Schweine auf Sizilien
Im Blog der American Numismatic Society (ANS) beschäftigte sich kürzlich der stellvertretende ANS-Collections Manager John Thomassen mit Pig Money (›Schweinegeld‹) und stellte die rhetorische Frage, ob es sich dabei um echte Münzen handele oder ob sich hier vielmehr jemand einen Spaß erlaubt habe (»authentic artifacts or numismatic nonsense?«). Natürlich handelt es sich bei seiner ›Pig Money‹-Lade um eine Auswahl an (durchaus originellen!) modernen Erfindungen, also Fälschungen, die ihren Vorbesitzern mitunter als besonders wertvolle Artefakte verkauft worden waren.
Dabei gibt es tatsächlich zahlreiche (wilde) Schweine auf antiken Münzen. Oft sind sie mythisch oder religiös aufgeladen. Eher selten sind es ›ganze‹ Schweine, meist ist nur ein Vorderteil abgebildet, eine sogenannte Protome. Besonders auf frühen griechischen und kleinasiatischen Münzen begegnen uns sogar geflügelte Schweine, die in den Bereich der mythischen Fabelwesen reichen und möglicherweise auf die Schnelligkeit und Gefährlichkeit der Tiere weisen. Die Gefahr, die von wildgewordenen Schweinen ausgeht, wird auch in den Geschichten um den Erymantischen oder den Kalydonischen Eber anschaulich illustriert. Es braucht große Helden der griechischen Mythologie wie Herakles oder Meleager und Atalante, um diese Tiere unschädlich zu machen.
Dass bestimmte Regionen des Mittelmeerraumes reich an Schwarzwildpopulationen waren, spiegelt sich beispielsweise in der Münzprägung von Lykien, einer Landschaft im Südwesten der heutigen Türkei, wo nahezu alle Münzen der archaischen und frühklassischen Zeit Wildschweine in verschiedener Form (meist als Protome, z.T. geflügelt, aber auch ganze Schweine) zeigen. Sie verweisen einerseits auf das zerstörerische Potenzial, das von den Rotten für Landwirtschaft und Bevölkerung ausging, mögen aber andererseits auch als Hinweis auf Wildschweinjagden als (standesgemäße) Beschäftigung von Herrschern und aristokratischer Elite gelesen werden.
Eindeutig positiv konnotiert sind die wenigen Abbildungen von (domestizierten) Schweinen auf römischen Münzen: Es sind Ferkel, die als Opfertiere zahlreiche Schwurszenen bevölkern (s. auch die letzte Münze des Monats Juli der italischen Verbündeten im Bundesgenossenkrieg), eine Sau mit Ferkeln im Rahmen der landwirtschaftlichen Denarserie Vespasians oder die sog. Lavinische Sau, die mit ihren zahlreichen Jungtieren als Sinnbild für Fruchtbarkeit und Fülle steht (unter Hadrian oder Antoninus Pius)
Unsere ›Münzen des Monats August‹ stammen aus dem Bereich der westgriechischen Welt und zeigen ebenfalls eher ungefährlich wirkende Schweine. Es sind sehr kleine Münzen, die aus Abakainon, einer kleinen Stadt im Nordosten Siziliens stammen, heute Tripi. Der Ort liegt nördlich des Ätna, im bergigen Hinterland auf einer Höhe von etwa 450m üNN. Erste neolithische Spuren zeugen von einer frühen Besiedelung, die eigentliche Stadtgründung inmitten einer waldreichen und fruchtbaren Umgebung erfolgte durch die Sikuler, eine in Sizilien neben den Sikanern indigene Bevölkerungsgruppe. Die antiken Autoren berichten nur wenig über Abakainon, so wissen wir lediglich, dass die Stadt mit Karthago verbündet war, in den syrakusanisch-karthagischen Auseinandersetzungen des frühen 4. Jhs. v. Chr. letztlich auf der ›falschen Seite‹ stand und daher Gebietsverluste hinnehmen musste.
