Pommersche Geldgeschichte: Witten aus der Hansezeit am Beispiel einer Münze aus Greifswald
Ein spätmittelalterlicher Witten der Stadt Greifswald nach 1389/90
Vorderseite: MONETA GRIPESWOLT; Greif nach links
Rückseite: DA LAVDEM DEO; Balkenschild auf kurzem Kreuz
AR, 1,22 g, 18 mm, Inv. Nr. 331/28
Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig, Inv. 331/28
vgl. Dannenberg, Pommern 209 und Leschhorn 1109
Denkt man an den europäischen Handel im Spätmittelalter, so kommt man an der großen norddeutschen Hanse nicht vorbei. Nachdem sich die Hanse von einem Zusammenschluss der Kaufmänner hin zur Städtehanse entwickelt hatte, ging Lübeck als eine der dominantesten Städte hervor. Um den Handel zu erleichtern und zu fördern, fanden sich die Städte in verschiedenen (regionalen) Münzvereinen zusammen und einigten sich auf jeweils einheitliche Münzfüße. Der Münzfuß legte letztlich den Wert der Münze fest, denn er bestimmte das Verhältnis von Münzgewicht und Feingehalt des Edelmetalls. Im Falle des Wendischen Münzvereins (seit 1379) setzte sich die Lübische (also Lübecker) Mark, die bereits weite Teile des norddeutschen Handels dominierte, als Grundlage der anderen Münznominale durch. In Pommern wurden bis dahin hauptsächlich noch Brakteaten und Denare sowie in großer Menge als Kleinsilber die sogenannten Vinkenaugen geprägt.
Der Einfluss der Städte bei der Münzprägung nahm auch in Pommern ab dem 14. Jahrhundert zu. Zunächst erwarb Stettin das Münzrecht, erst auf begrenzte Zeit, dann dauerhaft. Obgleich Stettin also das älteste Münzrecht hatte, reichten die Privilegien von Demmin und Stralsund weiter: Sie hatten die Aufsicht über die Prägung selbst inne und auch die volle Freiheit hinsichtlich der Wahl des Münzfußes. Greifswald (1249/50 von Wartislaw III. zur Stadt erhoben) erhielt letzteres Privileg 1389 ebenfalls, während z. B. in Anklam, Gartz und Pyritz der Münzfuß durch den Landesherren vorgeschrieben wurde.
Stralsund erkaufte sich 1325 endgültig das Münzrecht von Herzog Wartislaw IV. Hiermit setzte sich ein neuer Münzfuß im Herzogtum Pommern durch und spätestens seit dem zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts hatte sich die Sundische Mark (auch Rostock-Stralsundischer Fuß) fest etabliert. Diese war etwas leichter als ihr Lübecker Gegenstück und konnte ursprünglich im 3:2-Verhältnis umgerechnet werden. Der Aufbau der Währung blieb allerdings gleich: Eine Mark entsprach 16 Schillingen zu je 12 Pfennigen (1 Mark = 192 Pfennige). Auch wurden nach Lübecker Vorbild Mehrfachpfennige (also kleine Groschenmünzen), sogenannte Witten zu vier Pfennigen geprägt. Dieses Nominal verbreitete sich schnell auch in Pommern. Obwohl die Mark lübisch und die Mark sundisch gut verrechenbar waren und die Städte zunächst durchaus kooperierten (wie mit dem Vertrag von 1389), war das sundische Geld in Lübeck nicht gern gesehen – teilweise sogar verboten. Der Wendische Münzverein (aus dem Stralsund und Rostock 1384 ausgetreten waren) betrieb damals eine aggressive Geldpolitik, um fremdes Geld im eigenen Territorium zu verdrängen. Dies war wohl eine von mehreren Ursachen für eine Phase der Verschlechterung der sundischen Währung ab 1410. Der Kurs rauschte von stabilen ≈ 1,6 sundisch je Lübische Mark auf ≈ 1,9 innerhalb eines Jahres. Nach mehreren Versuchen die Finanzkrise der sundischen Währung einzudämmen, gelang es erst mit dem Vertrag von 1428 zwischen den pommerschen Städten und den ebenfalls prägenden Herzögen (Pommern durchlief mehrere Landesteilungen und wurde folglich von mehreren Herzögen regiert) die Sundische Mark wieder zu stabilisieren. Die Vielseitigkeit der städtischen Münzprägungen blieb allerdings bestehen, bis 1489 Herzog Bogislaw X. »der Große« mit einer Münzreform die Münzprägung fast vollständig an sich riss und bis auf die Ausnahme Stralsunds jeglicher städtischer Münzprägung ein Ende setzte.
