiert, die auf das körperliche und seelische Wohl und die besonderen Gefahren ihrer Arbeiter ausgerichtet waren. So gab es etwa Knappschaften, Kapellen und Kirchen, Spitäler und Apotheken. Aufgrund der technischen Anforderungen waren Bergstädte häufig Sitz wichtiger Schulen und seit dem 18. Jh. von Universitäten (Freiberg, Clausthal); Bergstädte wie Annaberg (Adam Riese; DNB) oder Joachimsthal (Georgius Agricola; DNB) wurden zu Zentren des Humanismus. Und auch in kunsthistorischer Hinsicht ermöglichte der aus den Bodenschätzen resultierende Reichtum der Bergstädte eine kulturelle Blüte.
Die Wechselwirkungen zwischen Stadt und Bergbau sind schwer zu systematisieren und teilweise widersprüchlich. Den positiven Aspekten des Bergbaus – städtisches Wachstum und finanzielle Prosperität – standen in jedem Fall auch negative Auswirkungen gegenüber. So führte die Konzentration auf den Bergbau beim Versiegen der Vorkommen oder dem Abbaustopp mangels Rentabilität häufig zu einem Niedergang der Stadt, im Einzelfall bis zum Dorf oder sogar zur Wüstung. Zudem berichten Zeitgenossen bereits für die Frühe Neuzeit von schwerwiegenden Umweltschäden durch die Montanwirtschaft: Immer wieder gab es Bergschäden (Senkungen), Probleme bei der Wasserversorgung durch das Sinken des Grundwasserspiegels und Verschmutzungen aller Art. Die Städte mussten in diesen Fällen Lösungen finden und Abhilfe schaffen, wobei die Kosten nur teilweise von den Verursachern getragen wurden.
Im 19. Jh. kam es im Zusammenhang mit dem Bergbau nicht mehr zu Städtegründungen, die vergleichbar mit denen der Frühen Neuzeit gewesen wären. Dennoch war der Bergbau für die Ruhrregion prägend im Hinblick auf die Struktur, das Wachstum und die Bevölkerung der Städte. Man kann von einem neuen Stadttypus der „Industriestadt“ sprechen, die zu Beginn des 20. Jh. aufgrund der dominierenden Erwerbsform besonders im Ruhrgebiet zu finden ist. Entsprechend hatte der „Strukturwandel“ im 20. Jh. gravierende Folgen für das Selbstverständnis, aber auch ganz konkret für die Lebens- und Arbeitssituation vor Ort. Essen ist ein Beispiel für den Aus- und Umbau im Zuge der boomenden Wirtschaft und des damit verbundenen Arbeitskräftebedarfs. Über die reine Montanindustrie hinaus entwickelte sich zwar auch ein Dienstleistungssektor, jedoch war die Dominanz der Schwerindustrie ein hindernder Faktor für die Ansiedlung anderer Industrien.
Angelika Lampen / Christine D. Schmidt (1.9.2014)