„Die Religion beschützt das Volk“
Päpstliche Bildpropaganda in pandemischen Krisen im 17. Jahrhundert
Von Kunsthistorikerin Prof. Dr. Eva-Bettina Krems
Während und nach der Pestepidemie in Rom 1656/57 wurden – wie in diesem Dossier schon erläutert – die segensreichen Maßnahmen im Kampf gegen die Seuche in diversen Bildmedien für die Nachwelt festgehalten. Sie feierten vor allem den amtierenden Papst Alexander VII. (reg. 1655-1667) als unerschrockenen Bezwinger der Pest. Erstaunlicherweise standen in dieser bildlichen Memoria weniger die religiösen als vielmehr die notwendigen gesundheitspolitischen Maßnahmen im Vordergrund, die in großformatigen Stichen festgehalten wurden, während man vergeblich z. B. eine Darstellung des Papstes in Anbetung wundertätiger Bildwerke im Rahmen von Prozessionen sucht, wie es etwa in der gemalten Memoria Papst Gregors I. (reg. 590-604) zu beobachten ist: Er hatte, so lautet die Überlieferung, während der Pestepidemie in Rom im Jahr 590 in litaniae majores, der großen Bittprozession mit Allerheiligenlitanei am Markustag (25. April), bei der die berühmte Marienikone „Salus populi romani“ vorangetragen worden sein soll, der Seuche Einhalt geboten.
Das engagierte Wirken des Stellvertreters Petri in seiner Stadt wird demgegenüber Mitte des 17. Jahrhunderts unter Alexander VII. wie eine Triumphfahrt eines Herrschers inszeniert, der dank seiner und vor allem der dem Papstamt innewohnenden sakralen Magnifizenz und Pietas den Sieg über die Pest errungen hat. Sein konsequentes Handeln ließ Alexander VII. auch in Medaillen verewigen.
Die wichtigste Medaille, die vom Heiligen Stuhl herausgegeben wurde, war die Medaglia annuale, die Jahresmedaille, die jedes Jahr am Peter-und-Pauls-Tag, dem 29. Juni, verteilt wurde. So hatte die Jahresmedaille von 1657 (Abb. 1) den Sieg über die Pest zum Thema – obwohl die Pest selbst erst zwei Monate später, im August 1657, für beendet erklärt wurde. Sie wurde vom hauptamtlichen Medailleur des Heiligen Stuhls, Gaspare Morone Mola, geschlagen. Dem Anspruch entsprechend als hochoffizielle Gedenkmünze, deren Thema und Gestaltung im Vorfeld besonders ausführlich bedacht und beraten wurde, lieferte der berühmte Künstler Gian Lorenzo Bernini den Entwurf (für die Rückseite). Auf der Vorderseite sehen wir Papst Alexander VII. im Brustbild im geschmückten Ornat nach rechts gewendet. Die von Bernini entworfene Rückseite zeigt auf der linken Seite des Bildfeldes vier Pestleidende, wobei das aufsteigende Terrain in der Darstellung dem gerundeten Rand entspricht. Ein weiteres Pestopfer wird noch im Mittelgrund erkennbar. Trotz des kleinen Formats von knapp 35 mm Durchmesser werden die Leidenden dramatisch unterschieden: Die vorderste geschwächte nackte Gestalt rückt plastisch nach vorn, ihr Haupt ist weit in den Nacken gelegt. Hinter diesem sterbenden Opfer hat sich eine weitere Figur offenbar mit letzter Kraft, auf Heilung hoffend, aufgerichtet. Mit dem nach oben gerichteten Blick gelten die flehenden betenden Hände der Figur Petri, die mit flatterndem Gewand in der oberen Bildhälfte als Retter heranrauscht, den rechten Arm nach unten ausgestreckt, während der linke die Schlüssel hält. Mit vehementer Kopfdrehung wendet sich Petrus zugleich nach rechts unten, wo der Todesengel mit Flammen-Schwert in der Rechten und einem Totenschädel in der Linken mit schnellen Schritten und wildbewegtem Gewand flieht. Die im gleißenden Licht strahlende Kuppel von St. Peter mit Nebenkuppeln und Fassade am linken Bildrand verweist unmissverständlich auf den Ort, wo das Wunder stattfindet. Die Inschrift auf der Medaille VT VMBRA ILLIVS LIBERARENTVR greift einen Passus aus den Apostelakten (APG 5,15) auf und damit Petrus als Heilenden, für den Kranke auf die Straßen gelegt wurden, „[…] ut, veniente Petro, saltem umbra illius obumbraret quemquam illorum, et liberarentur ab infirmitatibus suis.“ („[…] damit, wenn Petrus käme, wenigstens sein Schatten sie umschatte. Viele auch wurden von ihren Krankheiten befreit.“) Dieser Verweis auf die heilende Wirkung allein des Schattens des Apostelfürsten erklärt auch die grandiose Hell-Dunkel-Inszenierung in Berninis Vorzeichnung, die freilich in der ausgeführten Medaille kaum mehr zu erkennen ist.