Der hier vorgestellte Greifswalder Witten (eine Silbermünze), der exemplarisch für die pommerschen Witten aus dem Ende des 14./15. Jh. steht, zeigt auf dem Avers den Greifen als Landeswappen. Leicht könnte man meinen, die Münze sollte so gedreht werden, dass der Greif auf allen vier Beinen steht, doch dies trifft keineswegs zu. Ein Vergleich mit anderen Darstellungen des Greifen als Wappentier der gleichnamigen Herzogsdynastie zeigt, dass der Greif aufrecht auf den Hinterbeinen schreitet und die beiden Krallen nach vorne ausstreckt – die rechte stehts höher als die linke. Die Legende in gotischen Buchstaben, die wie bei den meisten Münzen von innen gelesen werden muss, beginnt demnach oben am kleinen Kreuz: MONET[A G]RIPESWOLT. Der Revers zeigt nicht – wie man leicht erwarten könnte – das Stadtwappen (bis heute ein Greif mit der linken Hinterpranke auf gespaltenem, grünenden Baumstupf), sondern ein Balkenschild auf kurzem Kreuz. Hermann Dannenberg, dessen Bearbeitung der Münzgeschichte Pommerns im Mittelalter aus dem Jahre 1893/96 bis heute noch das geeignetste Übersichtswerk für Pommern ist, identifiziert es als Flaggenwappen mit eigentlich weißem Balken in rotem Feld. Bei dem sich dadurch ergebenen dreiteiligen rot-weiß-roten Wappen handelt es sich um eine Anlehnung an die Hanse-Schiffsflagge, unter der die Greifswalder Schiffe unterwegs waren. Auf dem Witten lautet die Legende: DA LAVDEM DEO. Der im Imperativ formulierte Wahlspruch lautet auf Deutsch: »Gib (dem) Gott Lob«. Auch dieser entspricht der Umschrift des Flaggenwappens; dort ist er zusätzlich durch die Gebetsschlussformel AMEN ergänzt (vgl. Ziegler, S. 245). Die Verwendung von Flaggenwappen statt Stadtwappen rührt wohl nicht nur aus der Vermeidung zweier Greifen auf den Münzen her, sondern weist deutlich auf die nicht zu unterschätzende Bedeutung der großen Hanse für die Stadt hin. Das Flaggenwappen mit der Gott lobenden Umschrift blieb noch für Jahrhunderte neben dem Stadtwappen bestehen; dies belegt zum Beispiel ein Holzrelief von 1728, das im Greifswalder Rathaus erhalten ist.
Für die Einordnung der Legenden und Abbilder ist ein Vergleich mit den entsprechenden Gegenstücken von anderen Prägestätten hilfreich. So lauten die Umschriften auf einer Münze aus Barth: MONETA DVCIS BART (Av.) und AVE MARIA GRA(TIA) (Rv.), und auf den Stralsunder Witten steht zumeist MONETA SVNDENSIS (Av.) und DEVS IN NOMINE TVO (Rv.). Auch die Rostocker und die wendischen Witten haben ähnliche Umschriften. Die Vorderseite gibt Aufschluss über den Prägeort und den Münzherren, der nach MONETA (dt. »Geld«) steht. Während in Barth der Herzog (lat. dux) als Landesherr das Münzrecht innehatte und in der Legend genannt wird, waren Greifswald und Stralsund im 15. Jahrhundert als Städte selbst die Münzherren. Doch auch über die Umschrift der Rückseiten lassen sich die Münzen den Städten anhand ihrer Wahlsprüche zuordnen.
Wie auch auf anderen pommerschen Witten ist bei dem hier präsentierten Greifswalder Exemplar der Greif auf dem Avers zu erkennen. Doch es gibt bei den Witten einige Abweichungen davon: Die Stralsunder Münzen zeigen die drei Strahlen (Abb. 1), die auch in der Stralsunder Hanseflagge enthalten waren und bis heute noch im Stadtwappen wiederzufinden sind. Die Rückseiten zeigen bei den meisten pommerschen Witten ein Kreuz (einige lang, andere kurz). Im Falle Greifswalds ist es mit Flaggenwappen und auf einigen Stralsunder Münzen mit einem großen S ergänzt. Bei diversen Städten findet sich hin und wieder eine vierblättrige Rosette oder ein Stern (in Bezug auf die Lübecker Münzen) in der Mitte des Kreuzes. Doch auch bei der Rückseite gibt es Ausnahmen: Die Demminer Witten zeigen beispielsweise den Greifen als Landeswappen auf der einen und eine Lilie als Kennzeichen der Stadt auf der anderen Seite. Durch die zahlreichen Varianten der Witten, ist es gelegentlich schwierig, zu bewerten, welche Seite als Hauptseite (mithin als Vorderseite) und welche als Rückseite anzusehen ist.
