Schweres Geld und schwierige Verhältnisse – Europäische Manillen in Westafrika
Schwere hufeisenförmige Metall-Armreifen, die sogenannten Manillen, waren vom 16. bis ins 20. Jahrhundert Zahlungsmittel, Brautpreise und Grabbeigaben in verschiedenen westafrikanischen Staaten. Doch hergestellt wurden die bis zu 14 Kilogramm schweren Schmuckstücke aus Kupfer, Bronze oder Messing gar nicht in Afrika, sondern in Europa! Hintergrund waren die Handelsinteressen der Portugiesen in Westafrika: Sie erkannten rasch, dass das Metall für die dort lebenden Menschen von großem Wert war.
Im 16. Jahrhundert begannen die Portugiesen mit dem Export der Manillen. Wieso sie das Metall in dieser Form dorthin transportierten, ist unbekannt. Manche vermuten, es seien einst solche Armreife an Bord eines Schiffswracks gewesen, woraufhin die einheimischen Finder weitere gleiche Stücke von den Europäern erbeten hätten. Andere wiederum sehen den Ursprung der Armreifen in Afrika selbst. Der Begriff entstammt dem Portugiesischen – mão bedeutet »Hand« und anilho »Ring«; zusammen ergibt dies die »Manille«, einen »Armreif«. Aufzeichnungen der Handelsstation San Jorge da Mina in Elmina (heute Ghana) zeigen, dass zwischen 1504 und 1507 mindestens 287.813 Manillen nach Westafrika eingeführt wurden. 1548 schlossen die Portugiesen einen Handelsvertrag mit den Fuggern ab, der ihnen zusicherte, dass die in Deutschland produzierten Manillen an den portugiesischen König geliefert würden. Gefertigt wurde ein großer Teil der Stücke im Rheinland.
Zunächst wurden die Manillen überwiegend ins Königreich Benin (im Süden des heutigen Nigeria) exportiert. Von hier aus verbreiteten sie sich schnell zwischen der Küste Guineas und dem Kongobecken. Die Europäer erwarben mit den Manillen Gold und Elfenbein, hauptsächlich aber Sklaven, die sie dann nach Amerika verschifften. Dort wurden die Menschen dazu gezwungen, Edelmetalle abzubauen, die nach Europa gelangten und von dort im Handelsaustausch nach Asien flossen.
Es ist belegt, dass 1522 eine 16jährige Sklavin in Benin für 50 Manillen gekauft werden konnte. Der portugiesische König setzte den Maximalpreis für Sklaven schließlich auf 40 Manillen fest, um eine Inflation zu vermeiden. Insgesamt wurden Schätzungen zufolge etwa 13 Millionen Menschen deportiert (Abb. 1). So wurden die Manillen ein Synonym für ›Sklavengeld‹. Die Beniner Eliten unterstützten den grausamen Handel: Sie konnten sich so unliebsamer Gefangener entledigen und dabei an das wertvolle Metall gelangen, das ihre Paläste zieren sollte.
Der niederländische Geograph Olfert Dapper beschrieb den riesigen Palastkomplex des Königs so: »Es ist in viel prächtige wohnungen eingeteilet / und hat schöne lange viereckichte Lustgänge / die ohngefähr so groß seynd / als die Börse zu Amsterdam: doch einer ist grösser / als der andere. Das Tach derselben stehet auf hölzernen Seulen / welche von unten bis nach oben zu mit Missinge überzogen / darauf ihre Krieges tahten und Feldschlachten seynd abgebildet. [...] und ein ieder Gübel ist mit einem Türnlein gezieret / welches oben spitz zu leuft. Darauf stehen Vogel / von Kupfer gegossen / mit ausgebreiteten Flügeln / sehr künstlich nach dem Leben gebildet« (so Olfert Dapper, Umbständliche und Eigentliche Beschreibung von Africa, Und denen darzu gehörigen Königreichen und Landschaften [Amsterdam 1670] S. 486, s. hier Abb. 2)
Bei den von Dapper beschriebenen Abbildungen auf den Messingüberzügen der Säulen handelt es sich um sogenannte Benin-Bronzen. Die Gruppe der Bronzen umfasst sowohl Platten mit bildlichen Halbreliefs als auch rundplastische Darstellungen. Sie wurden ab dem 16. Jahrhundert von Beniner Künstlern aus dem Material der Manillen angefertigt.
Neben der Nutzung der Manillen als Rohstoffquellen für diese Kunstwerke wurden sie als Zahlungsmittel auf den Märkten eingesetzt. Sie waren häufig das ›Großgeld‹ neben den als ›Kleingeld‹ genutzten Kaurischnecken (s. MdM 2023/1).
Neben den Portugiesen exportierten bald Holländer, Franzosen und Briten Manillen nach Westafrika, doch waren deren minderwertige Legierungen oder Manillen aus Eisen nicht sehr begehrt und wurden nicht mit den portugiesischen Stücken als gleichwertig anerkannt. Der stete Zustrom europäischer Manillen führte Mitte des 19. Jahrhunderts zu einer Inflation, zumal es daneben eine einheimische Manillen-Produktion gab.
