• 1. Grundsätzliches

  • 2. Der höfische Reimpaarvers
  • 2.1 Textbeispiel: Der arme Heinrich
  • 2.1.1 Der erste Vers
  • 2.1.2 Der zweite Vers
  • 2.1.3 Der dritte Vers
  • 2.1.4 Versübergreifende Aspekte
  • 2.1.5 Der vierte Vers
  • 2.1.6 Der fünfte Vers
  • 2.1.7 Der sechste Vers
  • 2.1.8 Der siebte Vers
  • 2.1.9 Der achte Vers
  • 2.1.10 Übung: Verse 9-16
  • 2.1.11 Der 17. Vers
  • 2.1.12 Übung: Verse 18-22
  • 2.1.13 Der 23. Vers
  • 2.1.14 Die männlich zweisilbige Kadenz
  • 2.1.15 Übung: Verse 24-33
  • 2.1.16 Der 34. Vers
  • 2.1.17 Der übervolle Takt
  • 2.1.18 Übung: Verse 35-39
  • 2.1.19 Der 40. Vers
  • 2.1.20 Übung: Verse 41-46
  • 2.1.21 Der 47. Vers
  • 2.1.22 Kadenzen
  • 2.1.23 Übung: Vers 48-54
  • 2.1.24 Vers 55
  • 2.1.25 Übung: Vers 56-91
  • 2.1.26 Verse 92 und 93
  • 2.1.27 Übung: Vers 94-100
  • 2.1.28 Quiz
  • 2.2 Alternierender Rhythmus
  • 2.3 Metrik und Editionsphilologie

  • 3. Strophik

  • 4. Der Leich
  • 2.1.4 Versübergreifende Aspekte (Synaphie, Asynaphie)

    Sie haben jetzt bereits die ersten drei Verse des ›Armen Heinrich‹ von Hartmann von Aue metrisch analysiert. Hartmanns Erzählung ist im so genannten Reimpaarvers gedichtet, der sich in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts gleichsam als Standardversmaß für epische Dichtungen in Deutschland längst durchgesetzt hatte. Seine Verse sind jeweils durch Endreim paarweise verbunden (aa bb cc etc.).

    Dieses Versmaß ermöglicht bei recht einfachen Grundbedingungen eine erhebliche Flexibilität in der konkreten Ausgestaltung, sodass die Texte im Vortrag variable Muster bilden. Wir werden uns jetzt etwas intensiver mit dem Klangbild befassen, das die ersten drei Verse des ›Armen Heinrich‹ im Zusammenspiel ergeben. Sie sollten diese einmal im Zusammenhang laut lesen:

                       o       o      o        o
         1     Ein ritter sô gelêret was 
                 r °t  r°t  r°tr°  t   ^ °
                  o        o           o           o
         2     daz er an den buochen las
               °t   r°t    r ° t     r ° t ^ °
                         o         o            o         o
         3     swaz er dar an geschriben vant
                    r °t   r °t   r°   t  r  ° t  ^ °

    Eine metrisch orientierte Lesung können Sie im Anschluss hier anhören:

    Betrachtet man das Zusammenspiel von Metrik und Semantik, d. h. die Bedeutung jener Wörter, die durch Betonung hervorgehoben werden, dann wird deutlich: Im ersten Vers werden die sinntragenden Wörter ritter, , gelêret und was metrisch betont; der im Auftakt stehende unbestimmte Artikel bleibt ohne Akzent. Der zweite Vers beginnt ohne Auftakt mit einer betonten Konjunktion daz. Zu den weiteren durch das Metrum hervorgehobenen Wörtern gehören buochen und las, sodass auch in diesem Vers semantisch wichtige Zusammenhänge durch die Metrik hervorgehoben werden.

    Der ansonsten regelmäßige Wechsel von Hebung und Senkung, also der alternierende Rhythmus, wird nur beim Übergang zwischen zwei Versen an einer Stelle durchbrochen, nämlich im Übergang von Vers 1 zu Vers 2 (…gelêret wás / dáz…).

    Das Aufeinandertreffen von zwei Hebungen am Ende des einen und am Beginn des folgenden Verses ohne dazwischenliegende Senkung nennt man Asynaphie. Auf Deutsch spricht man auch von ungefugten Versen, d. h. zwischen den beiden Hebungen steht beim Versübergang kein Fugenelement. Wenn ein solches Element vorliegt, also z. B. der eine Vers mit einer Senkung schließt und der Folgende mit einer Hebung beginnt, dann liegt ein gefugter Versübergang bzw. Synaphie vor.

    Dies ist in doppelter Hinsicht von Bedeutung: Erstens wird der sonst auf die Dauer vielleicht etwas monoton wirkende Wechsel von Hebung und Senkung unterbrochen, es kommt zu einem Spannungsaufbau. Zweitens wird durch das Aufeinandertreffen der Hebungen beim Versübergang eine enge sprechzeitliche Verbindung der beiden Verse, also im obigen Falle des Hauptsatzes mit dem Konsekutivsatz, hergestellt. Dies ist in diesem Falle sogar kulturgeschichtlich von Bedeutung, als hier die (um 1180 nicht gerade verbreitete) Fähigkeit eines Ritters, ganze Bücher studieren zu können, hervorgehoben wird.

    Betrachten Sie jetzt den Übergang von Vers 2 auf Vers 3 und lesen Sie ihn laut:

                  o        o           o           o
         2     daz er an den buochen las
               °t   r°t    r ° t     r ° t ^ °
                         o         o           o          o
         3     swaz er dar an geschriben vant
                    r °t   r °t   r°  t   r ° t  ^ °

    Liegt Synaphie vor? Hören Sie unsere lautliche Realisation der Verse 2 und 3:

    Der dritte Vers hat also einen Auftakt und beginnt demnach mit einer Senkung, es liegt Synaphie vor, der Vers ist gefugt. Im Sprechen resultiert daraus eine gleichmäßigere Verbindung als sie zwischen den Versen 1 und 2 besteht.

    Sie sollten nun laut die Verse 3 und 4 lesen und überlegen, ob sie gefugt oder ungefugt sind:

         3     swaz er dar an geschriben vant
    4 der waz Hartmann genant

    Wahrscheinlich haben Sie erkannt, dass diese Verse nicht gefugt sind, Vers 3 also mit einer Hebung endet und Vers 4 keinen Auftakt hat. Dem Dichter kam es also darauf an, das zu seinem Namen hinführende der zu exponieren. (Eine zweite Variante der Asynaphie liegt z. B. bei den Versen 23 ff. vor, siehe dazu unten V. 24)

    Bevor wir die Analyse des vierten Verses vertiefen, halten wir fest:

    Auch versübergreifende Phänomene (Synaphie/ Asynaphie), die das syntaktische Gefüge unterstützen und Sinnstrukturen hervorheben können, sind bei der metrischen Analyse zu berücksichtigen!






    Lehrer Lämpel
    
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