Sicherlich in engem Austausch mit dem Papst entwarf Bernini eine von der üblichen Ikonographie von Pestmedaillen abweichende Form. Dabei waren solche Objekte mit dem Wunsch nach Erlösung von der Pest oder mit einem Dank für die überstandene Pestepidemie keine Seltenheit in der Frühen Neuzeit. Mit Gebeten, Altarstiftungen und Fürbitten suchte man Schutz und Hilfe bei den Heiligen und Nothelfern – allen voran Maria sowie den Heiligen Rochus und Sebastian –, die vor der Krankheit bewahren oder die bereits Erkrankten heilen sollten. Dieses bildliche Argument wird in der Medaille nicht aufgegriffen; auch der Papst wird nicht als Bittender und Vermittler dargestellt, was durchaus einer gängigen Ikonographie entsprochen hätte. Vielmehr scheint es Alexander VII. um ein Heldennarrativ des Papsttums gegangen zu sein mit Petrus als Protagonisten, als dessen Stellvertreter er auf Erden fungierte: Der päpstliche Glaube und die petrinische Schlüsselgewalt verhalfen dazu, die Pest zu besiegen. So zeigt die Vorderseite der Medaille Fides, den „Glauben“, auf dem Pluviale der Papstgewandung, ein geflügeltes Wesen mit Kreuz und Kelch. Der Papst ist zudem im sogenannten Humilitastypus dargestellt: Sein unbedecktes Haupt – ein Umstand, der nur während des Gebets vorkam – verbunden mit dem dezidiert liturgischen Ornat propagiert die geistliche Seite des Papsttums gegenüber der weltlichen. Es war somit die Pietas des Papstes, die zur heroischen Rettung Roms von der Pest geführt hat.
Die ebenfalls 1657 entstandene Medaille, die von Alberto Hamerani geschlagen wurde (Abb. 2), erscheint in ihrer Ikonographie konventioneller: Auf der Vorderseite ist der Papst mit Camauro und Mozzetta zu sehen, während die Rückseite ein geflügeltes weibliches Wesen, die Personifikation der Religion, zeigt. Fast lässig lehnt sie mit dem rechten Arm an einem Kreuz, während von ihrer Hand die Zügel eines Halfters baumeln, das Joch des Todes offenbar, denn triumphierend steht die Religion in der Pose eines jungen David auf dem Skelett, das den Tod symbolisiert. Ein Buch, wohl das Evangelium, reckt sie mit der Linken in die Höhe, den Blick fest darauf gerichtet. Die Inschrift „Populum Religione Tuetur“ („Die Religion beschützt das Volk“) erläutert in eingängiger Weise das Geschehen des durch die Religion besiegten (Pest-)Todes. Die bildliche Propaganda bedient sich hier eines Begründungsmusters, das, so scheint es, mit den von Alexander VII. so rigoros durchgeführten „profanen“ gesundheitspolitischen Maßnahmen im Kampf gegen die Pest kaum mehr vereinbar ist. Jedoch ließe sich dieser Triumphgedanke auch auf den auf Erden führenden religiösen Herrscher, den Papst, beziehen, der himmlische und irdische Hilfe in Krisenzeiten mit großem Erfolg zu aktivieren vermag.
In der medial erfassten Erinnerungskultur zur Pest 1656/57, wie sie hier ausschnitthaft in diesen Medaillen erläutert wurde, wird somit auf eine dem Amt des Stellvertreters Petri innewohnende Heilswirkung angespielt. In der politisch angespannten Lage Mitte des 17. Jahrhunderts, als die Rolle des Papstes bei Friedensprozessen wie dem Westfälischen Frieden von 1648 marginalisiert wurde und damit allgemein der Heilige Stuhl einen enormen politischen Machtverlust hinnehmen musste, ist diese Wirkung als Teil des Kampfes um den Primat des Papstes zu lesen, der um viele weitere legitimatorische Maßnahmen ergänzt wurde: Im Pestjahr 1657 nahm Bernini auch die großen Projekte der Cathedra Petri in St. Peter und der Kolonnaden auf dem Petersplatz in Angriff, die bis heute ihre enorme Wirkung entfalten – bis hin zu den beeindruckenden medialen Inszenierungen unter dem derzeit amtierenden Papst Franziskus I. in der Covid 19-Pandemie in den Jahren 2020 und 2021.