Umso interessanter sind daher die Münzen, die der kleine Ort ab der zweiten Hälfte des 5. Jhs. v. Chr. ausgab, denn hier spiegelt sich lokale Identität: Dies sind zunächst ausschließlich Kleinsilbermünzen, sie tragen das meist abgekürzte Ethnikon ΑΒΑ(καινίνον), manchmal auf Vorder- und Rückseite verteilt, und ALLE zeigen Schweine. Was steckt dahinter?
Es handelt sich meist um sog. Litren (mit einem Gewicht von ca. 0,6-0,8 g, Durchmesser ca. 10-13 mm) mit männlichen Köpfen im Profil auf der Vorderseite und später einem nahezu frontalen Nymphenkopf. Den männlichen Gottheiten auf der Vorderseite wurde offenbar ein Eber auf der Rückseite (oft in Kombination mit einer Eichel), der Nymphe eine Sau mit ihrem Ferkel gegenübergestellt (Abb. 1). Auch die selteneren Halbstücke, Hemilitren (mit einem Gewicht von ca. 0,3 g, ca. 9-10 mm) zeigen im 5. Jh. ausschließlich Schweine.
Die Stempelschneider gaben sich Mühe, die kleinen Nominale detaillreich und unterschiedlich zu gestalten, dennoch braucht es den zweiten Blick, um zu erkennen, ob es sich um Wild- oder um Hausschweine handelt. Die lange Schnauze und die aufgerichteten Ohren erinnern noch an das Wildschwein, auch die aufgestellten Borsten am Rücken, die als Zeichen für Erregung (im Kontext von Angriff oder hier vielleicht eher Paarung) anzusehen sind. Der längere Körper spricht bereits für eine domestizierte Form, und der Ringelschwanz gehört eigentlich klar zum Hausschwein, wenngleich er sich in antiken Darstellungen (auf Münzen oder in der Vasenmalerei) auch bei zahlreichen wilden Schweinen findet. Auch wenn sich die Schweine von Abakainon in ihrer Gestalt von unseren heutigen Hausschweinen noch unterscheiden, wird deutlich, dass die Tiere bereits domestiziert sind und dass Schweinehaltung offenbar eine zentrale Rolle als Wirtschaftsfaktor für Abakainon spielt.
Denn die Eicheln beim Eber zeigen die Lieblingsnahrung der Schweine und deuten auch die traditionell extensive Haltung an, bei der nämlich die Hausschweine wie Wildschweine in der Regel frei durch die Wälder streiften und sich ihre Nahrung suchten, vielleicht sind sie zudem ein Hinweis auf die sog. (Eichel-)Mast - in jedem Fall weisen sie auf die Fleischproduktion in der Region. Die Kombination von Mutter- und Jungtier steht daneben für die lokale Tierzucht. Wir kennen andere numismatische Beispiele aus der griechischen Tierwelt
- bei Rindern (eine Kuh, die ihr Kalb säugt) auf Silbermünzen in Apollonia und Dyrrhachion in Illyrien sowie auf Korkyra, in der thrako-makedonischen Region ›Ennea Hodoi‹ / später Amphipolis, auf Zypern oder in Palästina
- bei Pferden (eine Stute mit ihrem Fohlen) auf Silbermünzen in Larissa in Thessalien, in Kourion auf Zypern und in Kilikien sowie auf Bronzen unter Antiochos III. in Ekbatana
- und nun auch bei Schweinen (die Sau mit ihrem Ferkel) auf Kleinsilber in Abakainon.
Dann erst deutlich später wieder unter den Römern: eine Sau mit Ferkeln unter Vespasian oder die sog. Lavinische Sau (s.o.)
Die regionalen Lebensmittelhändler in Sizilien vermarkten heute wie damals traditionell am Ort produzierte Waren, neben Olivenöl und Käse sind dies besonders Schinken und Hartwürste. Auf die antike Tradition der Schweinezucht und -verarbeitung bezieht sich z.B. die Macelleria Bella, eine lokale Metzgerei in Tripi, die auf ihrer Facebook-Seite (Eintrag vom 26. April 2024) nicht nur ihre Fleischwaren präsentiert, sondern auch mit dem ›Emblem von Abakaion‹, also dem Schwein auf den antiken Münzen wirbt: »Per i nostri clienti buon gustai mettiamo in evidenza uno dei nostri tanti prodotti di nicchia, che come da tradizione alleviamo e trasformiamo!! "Raffigurato nella moneta il nostro simbolo emblema di Abakainon"« (übers.: Für unsere Feinschmecker-Kunden heben wir eines unserer vielen Nischenprodukte hervor, das wir traditionell züchten und verarbeiten! »Abgebildet auf der Münze ist unser Wahrzeichen, das Emblem von Abakainon«).
