
Von Dämonen und Teufelsfratzen
Ein Interview über vieldeutige Wesen in Kunst, Geschichte und Literatur
Dämonen – die schwer fassbaren Wesen spielen seit eh und je eine Rolle im Leben der Menschen. Deshalb untersuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Exzellenzcluster „Religion und Politik“ im Forschungsprojekt „Dämonen. Medialitäten zwischen Literatur und Kunst, Religion und Politik“ diachron und interdisziplinär, wie Menschen vom Mittelalter bis in die Gegenwart hinein die Idee der Existenz eines latent bedrohlichen, weder menschlichen noch göttlichen ‚Anderen‘ in ihren jeweiligen kulturellen Medien verarbeiten. Erste Einblicke in die Forschung gab die Projektgruppe im Wintersemester 2024/25 in einer sechsteiligen Ringvorlesung unter dem Titel „Dämonen. Spiritualität – Erscheinungen – Materialität“. Ein Gespräch mit Kunsthistorikerin Eva Krems, Literaturwissenschaftlerin Martina Wagner-Egelhaaf und Historiker Nikolas Funke (alle Universität Münster):
Über sämtliche Epochen, Kulturen und Disziplinen hinweg faszinieren Dämonen die Menschen. In Ihrem Forschungsprojekt „Dämonen. Medialitäten zwischen Literatur und Kunst, Religion und Politik“ befassen Sie sich mit diesen schwer fassbaren Wesen. Worüber forschen Sie in Ihrer jeweiligen Disziplin?
Wagner-Egelhaaf: Wir alle haben unterschiedliche Zugänge zu dem Forschungsfeld der Dämonen. Ich als Literaturwissenschaftlerin interessiere mich natürlich für Dämonen als literarische Figuren, speziell für das Spannungsverhältnis zwischen den verkörperten Dämonen und dem abstrakten Konzept des Dämonischen. Wie stehen sie zueinander? Und welche Funktion hat eigentlich die als Metapher gebrauchte Redeweise von Dämonen in der Moderne, in der die Menschen ja gar nicht mehr an real existente Dämonen glauben. Das Faszinierende ist, dass die modernen Dämonen, auch wenn sie metaphorisch zu verstehen sind, in der Literatur und auf dem Theater auf höchst einfallsreiche Weise Gestalt annehmen.
Funke: Aus historischer Sicht interessiert uns zum Beispiel, wie man in der Frühen Neuzeit Dämonen wahrnahm, oder wie man ihre Handlungsweisen in der konkreten Lebenswelt nachweisen konnte. Abgesehen von definitorischen Fragen, wer oder was Dämonen eigentlich sind, waren die Möglichkeiten der dämonischen Interaktion, der dämonischen Verführung und auch des Schadenszaubers für die Menschen im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit absolut real und wurden im Alltag oft ganz konkret erlebt, man nahm sie also ernst. Insofern ist das ein interessanter Unterschied zu dieser metaphorischen Sicht auf Dämonen, die man dann in der Moderne findet.
Krems: Aus kunsthistorischer Perspektive ist besonders spannend, dass man sich von Dämonen eigentlich gar keine Vorstellung machen kann. Dämonen sind, wie in vielen Texten zu lesen ist, schwer fassbare Wesenheiten. Sie werden eigentlich relativ unspezifisch beschrieben, und das Metaphorische in der modernen Literatur wird flankiert von einer sehr stark körperlichen Darstellung in unterschiedlichen Medien. Uns im Fach Kunstgeschichte interessiert, wie vielfältig, aber auch wie doppel- und uneindeutig dieses Bild eines Dämons ist. Wie kann man überhaupt Dämonen darstellen und wie hat sich die Darstellung ab dem 14. Jahrhundert bis in die Gegenwart verändert?
Gibt es denn eine Definition von Dämonen?
Funke: Das ist eine schwer zu beantwortende Frage, denn solche Definitionen sind kulturell sehr unterschiedlich und wandeln sich im Laufe der Zeit. Im christlichen Europa gibt es bis in die Frühe Neuzeit eine Vielzahl von Wesen wie Feen oder Naturgeister, die irgendwo am Rande oder parallel zur Welt der Menschen und Tiere existieren, mit denen man interagieren kann und die hilfreich, nervig oder gefährlich sein können. Diese an sich eher uneindeutigen Wesen werden im 16. und 17.Jahrhundert dann aber relativ konsequent zu Dämonen umdefiniert, und hier zeigt sich, wie wandelbar und elastisch die Kategorie ‘Dämon’ ist.
