Hand ab! Theatergeld – gestohlen dem Hoftheater in Braunschweig
VS: DEM | HOF-THEATER | V | Abb. springendes Ross | T. | IN | BR: | (Stern) GESTOHLEN. (Stern) (im gekerbtem Stabrand)
RS: (sieben Sterne) | Abb. Stab mit Jakobinermütze, daneben Theatermaske mit Schnüren und Dolch | HAND AB! | C. P. (im gekerbtem Stabrand)
rund / Messing / ø 24,6 mm / Stärke 1,07 mm / 3,17 g / Wendeprägung
Sammlung Bernd Thier
Literatur: Neumann (1868) Nr. 32877; Stahl (2012), S. 81–82, Nr. 0171; Menzel (2018) Nr. 4370.1
Die Numismatik unterscheidet streng nach Münzen, denen ein materieller Geldwert zugesprochen wird, mit denen man Waren oder Dienstleistungen erwerben und bezahlen kann, und Medaillen, die z. B. auf bestimmte Personen und Persönlichkeiten oder Ereignisse geprägt wurden. Daneben gibt es Marken und Zeichen aus den verschiedensten Materialen für die unterschiedlichsten Funktionen, bei denen in vielen Fällen auch der monetäre Aspekt einer realen Gegenleistung eine Rolle spielt. Eher unbekannt ist, das es auch münzähnliche „Marken“ gibt bei denen es nur darauf ankommt, das sie aussehen wie Geld aber eigentlich keinen wirklichen echten Münzcharakter haben, obwohl sie bei imaginären Geschäften verwendet werden. Gemeint sind hier nicht die Spielmarken oder das Spielgeld von Karten- oder anderen Gesellschaftsspielen oder das Spielgeld aus dem Kinderkaufladen, sondern speziell angefertigtes Theatergeld, das auf der Bühne als Requisite verwendet wird, wenn etwas oder jemand bezahlt wird oder Geld im Allgemeinen eine „Rolle“ spielt.
Phantasiescheine, die sich an Originalbanknoten orientieren oder exakte Papiergeldnachdrucke, heute oft auch als „Filmgeld“ bezeichnet, sind zahlreich bekannt. Neben der Verwendung als Zahlungsmittel bei einem Auftritt auf der Bühne gab es auch schon immer Aufführungen, bei denen „Theatergeld“ im Rahmen einer Inszenierung ins Publikum geworfen wurde. Diese Scheine wurden daher bewusst als Objekte für einen bestimmten Effekt eingesetzt und vom Publikum als Andenken zur Erinnerung an dieses Ereignis mitgenommen. Gleichzeitig dienten die Scheine als Werbemittel für das Theaterstück.
Tatsächlich gab es im 19. Jahrhundert auch speziell angefertigte Theatergeld-“Münzen“, die heute meist als Marken angesprochen werden, über deren genaue Funktion wenig bekannt ist. Ein solches ungewöhnliches Theatergeldstück soll nachfolgend vorgestellt werden.
Das aus Messing geprägte zweiseitige, eine Münze symbolisierende „Geldstück“ trägt auf der Vorderseite die Inschrift DEM HOF-THEATER IN BR: GESTOHLEN, wobei BR: als Braunschweig aufzulösen ist. Das winzige springende Pferd mit hängendem Schweif (Sachsenross) verweist als Wappentier des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg ebenfalls dorthin. Die Buchstaben V T. sind hierbei nicht als Initialen einer Person, sondern als Wertangabe V (5) T(aler) zu lesen.
Auf der Rückseite seht die Aufforderung HAND AB! als Konsequenz des auf der Vorderseite beschriebenen Tatbestandes eines Diebstahls. Diese heute martialisch anmutende Bestrafung geht auf das mittelalterliche Strafrecht der sogenannten spiegelnden Strafen (Spiegelstrafen) zurück, bei denen das vorausgegangene Vergehen widergespiegelt oder auf gleiche Weise erwidert wird und dessen Wiederholung somit unmöglich macht. Das Abhacken einer Hand verhindert, das der Täter einen weiteren Diebstahl begehen konnte. Diese Angabe auf einer Theatergeldmünze sollte daher mögliche Diebe dieser „Münze“ abschrecken.