Die Münsteraner Münzen aus Abakainon stammen aus zwei Schenkungen, die das Museum 2020 (Sammlung Klaus Jansen) und 2023 (Sammlung Hermann Twiehaus) erhalten hat. Sie erweitern den bisherigen Bestand an sizilischen Münzen um ein Vielfaches und lassen noch viele weitere spannende Einblicke in die Münzwelt der Insel erwarten.
(Katharina Martin)
Literaturauswahl:
- A. Bertino, Le emissioni monetali di Abaceno, in: Le emissioni dei centri siculi fino all'epoca di Timoleonte e i loro rapporti con la monetazione delle colonie greche di Sicilia, Annali del Istituto Italiano di Numismatica Suppl. 20 (Rom 1975) S. 105-131
- G. Buceti, Monete, storia e topografia della sicilia greca (Messina 2010) S. 11-16
- M. Giebel, Tiere in der Antike (Stuttgart 2003) S. 161-164
- O. Hoover, Handbook of Coins of Sicily (including Lipara), HGC 2 (Lancaster 2012) S. 3-8
- H. Meyer - P. R. Franke - J. Schäffer, Hausschweine in der griechisch-römischen Antike. Eine morphologische und kulturhistorische Studie (Oldenburg 2004) bes. S. 15-18 (Abgrenzung von Wild- und Hausschweinen), 19-28 (Schweindarstellungen auf Münzen: mit Abb. 5.5-5.7: Abakainon), 75-79 (frühe Waldweidehaltung), 88-90, 95 f., 98-106 (zur Morphologie)
- W. Tietz, Hirten, Bauern, Götter. Eine Geschichte der römischen Landwirtschaft (München 2015) bes. S. 70-73, 96 f.
Textquellen:
Diodor berichtet, dass Abakainon eine Stadt der Sikuler ist, und bei Gründung von Tyndaris an der Nordküste Gebiete an die neue größere Stadt abtreten musste (Diod. 14,78,5) und über die Auseinandersetzungen zwischen Dionysios von Syrakus und den Karthagern unter Mago, über das Heerlager bei Abakainon und die verlorene Schlacht 393 v. Chr. mit der Folge, dass die Karthager in Abakainon Zuflucht suchen (Diod. 14,90,3-4)
Auch Stephanos von Byzanz s.v. Ἀβάκαινον überliefert, dass es sich um eine Stadt der Sikuler handelt, beschäftigt sich sonst aber hauptsächlich mit der Namensform
Aristoteles beschreibt das Wildschwein in seiner historia animalium 1,1 (488b) als »hitzig, angriffslustig und ungelehrig«. In hist. an. 8,6 (595a) rühmt er die Anpassungsfähigkeit des Schweins, was die Nahrung anlangt: Es lässt sich gut mästen (u.a. mit Eicheln), nimmt schnell an Gewicht und Fett zu. Zum Erscheinungsbild bei Erregung sind die Stellen hist. an. 6,18 (571b) interessant, wo Aristoteles vom aggressiven Verhalten spricht, wenn es auf die Paarung zugeht, in hist. an. 9,44 (630a) erwähnt er die aufgestellten Haare, die furchterregend wirken. Nicht immer wird jedoch bei Aristoteles klar, ob er vom Wildschwein oder vom domestizierten Schwein spricht.
Links:
Hier geht es zu den Kleinsilbermünzen aus Abakainon in der Münsteraner Sammlung: Inv. M 6073-6078, 8181-8186, 8189, 8191, 8636
http://nomisma.org/id/abacaenum
Münzen aus Abakainon auf Online Greek Coinage
ANS-Blog von John Thomassen vom 26.06.2024 zum Thema Pig Money: Authentic Artifacts or Numismatic Nonsense?