1897 begann die britische Invasion Benins (Abb. 3), in deren Verlauf die Palastgebäude zerstört und die königlichen Schätze geraubt wurden.Schätzungen zufolge erbeuteten die Briten dabei zwischen 3.000 und 5.000 Benin-Bronzen, die als Beutekunst in verschiedene Teile Europas und in die USA gelangten.
1949 untersagte die britische Kolonialregierung die Nutzung von Manillen als Zahlungsmittel. Statt ihrer sollten britische Münzen genutzt werden. Zuvor hatten die Briten mehr als 32 Millionen Manillen aufgekauft und verschrottet. Ab dem 1. April 1949 durfte jede Person nur noch maximal 200 Manillen besitzen, um sie bei Hochzeits- oder Bestattungszeremonien zu nutzen.
Die Benin-Bronzen (Abb. 4) stehen mittlerweile im Mittelpunkt einer komplexen Restitutionsdebatte. Schon in den 1930er und 1970er Jahren bestanden Forderungen nach Rückgabe der Bronzen. Doch erst seit wenigen Jahren gibt es europäischerseits mehr oder weniger ernsthafte Pläne zu einer Restitution der Kulturgüter. Mitte 2022 vereinbarten Deutschland und Nigeria, dass die hier befindlichen Bronzen formell zu nigerianischem Eigentum werden, selbst wenn sie weiterhin großenteils als Leihgaben in Deutschland verbleiben sollen. In deutschen Museen befinden sich derzeit mehr als 1.000 der aus Manillen gefertigten Kunstobjekte. Sie erzählen nicht nur vom Leben der Menschen, die sie erschaffen haben, sondern dokumentieren gleich in mehrerlei Hinsicht die oftmals schwierige Geschichte zwischen Europa und Afrika.
(Andrea Gropp)
Weiterführende Literatur
- G. Aumann, Primitives Geld – vormünzliche Zahlungsmittel. Erläuterungen zu den Schausammlungen des Naturwissenschaftlichen Museums Coburg, Heft 19. Coburg [o. J.] S. 50-54
- dpa: Deutschland gibt Benin-Bronzen an Nigeria zurück. Auf: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst-und-architektur/koloniales-raubgut-deutschland-gibt-benin-bronzen-an-nigeria-zurueck-18135771.html
- P. Einzig, Primitive Money in its ethnological, historical and economic aspects (London 1951) S. 150-159
- Y. Gönster, Wertvoll. Über nichtmünzliche Zahlungsmittel aus aller Welt, Begleitheft der gleichnamigen Ausstellung des Deutschen Schloss- und Beschlägemuseums Velbert (Velbert 2017) S. 24 f.
- U. Greifenstein, Fremdes Geld. Tauschmittel und Wertmesser außereuropäischer Gesellschaften, Begleitheft zur gleichnamigen Ausstellung der Commerzbank zusammen mit dem Museum für Völkerkunde Frankfurt (Frankfurt 1989) S. 25-28
- M. Hauser, Aus der Geschichte der vormünzlichen Zahlungsmittel, Begleitheft zur gleichnamigen Ausstellung der Volksbank Offenburg 2(Offenburg 2000) S. 16-20
- H. Kimpel, Traditionelle Zahlungsmittel (Wuppertal 1994) S. 80 f.
- H. Quiggin, A Survey of Primitive Money – The Beginning of Currency (New York – London 1970) S. 89 f.
- H. L. Roth, Great Benin: Its Customs, Art and Horrors (Halifax 1903) S. 103-105
- R. Sedillot, Muscheln, Münzen und Papier. Die Geschichte des Geldes (Frankfurt 1992) S. 60 f.
- S. Semans, Manilla: Money of the Slave Trade. Auf: https://coincoin.com/I024.htm
- T. Skowronek – Ch. DeCorse – R. Denk – S. Birr – S. Kingsley – G. Cook et al., German brass for Benin Bronzes: Geochemical analysis insights into the early Atlantic trade. PLoS ONE 18(4): e0283415 (2023). Auf: https://doi.org/10.1371/journal.pone.0283415
Bildnachweise
Abb. 1 Foto: jbdodane. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:The_Door_of_No_Return_Ouidah_(5).jpg, CC BY 2.0
Abb. 2 Foto: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:AMH-6859-KB_View_of_the_city_of_Benin.jpg, CC-0
Abb. 3 Foto: Reginald Kerr Granville. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Interior_of_Oba%27s_compound_burnt_during_siege_of_Benin_City,_1897.jpg, CC-0
Abb. 4 Foto: sailko. https://en.wikipedia.org/wiki/Benin_Bronzes#/media/File:Benin,_portoghese,_XVI-XVII_sec.JPG, CC BY-SA 3.0
[alle genannten Websites wurden zuletzt am 29.2.2024 abgerufen]