Die in der Mitte der Rückseite dargestellten Gegenstände haben als Symbole zu gelten. Der Stab soll die Bereitschaft zur körperlichen Verteidigung der Freiheit darstellen, unterstrichen durch die darauf platzierte Mütze. Diese weist eine Borte und einen kleinen Bommel am Ende auf. Eigentlich handelt es sich daher um eine Nacht- oder Schlafmütze, die im Winter als Kälteschutz im Bett in ungeheizten Räumen getragen wurde um das Auskühlen des Kopfes zu verhindern. In der politischen Karikatur des 19. Jahrhunderts war sie aber zugleich das Attribut des „Deutschen Michel“, der nationalen Personifikation der Deutschen. In der französischen Revolution wurde eine ähnliche Mütze, angelehnt an die sogenannte Phrygischen Mütze (franz. bonnet rouge) der Antike von den Jakobinern als Ausdruck des politischen Bekenntnisses getragen, zur Freiheitsmütze für eine demokratische und republikanische Gesinnung. Hier kann daher die Mütze auf dem Stab als Zeichen der Freiheit der darstellenden Kunst gewertet werden.
Die Theatermaske mit den beiden Schüren an der Seite ist seit der Antike das Piktogramm für das Theaterschauspiel schlechthin. Die Maske ist hierbei ein Zeichen für die eigentliche Abwesenheit des realen Schauspielers hinter der Maske, da er ja nur eine Rolle, aber nicht sich selbst spielt.
Der kleine, oft versteckt getragene Dolch ist eine sehr beliebte Requisite bei Theaterstücken und steht einerseits als altes erotisches Symbol für den Phallus aber auch für den oft dramaturgisch inszenierten plötzlichen und heimtückischen Mord. Alle bildlichen Elemente spielen daher mit dem Thema Theater und erscheinen selten auf realen Münzen.
Schon Josef Neumann (1868) und Werner Helmut Stahl (2012) beschreiben die winzige Signatur C.P. auf der Rückseite, lösen diese aber nicht auf. Es ist anzunehmen, dass hiermit der Hersteller der „Marke“, die bekannte bereits 1778 gegründete Prägeanstalt Carl Poellath in Schrobenhausen in Bayern gemeint ist.
Einen ersten Hinweis zur Datierung des vorliegenden Stückes liefert die Erwähnung bei Neumann im Jahre 1868 bei der offenbar erstmaligen Beschreibung dieser „Marke“, die demnach vor diesem Jahr hergestellt worden sein muss. Neben dem vorliegenden Exemplar zu V (5) T.(aler) beschreibt Neumann außerdem ein ähnliches, etwas größeres Stück (Dm 27 mm) zu X (10) T.(aler) (Neumann 32878 / Knyphausen 9346 / Menzel 4370.1). Wolfgang Hasselmann datiert die „Marke“ ohne Begründung in das Jahr 1865.
Betrachtet man die als reale Inspirationsquelle dienenden vermutlichen „Vorbilder“ könnte aber auch eine frühere Herstellung in Betracht kommen. Gemeint sind die 5 und 10 Taler-Stücke des Herzogtums Braunschweig. Im 19. Jahrhundert wurden unter den Herzögen Friedrich Wilhelm (reg. 1806–1815), Karl (reg. 1815–1830) und Wilhelm (1831–1884) 10 Taler-Stücke (zu 2 Pistolen) von 1813 bis 1847 und 5 Taler-Stücke (zu 1 Pistole) zwischen 1814 und 1834 aus dem Gold des Harzes geprägt. Der Durchmesser der beiden „Marken“ (23 und 27 mm) entspricht dabei relativ genau jenem der echten Goldmünzen (5 Taler ca. 23,5 bis 24 mm / 10 Taler 24,5 bis 28,5 mm). Das heraldisch nach rechts springende Sachsenross als Wappentier des Herzogtums Braunschweig erscheint groß und einzeln aber nur auf den 10 Taler-Stücken von 1831, ansonsten wurde immer das mehrteilige Herzogswappen abgebildet. Sicherlich liefen die Goldmünzen auch noch nach dem Ende der Prägung um, aber eine Herstellung der „Marken“ in den Jahrzehnten der ersten Hälfte bis Mitte des 18. Jahrhunderts, längere Zeit vor der Ersterwähnung, wäre möglich.
Das Herzogliche Hoftheater wurde 1826 im bereits 1690 errichteten Opernhaus am Hagenmarkt in Braunschweig, in der Nachfolge des Nationaltheaters, eröffnet. Die letzte Vorstellung dort fand 1861 statt, das Theater in den Neubau des heute noch existierenden Staatstheaters Braunschweig verlegt. Daher wäre eine Herstellung z. B. im Zusammenhang mit der Eröffnung 1826 oder in den Jahren danach nicht auszuschließen, die Verwendung könnte allerdings Jahrzehnte umfasst haben.