Obwohl die Witten sich weit in Pommern verbreiteten, ist eine klare Grenze mitten durch Pommern erkennbar. Die östlichsten Wittenprägungen stammen aus Wollin (Wolin), Stettin (Szczecin) und Stargard (Stargard Szczeciński). Wiederum weiter östlich entwickelte sich im späten 14. und frühen 15. Jahrhundert eine vom lübisch-sundischen Währungssystem losgekoppelte Währungslandschaft, in der die Witten nur eine marginale Rolle spielten. Schatzfunde deuten darauf hin, dass in weiten Teilen Hinterpommerns die kleinen pommerschen Pfennige (also Vierchen und Vinkenaugen) das dominierende Zahlungsmittel waren.
Nach Westen verbreitete sich das lübische und das sundische Geld dagegen deutlich weiter. Neben dem Rheingebiet war es vor allem in Skandinavien – besonders in Schonen (Skåne) –, wo sowohl lübische, wie auch sundische Münzen auf den Märkten im Umlauf waren. Die hanseatischen Witten gelangten in beachtlicher Menge auch in den westfälischen Raum. So darf es nicht verwundern, dass zahlreiche dieser Münzen auch Gegenstempel von Münster, Soest, Ravensberg oder Osnabrück aufweisen. Diese Gegenstempel (auch Kontermarken genannt) sind kleine Markierungen auf Münzen, um z. B. Wertveränderungen anzuzeigen. Doch können sie auch als Ausdruck der Unsicherheit mit Blick auf die zahlreichen im Umlauf befindlichen Geldsorten verstanden werden. Sie lassen sich anhand ihrer Darstellungen den Städten zuordnen; der Osnabrücker Gegenstempel lässt sich zum Beispiel leicht am Rad und der von Münster am Pauluskopf erkennen.
Die pommersche Wittenprägung stellt einen spannenden, aber bisher nur wenig erforschten Bereich der landesgeschichtlichen, wie der hanseatischen Geldgeschichte dar. Das Verhältnis der Herzöge zu den Städten, das der wendischen zu den sundisch prägenden Städten oder das der Prägestädte zu den gegenstempelnden Institutionen – dies alles ist neben den wirtschaftsgeschichtlichen Aspekten an den hanseatischen Witten aus Pommern ablesbar.
(Ingvar Lindqvist, Teilnehmer der Herbstschule 2024)
Hilfreiche Literatur:
- H. Dannenberg, Münzgeschichte Pommerns im Mittelalter (Berlin 1893/96)
- W. Jesse: Der Wendische Münzverein (Braunschweig 1927)
- J. Johannes, Die Münzen der pommerschen Herzöge, Quellen zur pommerschen Geschichte 9 (Köln – Wien 1980)
- J. Krüger, Die Münzprägung der pommerschen Herzöge, in: N. Buske – J. Krüger – R.-G. Werlich, Die Herzöge von Pommern, Forschungen zur pommerschen Geschichte 45 (Wien – Köln – Weimar 2012) S. 49–106
- W. Leschhorn, Mittelalterliche Münzen (Braunschweig 2015)
- M. North, Geldumlaufssysteme und Zahlungsverkehr in Nordwesteuropa 1300–1800, Beiträge zur Geldgeschichte der späten Hansezeit (Köln – Wien 1989)
- G. Stefke, Sundisches, lübisches und flandisches Geld und der kaufmännische Wechselverkehr zwischen Brügge und Stralsund im ersten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts – nach Hildebrand Veckingchusens Buchführung und anderen gleichzeitigen Quellen, in: N. Jörn – D. Kattinger – H. Wernicke, »kopet uns werk by tiden«. Walter Stark zum 75. Geburtstag (Schwerin 1999)
- S. Steinbach, Die Osnabrücker Gegenstempel. Städtische Kontrollmechanismen des Geldverkehrs im Spätmittelalter, Osnabrücker Mitteilungen 125 (Osnabrück 2020)
- J. E. Ziegler, Geschichte der Stadt Greifswald (Greifswald 1897)