Krems: Es gibt nicht DIE Dämonen, weder in der Kunstgeschichte noch in der Literatur oder der Geschichte. Wir forschen jetzt seit anderthalb Jahren in diesem Projekt am Exzellenzcluster und sind immer wieder fasziniert davon, dass man eben nicht zu einer Eindeutigkeit kommt, sondern der Dämon für Vieldeutigkeit steht, auch in seiner Darstellung. Und auch jedes Individuum hat, glaube ich, seine ganz eigene Vorstellung von Dämonen.
Wagner-Egelhaaf: Mein Ausgangspunkt sind die ,Diskursdämonen‘, wie ich sie nenne, etwa wenn die Rede ist von den Dämonen der Vergangenheit, den Dämonen der Geschichte, den Dämonen des Holocaust. Wenn man sich genauer anschaut, warum diese Metapher verwendet wird, dann ist da etwas, das wir erfassen möchten, das wir aber nicht so ohne Weiteres in den Griff bekommen und das uns beunruhigt: Dämonen sind da, sie suchen uns heim und wir müssen uns irgendwie dazu verhalten. Und für dieses beunruhigende Potenzial steht die Metapher des Dämonischen.
Was genau fasziniert uns Menschen an Dämonen?
Krems: Die Vorstellung von Dämonen scheint etwas zu triggern, und wir versuchen damit, eine außermenschliche Welt in unsere Welt zu holen und damit erfahrbar zu machen. Das Nicht-Greifbare scheint die Menschen seit eh und je zu bewegen und ihre Fantasie anzuregen. Deshalb spielt, denke ich, das Dämonische in Metaphorik und im Visuellen auch eine so große Rolle.
Wagner-Egelhaaf: Die Bereiche, in denen man heute dem Dämonischen visuell begegnet, z.B. im Film, in Computerspielen oder in der Fantasyliteratur, nutzen vielfach ganz schreckliche Teufelsdarstellungen, ja, Teufelsfratzen. Es ist eigentlich ein negatives, furchterregendes Bild von Dämonen, was man da findet. Und da spielt dann natürlich auch das Schaurige eine Rolle, etwas, das dann die reale Erfahrbarkeit in unserer alltäglichen Welt übersteigt. Und das ist besonders für die Literatur reizvoll.
Funke: Das Besondere bei vormodernen Dämonen ist ja, dass sie in unsere Lebenswelt einbrechen, sie sind nicht transzendent und nicht jenseitig. Man muss sich mit ihnen auseinandersetzen, denn sie stellen eine konkrete diesseitige Bedrohung dar, und deshalb würde ich mich von dem leicht positiven Wort „Faszination“ in diesem Zusammenhang lösen.
In der Kunst gibt es ganz unterschiedliche Darstellungsweisen von Dämonen, die teilweise auch zeitlich parallel auftauchen. Welche Beispiele aus der bildenden Kunst sind dafür stellvertretend?
Krems: Berühmt ist etwa Martin Schongauers Kupferstich „Die Versuchung des heiligen Antonius“, der Ende des 15. Jahrhunderts entstanden ist. Der schwebende Heilige wird von mehreren Dämonen gepeinigt, die als bizarre, furchterregende Mischwesen erscheinen, angelehnt an natürliche, zumeist tierische Lebewesen, deren Körperteile aber verfremdet und ins Monströse verzerrt sind. Dabei gleicht kein Wesen dem anderen. Doch schon wenige Jahre später, Anfang des 16. Jahrhunderts, hat Hieronymus Bosch in seinem Lissabonner Altar, der ebenfalls die Legende um den Heiligen Antonius zeigt, eine andere Dämonendarstellung präsentiert: Bosch kombiniert jeweils zwei verschiedene Elemente zu einer hybriden, grotesken Form. Dämonen erscheinen wie in einer verkehrten Welt als Vogel-Schiff, als Fisch-Boot oder auch als Schnabel-Mensch.
Andererseits wurden Dämonen auch oft in Anlehnung an menschliche Wesen dargestellt, ich denke beispielsweise an den „Höllensturz der Verdammten“ von Rubens (um 1620), der zahllose Dämonen zeigt, die die hilflos herabstürzenden nackten Verdammten malträtieren. Der historische Kontext ist jeweils wichtig, denn Rubens‘ Gemälde ist zur Zeit der Gegenreformation entstanden, im Auftrag eines katholischen Fürsten: Andersgläubige wurden nicht selten dämonisiert, die Grenzen zwischen Teuflischem und Menschlichem verschwimmen, und genau darin liegt das Verstörende.