Oft wird und wurde dieses „Geldstück“ als „Marke“ des Braunschweiger Hoftheaters angesprochen oder angeboten. Möglich wäre demnach theoretisch auch die Verwendung als Theater-Eintrittsmarke, die zum diskreten Betreten der Logen des Theaters für einen kleinen elitären Besucherkreis berechtigt hätte. Die vorliegende „Marke“ darf auch nicht mit Theater-Wertmarken verwechselt werden, mit denen die Zuschauer z. B. Dienstleistungen, Getränke oder Speisen beziehen konnten. Auch war es keine Theater-Gegenmarke, die man beim Verlassen des Theaters während einer Vorstellung oder in einer Pause von den Logendienern erhielt, um nachher wieder seinen Platz einnehmen zu können. In der Regel musste man für deren Erhalt als Pfand eine Geldsumme hinterlegen, die beim Nichterscheinen verfiel.
Einen ersten Hinweis auf die tatsächliche Verwendung liefert Josef Neumann 1868: Nach der freundlichen Mitteilung des Herrn Dr. Freudenthal handle es sich um Messingene Aushilfsmarke für Goldmünzen. Gemeint ist vermutlich der Braunschweiger Sammler Arthur Freudenthal, der eine umfangreich Sammlung von Kupfermünzen, Marken und Rechenpfennige hinterließ und die Verwendung der „Marken“ vermutlich als Augenzeuge beobachtet hatte.
Es handelt sich also – nach Wolfgang Hasselmann – um echtes Theater-Geld (Surrogat-Geld, Theater-Aushilfsmarken, Theater-Requisitengeld) und demnach um einen Ersatz für offizielles Umlaufgeld während einer Theateraufführung. Durch die spezielle Herstellung dieser Münzen sollte verhindert werden, dass Schauspieler oder das zahlenmäßig umfangreiche Bühnenpersonal gegebenenfalls für die Aufführung eingesetztes echtes Geld entwendeten. Die erhaltene Ordnung für das Braunschweiger Hoftheater aus dem Gründungsjahr 1826 liefert interessante Details zum Umgang mit den dort beschäftigten Statisten: Sie hatten, seien sie vom Militär- wie vom Civil-Stand, nach ihrem Auftritt das Theater sofort zu verlassen und durften sich nicht im Bereich hinter der Bühne aufhalten, also auch nicht das Stück weiter verfolgen. Vermutlich war dies auch ein Schutz vor Diebstahl, denn die gleiche Verordnung berichtet über die Sorgfalt im Umgang mit den Requisiten, zu denen eben auch das Theatergeld zählen würde: „Jedoch ist jeglicher Schauspieler selbst verpflichtet, sie gehörig nachzusehen, und das etwas Fehlende zu rechter Zeit zu fordern. Wem bei der Vorstellung ein Requisit durch sein Verschulden mangelt, erlegt 16 Ggr. zur Strafcasse. Sämtliche Requisiten werden sofort nach der Vorstellung von demjenigen, der sie erhielt, oder von dem, welchem sie nach der Vorschrift des Stückes auf der Bühne übergeben wurde, dem Requisiteur wieder zurückgeliefert, und ist das etwa Fehlendem seinem Werthe nach von dem Empfänger zu ersetzten.“
Über die allgemeine Verwendung von Geld auf der Bühne bzw. Theatergeld in der damaligen Zeit berichtet das 1841 herausgegebenen Theater-Lexikon von Düringer und Barthels: „Zum Theatergebrauch nimmt man gewöhnlich, statt des wirklichen Geldes, Zahl-(Spiel-)Marken. Nicht so schön, aber dem Verlieren od. Abhandenkommen weniger ausgesetzt, ist nach der Form des Geldes ausgeschnittenes Blech. Nur für einzelne Fälle und wo es in blanken Haufen gebraucht wird, z.B. Geld unter Verantwortung des Requisiteurs auf´s Theater zu bringen, da selten so viel u. besonders große Geldsorten vorstellendes Theatergeld in der Requisitenkammer vorhanden ist. Häufig kann man zweckmäßiger die Münzen durch Papiergeld od. Geldrollen ersetzten. Letztere von Holz, wenn sie auf den Boden fallen sollen, od. könnten, von Blei mit Papier überzogen, müssen nach der Form und Größe den wirklichen Geldrollen von der genannten Summe ähnlich sehen, sodaß z. B. nicht eine Rolle von 25 Rthlrn. für eine von 25 Louisd´ors gegeben wird etc.“
