Münze des Monats

Juli 2024
© American Numismatic Society, New York

Anti-römische Propaganda im römischen Gewand: Ein Denar der Italiker aus dem Bundesgenossenkrieg

Denar (AR, 3,93 g / 6 h / 18,3 mm), unbekannte Münzstätte, ca. 90–88 v. Chr.

Vs.  VITELIV (»ITALIA« in oskischer Schrift, aufwärts; hier eine Transkription ins lat. Alphabet). Drapierte Büste des Mars n. r. mit einem über die Stirn hochgeschobenen korinthischen Helm. Dieser ist reich verziert und wird von einer langen Feder anstelle eines Helmbusches bekrönt. Zwischen Hals und Feder im Feld links das Wertzeichen X.

Rs.  C. PAAPI C. (in oskischer Schrift, spiegelverkehrt und linksläufig; hier eine Transkription ins lat. Alphabet). Vier Soldaten, zwei auf jeder Seite hintereinander gestaffelt, beugen sich einander zugewandt leicht nach vorne, um mit Schwertern in der ausgestreckten r. Hand ein Ferkel zu berühren, welches von einem knienden, n. r. aufblickenden Opferdiener in der Mitte mit beiden Armen n. l. festgehalten wird.

American Numismatic Society, New York City, Inv. 1944.100.876 (Nachlass von E. T. Newell)

Literatur: Friedländer 1850, S. 82 und Taf. IX Nr. 10; Sydenham 1952, S. 94 und Taf. 19 Nr. 637; Sambon 1973, S. 126 Nr. 215; Campana 1987, S. 79 und Taf. 5 Nr. 85b; Rutter 2001, S. 57 Nr. 425; Nademleinsky 2013, S. 37–39. 47–51 und Taf. 10 Nr. Bg6.

 

Auf den ersten Blick erscheint diese Münze wie ein gewöhnlicher römisch-republikanischer Denar, doch bei genauerer Betrachtung kommen Zweifel auf, denn die Legende ist offensichtlich nicht lateinisch. In Material, Größe, Gewicht und Erscheinungsbild gleicht die Münze hingegen römisch-republikanischen Denaren, doch stellt sie tatsächlich eine für lange Zeit letzte Kampfansage italischer Städte und Stämme an die (Münz-)Hoheit Roms dar.

Ein Grund für den Ausbruch des Bundesgenossenkrieges (91–87 v. Chr.) war die sogenannte italische Frage: Obwohl die italischen Verbündeten Roms militärische Pflichten erfüllen mussten, blieb ihnen politische Partizipation in Rom verwehrt. Durch das Eingreifen Stadtroms in die Landverteilung und Kompetenzen der italischen Gemeinden fürchteten sie zudem um ihren Besitz und ihre Privilegien. Ein Höhepunkt der Eskalation war mit der Ermordung des Volkstribunen M. Livius Drusus 91 v. Chr. erreicht, dessen umstrittenes Reformprogramm zuvor gescheitert war (App. civ. I 35–36). Ein Massaker in Asculum im Herbst desselben Jahres löste schließlich einen Aufstand aus, der sich rasant vor allem unter Marsern und Samniten ausbreitete; in Rom wurden jedoch Verhandlungen abgelehnt (App. civ. I 38–39). Bereits im Winter 91/90 v. Chr. organisierten sich die aufständischen Italiker föderal, ähnlich wie die römische Republik mit Senat, Konsuln und Prätoren. Die Stadt Corfinium, heute Corfinio in der Provinz L’Aquila, wurde zu ihrer Hauptstadt und erhielt den Namen Italia (Diod. XXXVII 2, 4–7).

Die literarische Überlieferung des Bundesgenossenkrieges ist lückenhaft, einseitig und widersprüchlich, und die Münzen der Aufständischen wurden in großem Maßstab während der Diktatur Sullas (82–79 v. Chr.) eingeschmolzen, weshalb dieses Exemplar ein wichtiges historisches Zeugnis ist. In den Kontext des Bundesgenossenkrieges wird die Münze vor allem aufgrund der Legende in oskischer Sprache eingeordnet. Die oskisch-umbrische Sprachgruppe war in Mittel- und Unteritalien verbreitet und ist bis ins 1. Jh. v. Chr. fassbar.

Mit beiden Seiten ist unsere ›Münze des Monats‹ eine Nachahmung des römischen Denars von Ti. Veturius (RRC 234/1, Abb. 1). Der Reverstypus einer (militärischen) Opfer-/Schwurszene ist das am häufigsten in der Münzprägung der Aufständischen verwendete Motiv. Während es in der römischen Reichsprägung immer zwei Soldaten mit einem knienden Opferdiener sind, variiert die Anzahl der umstehenden Soldaten auf den Münzen der Aufständischen (von zwei bis hin zu acht rahmenden Figuren), was eine Weiterentwicklung und Erweiterung des Münzbildes darstellt. Wegen des daraus resultierenden Platzmangels halten die Soldaten in der Regel keine Lanzen mehr. Trotz der roheren Arbeit ist zu erkennen, dass die Figur rechts außen eine gegürtete Tunica nach kampanischen Vorbildern trägt – wie die entsprechende Figur auf dem Denar des Ti. Veturius.