Dämonen waren also nicht nur böse, sondern doppeldeutig, hybrid – und die Bedeutung des Dämonischen hat sich über Epochen hinweg verändert. Wie wird gerade diese Doppeldeutigkeit von Dämonen in den unterschiedlichen Forschungsdisziplinen sichtbar?
Krems: Wenn man beispielsweise neben der darstellenden Kunst die mittelalterliche Architektur anschaut, ist man manchmal erstaunt, was da für Wesen in skulpturaler Form zu finden sind, sei es etwa in Schlusssteinen von Gewölben, sei es in Säulenkapitellen. Dort gibt es relativ viele dämonische Wesen, sie tauchen an Grenzorten auf, so, als seien sie Wächter zwischen einer göttlich geordneten und einer teuflisch gestörten Welt. Aber was haben sie für eine Funktion? Wehren sie hier das Böse ab oder repräsentieren sie das Böse? Es gibt z. B. Wasserspeier an Kirchendächern, die das Wasser mit einem riesigen Schwall vom Gebäude wegführen. Man könnte dies so deuten, dass das Böse abgehalten werden soll. Aber genau diese Wasserspeier selbst sind im Grunde wie Dämonen, wie tierische oder hybride Wesen, geformt.
Funke: In der Antike bildeten Dämonen als Mittler das Band zwischen unserer Welt und der übersinnlichen Welt, und waren somit doppeldeutig. Im Christentum ist das dann aber ganz eindeutig: Die Engel – Angeloi, das sind die Botschafter – tun etwas Gutes, und die Dämonen – Daimones, gefallene Engel– wollen immer nur das Böse, auch wenn sie vorgeben, Menschen in einer konkreten Notlage helfen zu wollen. In der Reformationszeit werden die Päpste und die Reformatoren dann als Teufel dargestellt und verschiedene Personengruppen werden mit dem Teufel assoziiert, zum Beispiel Landsknechte, Andersgläubige oder Hexen.
Wagner-Egelhaaf: Auch in der gegenwärtigen Adaption des Dämonischen spielt die Ambiguität, die Doppeldeutigkeit, wieder eine ganz große Rolle, etwa in Romanen und Theaterstücken. Zu denken wäre z.B. an Olga Tokarczuks Roman Empusion aus dem Jahr 2023, der in gewisser Weise Thomas Manns Zauberberg (1924) neu erzählt und in dem Empusen, weibliche Dämoninnen, den, wie sich am Ende herausstellt, zweigeschlechtlichen Protagonisten begleiten. Eine beeindruckende Theaterperformance brachte das Theater Basel in der Spielzeit 2022/23 unter dem Titel Dämonen auf die Bühne und in den Stadtraum. Dabei wurde das, was als Wirklichkeit gilt, kritisch hinterfragt, indem dämonische Figuren für Verfremdung und Irritation sorgen.
Wie verhält es sich mit der Macht der Dämonen in der säkularen Moderne? Ist das Dämonische nur noch eine Metapher und ist die Dämonisierung vielleicht ein Versuch, das Böse zu definieren?
Wagner-Egelhaaf: Die Metapher des Dämonischen ist der Versuch, zu verstehen und sich gleichzeitig von einem Phänomen zu distanzieren, das man nicht so ohne Weiteres mit der eigenen Vorstellungswelt in Einklang bringen kann. Ein Beispiel: Trump und Putin werden heute häufig dämonisiert. Das sind Führer von Weltmächten, die unser Dasein und unser Weltbild, in dem wir aufgewachsen sind, zu bedrohen scheinen. Distanzieren und der Versuch zu verstehen gehen hier Hand in Hand.
Krems: Dämonisierung ist nicht nur der Versuch einer Definition des Bösen, sondern auch des nicht Fassbaren. Nochmal Beispiel Donald Trump: In den Medien findet man immer wieder satirische Cartoons, in denen Trump im Verbund mit dem Teufel gezeigt wird. Das ist meines Erachtens keine Banalisierung, sondern der Versuch, das zu zeigen, was für uns unerklärlich ist, was jenseits der Vernunft passiert. Das wird uns weiter beschäftigen. Und deshalb richten wir im April eine Tagung aus, die nach den Prozessen der Dämonisierung fragt und sind gespannt auf weitere neue Erkenntnisse. (pie/tec)