Wie bei der Analyse der ersten 100 Verse von Hartmanns von Aue ›Der arme Heinrich‹ klar wurde, ist das metrische Normalmaß im mittelhochdeutschen Reimpaarvers der regelmäßige Wechsel von einer betonten und einer unbetonten Silbe. In aller Regel steht dieser Wechsel im Einklang mit der natürlichen Betonung im Satz. Der alternierende Rhythmus wird wie folgt notiert: °t r ° t r ° (usw.).
Das hierbei verwendete Element r hat gewissermaßen eine Verwandtschaft mit dem aus der Mathematik geläufigen x, das dort eine Variable oder Unbekannte bezeichnet. Das metrische r ist nämlich auch im mittelhochdeutschen Reimpaarvers insofern eine "Unbekannte", als die phonetische Qualität der damit beschriebenen Silbe für den alternierenden Rhythmus gleichgültig ist.
Sobald aber vom alternierenden Rhythmus abgewichen wird, spielt die phonetische Qualität der betroffenen Silben eine Rolle. Folgerichtig ändert sich in diesen Fällen auch die metrische Notation (vgl. beschwerte Hebung i, gespaltene Hebung wqr, gespaltene Senkung tqq).
Die mittelhochdeutsche Metrik ist also eine Mischmetrik. Sie mischt das germanische metrische Prinzip des akzentuierenden (rhythmischen) Versverständnisses mit dem antiken Metrikverständnis (vgl. Hexameter), denn in griechischen oder lateinischen Versen muss stets das exakt zu einem vorgegebenen Versmaß passende Wortmaterial gefunden werden, so dass jede einzelne Silbe in Länge und Kürze dem Versmaß angepasst wird. Das akzentuierende Versverständnis ist dagegen der natürlichen Satzmelodie verpflichtet, allerdings in einer bei den mittelhochdeutschen Dichtern bereits zum alternierenden Rhythmus weiterentwickelten Form (vgl. dagegen den germanischen Stabreim mit seiner ausgeprägten Senkungsfreiheit). Der alternierende Rhythmus des mittelhochdeutschen Verses folgt also letztlich dem germanischen Prinzip, die Abweichungen davon folgen dem antiken, weil hier die phonetische Qualität der jeweiligen Silbe zu beachten ist.