Abb. 1: Denar des Ti. Veturius, ca. 137 v. Chr. (ANS, New York, Inv. 1937.158.593)
© American Numismatic Society, New York

Verschiedene Elemente der römischen Vorbilder lassen sich bei dieser Münze wiederfinden. Hier ist zunächst die Legende zu nennen: So verweist die Umschrift VITELIV, übersetzt ITALIA, wie die Legende ROMA der römischen Münzprägung (Abb. 1) auf die Personifikation des ›Staates‹ und schafft eine ähnliche Identifikationsstruktur. Zusammen mit dem Namen eines Feldherrn der Aufständischen auf dem Revers, C. Papius C. f. Mutilus, kann die Münze etwa 90–88 v. Chr. datiert werden; vielleicht erlaubt das Fehlen seines Titels imperator eine genauere Datierung. Möglicherweise wurde die Münze kraft seines Konsulats auf seinem Feldzug in Kampanien geprägt, weil er fernab von der Hauptstadt Italia und dem restlichen Heer war.

Ikonographisch lässt sich die Figur auf dem Avers anhand des (korinthischen) Helmes sowie des Bartansatzes als Mars identifizieren. Abgesehen von der Hoffnung auf Kriegsglück könnte Mars aufgrund italischer Kulte auch mit Funktionen außerhalb des militärischen Bereiches assoziiert worden sein. Auf der Rückseite führen die vier umstehenden Soldaten und der kniende Opferdiener ein Voropfer aus, das wegen der gezückten Schwerter vermutlich auf eine archaisch-italische Ritualpraxis zurückgeht. Oft wird ein solches Voropfer eines Ferkels mit einem Bündnisschwur in Verbindung gebracht (vgl. Cic. de invent. II 30). Ein Bündnisschwur von den Aufständischen im Bundesgenossenkrieg ist jedoch nicht überliefert. Bleicken schlägt eine Interpretation als coniuratio, einer besonderen Form der außergewöhnlichen Truppenaushebung im Angesicht drängender Gefahr, vor. Diese habe einen sofortigen Kampf ermöglichen sollen, sodass insbesondere in Ermangelung eines kompetenten Magistraten die Soldaten sich freiwillig gegenseitig die Treue geschworen hätten.

Die Opfer-/Schwurszene scheint also Teil einer Zeremonie zur Konstituierung einer neuen gesamtitalischen Identität im Heer zu sein. Insbesondere die symmetrische Verdopplung der Kriegeranzahl gegenüber dem Vorbild (Abb. 1) stellt die große Menge sowie die Eintracht der Aufständischen dar. Es wäre möglich, dass Mars mit dem Opfer im Rahmen einer italischen Tradition wie des ver sacrum (vgl. Strab. 5, 4, 12) in Verbindung steht.

Auch wenn Details unklar bleiben, vermittelt der Denar der Italiker letztlich eine klare Botschaft. Die vielleicht im Rahmen eines Donativs oder einer Sonderemission geprägten Münzen postulierten die Souveränität der Aufständischen gegenüber der (Münz-)Hoheit Roms. Für das Recht auf politische Partizipation, die Wahrung von Würde und Souveränität ihrer Gemeinden sowie eigener Kultur beriefen die Italiker sich auf gesamtitalische Traditionen; dabei verwendeten und modifizierten sie römische Bilder, die sie für ihre eigene – antirömische – Propaganda nutzten.

(Florentin Orbons aus Köln, Teilnehmer der Numismatischen Herbstschule 2023)

 

Weiterführende Literatur

  • E. Bernareggi, Problemi della monetazione dei confederati italici durante la guerra sociale, Rivista italiana di numismatica e scienze affini 14, 1966, 61–90
  • J. Bleicken, Coniuratio. Die Schwurszene auf den Münzen und Gemmen der römischen Republik, Jahrbuch für Numismatik und Geldgeschichte 13, 1963, 51–70
  • A. Campana, La monetazione degli insorti italici durante la guerra sociale (91–87 a.C.) (Soliera 1987)
  • L. Cappelletti, Il giuramento degli Italici sulle monete del 90 a.C., Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 127, 1999, 85–92
  • J. Friedländer, Die oskischen Münzen (Leipzig 1850) 68–91
  • H. Nademleinsky, Der Bundesgenossenkrieg im Spiegel der Münzprägung, Masterarbeit Universität Wien (Wien 2013); online abrufbar unter https://utheses.univie.ac.at/detail/26089#
  • N. K. Rutter (Hrsg.), Italy. Historia Numorum 1 (London 2001)
  • A. Sambon, Les monnaies antiques de l’Italie 1 (Bologna 1973) 125–136
  • E. A. Sydenham, The coinage of the Roman republic (London 1952) 89–95

 

Typ- und Abbildungsnachweise:

http://numismatics.org/collection/1944.100.876 („Münze des Monats Juli 2024“)

http://numismatics.org/collection/1937.158.593 (Vergleichsabbildung)

https://numismatics.org/crro/id/rrc-234.1 (RRC 234/1)