Da nachweislich Braunschweiger Goldmünzen zu 5 und 10 Talern als Inspiration und Vorbild für die Herstellung des Theatergeldes des Brauschweiger Hoftheaters dienten, lässt sich eine Entstehung dieser ungewöhnlichen Stücke in der Zeit zwischen 1826 und den 1840er/1850er Jahren vermuten. Wer die Idee dazu und vor allem zu der humorigen Inschrift hatte, ist nicht überliefert. Ohne einen triftigen Grund dürfte man den doch enormen Aufwand der Beschaffung jedoch nicht betrieben haben. Da die Stücke nur auf der Bühne, fernab des Publikums, verwendet wurden, dienten sie nicht zur Werbung für das Theater. Möglicherweise war es zuvor zu Diebstählen von echtem Geld gekommen. Außer den beiden „Marken“ aus Braunschweig sind lediglich ähnliche Stücke vom Königlichen Hoftheater in Hannover aus der Zeit um 1850 bekannt (Menzel Nr. 13630–13632). Knyphausen (Nr. 9347) erwähnt außerdem eine „Bleimarke“ mit der Datierung 1842 eines Herzoglichen Hof Theater im Stil eines 2 Franc-Stücke der französischen Könige, das er Braunschweig zuschriebt, was allerdings nicht nachgewiesen werden kann.
Ob die auf den Stücken erwähnte Strafe des Hand-Abhackens tatsächlich nach dem einem Diebstahl einer solchen Theatergeldmünze vollzogen wurde, ist nicht überliefert, aber wohl unwahrscheinlich. Die Tat wäre verjährt, der Besitz daher heute wohl ungefährlich.
(Bernd Thier)
Literatur:
- Arnold, Paul/Küthmann, Harald/Steinhilber, Dirk, Grosser Deutscher Münzkatalog von 1800 bis Heute, neu bearbeitet von Dieter Faßbender, 32. Auf., Regenstauf 2017, hier S. 104–121.
- Düringer, Ph. J./Barthels, H., Theater-Lexikon. Theoretisch-praktisches Handbuch für Vorstände, Mitglieder und Freunde des deutschen Theaters, Leipzig 1841, hier S. 518–519.
- Eisinger, Ralf, Das Hagenmarkt-Theater in Braunschweig (1690–1861), Braunschweiger Werkstücke 29, Braunschweig 1990, hier S. 234–256.
- Gesetzliche Ordnungen für das Herzogliche Hoftheater in Braunschweig, Braunschweig 1826.
- Hasselmann, Wolfgang, Marken und Zeichen Lexikon, Lexikon für die im deutschsprachigen Raum aus Metall geprägten Marken und Zeichen in 4 Bänden (Manuskript München, November 2001), erschienen nur als PDF auf CD-ROM im Verlag für digitale Publikationen Bogon, Berlin 2007, hier S. 1356 (Theater-Geld).
- Menzel, Peter, Deutschsprachige Notmünzen und Geldersatzmarken im In- und Ausland 1840 bis 2002, digitale Publikation auf CD-ROM, Winfried Bogon-Verlag Berlin 2018, hier S. 786, Nr. 4370.1,2 (Marken des Hoftheaters Braunschweig) und S. 2403, Nr. 13630–13632 (Marken des Hoftheaters in Hannover).
- Münz- und Medaillen-Kabinet des Grafen Karl zu Inn- und Knyphausen, Hannover 1872, hier Nr. 9346 (Marke des Hoftheaters Braunschweig) und 9347 (Marke des Hoftheaters Hannover).
- Neumann, Josef, Beschreibung der bekanntesten Kupfermünzen. Fünfter Band. Enthält die Beschreibung der Jetone und Marken aus Oesterreich, Russland, Frankreich und Deutschland, Prag 1868, hier S. 488, Nr. 32877–32878 (Marken des Hoftheaters Braunschweig).
- Stahl, Werner-Helmuth, Marken & Zeichen des 14. bis 19. Jahrhunderts. Schriften des Historischen Museums Frankfurt am Main 31, Frankfurt 2012, hier S. 81–82, Nr. 0170 (Marke des Hoftheaters Braunschweig)
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Nachtmütze:
Opernhaus am Hagenmarkt:
Spiegelstrafe: