Die Autoren der mittelhochdeutschen Klassik ballen mitunter beschwerte Hebungen, um sprachspielerisch eine Stelle des Textes zu exponieren. Ein berühmtes Beispiel dafür findet sich in Wolframs von Eschenbach ›Parzival‹, in dem der viersilbige Name der zukünftigen Ehefrau des Titelhelden einen ganzen Vers füllt:
o o o o Condwîr âmûrs (Parzival 187,21), °i°i°i°t ^°
Jede Silbe dieses Verses trägt also eine Hebung.
(Das Außergewöhnliche dieser metrischen Konstruktion wird noch dadurch betont, dass bereits zehn Verse vor dieser Textstelle der Name ähnlich exponiert worden ist.)
Ein vergleichbares Spiel mit den Hebungen treibt Hartmann in den Versen 92f. des ›Armen Heinrich‹ bei der Integration der lateinischen Aussage ‚media vita / in morte sumus' in seinen mittelhochdeutschen Text (‚mitten im Leben sind wir [schon] im Tod’). Er gibt diese fünf Wörter in zwei Versen wieder.
Versuchen Sie im Folgenden nach dem bekannten Verfahren diese Verse metrisch zu beschreiben. Beginnen Sie mit dem Lesen:
92 ‚mêdiâ vîtâ 93 in morte sûmus’.
und setzen Sie dann die Akzente.
o o o o 92 ‚mêdiâ vîtâ o o o o 93 in morte sûmus’.
Wir setzen in beiden Versen, die jeweils auf ein zweisilbiges Wort enden, eine zweisilbig klingende Kadenz mit Haupt- und Nebenhebung an. (Da es sich nicht um deutsches Sprachmaterial handelt, wäre grundsätzlich auch an eine männlich einsilbige Kadenz zu denken; siehe hierzu Kapitel 1.1 'Der Takt' und Kapitel 2.1.21).
o o o p 92 ‚mêdi- â vî- tâ ° t r°i°i° z ^ ° o o o p 93 in morte sû- mus’. °i° t r°i° z ^°
Durch diese auffällige metrische Gestaltung wird das lateinische Sprichwort in den mittelhochdeutschen Reimpaarvers integriert und zugleich exponiert.