Münze des Monats

Oktober 2024
© Stefan Kötz

Kampf um die Krim: Spottmedaille auf die Verluste der Türken im Frieden von Küçük Kaynarca 1774

Johann Christian Reich (Medailleur)
Zinnprägung mit Kupferstift, Gew. 25,6 g, Dm. 43 mm, Stempelst. 0°, Rand glatt
LWL-Museum für Kunst und Kultur / Westfälisches Landesmuseum, Münster
 

Vor 250 Jahren wurde ein sechsjähriger Krieg zwischen dem Osmanischen Reich und Russland, zwischen dem türkischen Sultan Abdülhamid I. (1725–1789, reg. ab Januar 1774) und Zarin Katharina II. (1729–1796, reg. ab 1762) durch einen Friedensvertrag beendet, geschlossen am 21. Juli 1774 in dem kleinen Ort Küçük Kaynarca (auch »Kütschük Kainardschi«), einem Dorf bei Silistria im heutigen Bulgarien. Ausgebrochen war der Krieg wegen des Widerstandes eines Teils des polnischen Adels gegen die Versuche der Zarin, Polen durch ihren Schützling, den 1764 zum König gewählten Grafen Stanislaus Poniatowski (1732–1798) zu einem russischen Vasallenstaat zu machen; die in der Konföderation von Bar (24. Februar 1768) vereinten Oppositionellen begann einen Bürgerkrieg, in den eine russische Armee eingriff, woraufhin der Sultan der Osmanen im Oktober 1768 den Russen den Krieg erklärte. Doch die Türken verloren wichtige Schlachten, vor allem in der Seeschlacht bei Tschesme nahe Izmir 1770 ihre Ägäis-Flotte. 1771 eroberten die Russen die Krim, bis dahin ein türkischer Vasallenstaat, und schließlich Bessarabien, Moldawien und die Walachei im heutigen Rumänien. Nachdem die Zarin 1772 die Nachbarmächte Österreich-Ungarn und Preußen für die erste polnische Teilung gewonnen hatte und nach weiteren militärischen Erfolgen im heutigen Rumänien sicherte sie ihre Eroberungen durch einen Diktat-Frieden mit dem Sultan.

Die Krim-Tataren, bisher Vasallen des Sultans, wurden formal souverän; Russland gewann Teile der Ukraine und Kabardien im Nord-Kaukasus sowie die Schwarzmeerhäfen Kertsch, Asow und Fort Kinburn, erlangte damit die Kontrolle über die Flussmündungen von Don, Dnjepr und Bug, wurde Schutzmacht der Christen im Osmanischen Reich mit Interventionsrecht, und erreichte die freie Schifffahrt auf dem Schwarzen Meer. Die Türkei erhielt die Fürstentümer Moldau und Walachei als Vasallenstaaten sowie Bessarabien zwar formal zurück; allerdings erwarb Russland das Recht, »sich jederzeit in die Angelegenheiten der Donaufürstentümer zu mischen« und seine Forderungen sogar mit Gewalt durchzusetzen (Art. 16).

Darauf bezieht sich die Medaille. Die Vorderseite zeigt eine Allegorie: eine Frau mit Federbuschhelm und Lanze in einem Mantel sitzend, mit dem Gorgonenschild, Buch und Eule als Pallas Athena, lateinisch Minerva, und damit als Göttin der (Kriegs-)Klugheit erkennbar, lässt einen aus Wolken zuckenden Blitz einer Pyramide die Spitze mit dem türkischen Halbmond abschlagen; im Hintergrund stehen drei türkische Kriegszelte. Die kommentierende Überschrift lautet IRAM MERUERE TONANTIS = »Ihr habt den Zorn der Donnernden verdient«. Der Anlass wird im Abschnitt genannt: TURC(i). IN ANGUST(iis). POST / ABRUPT(i). PACIF(ifationis). FOCZ(iano = Küçük Kaynarca) / M(ense) IUL(ii). 1774 = »Die Türken in Verlegenheit nach dem Opfer einer überstürzten Befriedung zu Foxziano, im Monat Juli 1774«. Die »überstürzte Befriedung« meint den Diktatfrieden. Den Ortsnamen »Foxziano« trägt auch eine Iserlohner Tabaksdose im Dresdener Kunstgewerbemuseum.

Die Rückseite zeigt den auf einem Kissen sitzenden, an seinem Szepter und dem juwelengeschmückten Turban erkennbaren Sultan mit entblößtem ausgestrecktem Arm, gestützt von zwei Turbanträgern, rechts ein kniender Türke mit entblößtem Kopf, den Turban in der Hand mit einem Zettel LAMENTO(r) (»ich jammere«), und links ein Europäer im Rock, mit Zopf und Kniebundhosen, wohl nicht Kaiser Joseph II. (so der Katalog der Slg. Dogan), sondern eher ein russischer Offizier, der eine Wunde im Ellenbogen des Sultans zu verbinden beginnt – nach dem Aderlass. Die Überschrift PALLESCUNT CORNUA LUNÆ (»die Hörner des Mondes verblassen/erbleichen«) enthält den in drei Stücke zerbrochenen Halbmond als Symbol des Osmanischen Reiches. Die Unterschrift EXANIMIS IACET HIC / ABSQVE VALORE / FVROR besagt »Betäubt liegt hier die Kampfwut ohne jeden Wert«. Die Schwäche der Türken wird durch den Aderlass, das damit bewirkte Erblassen und den zerbrochenen Halbmond gezeigt.

Die Signatur »R« auf der Rückseite verweist auf den Medailleur Johann Christian Reich (1730–1814) in Fürth. Reich stammte aus Thüringen, war Gürtler und hatte sich wohl 1754 in Fürth niedergelassen. Er produzierte nicht nur Schnallen, sondern viele Dinge aus nichtedlen Metallen, prägte etwa Spielmarken (»Dantes«) und ab 1772 auch Medaillen meist aus Zinn für den freien Verkauf auf Märkten und Messen, zunächst 1772 eine Serie von Medaillen auf die damalige Hungersnot. Einer Spottmedaille auf die Aufhebung des Jesuitenordens 1773 folgte das vorliegende Stück. Die Vorderseite zeigt mittig einen Stempelriss; tatsächlich ist ein zweites Exemplar von neu geschnittenen Stempeln bekannt (Slg. Dogan 6409). Beide Typen sind – wie in der Reichsstadt Nürnberg wohl schon seit den 1680er Jahren üblich – mit einem Kupferstift geprägt zum Fälschungsschutz als Beweis, dass sie geprägt und keine billigen Nachgüsse waren, und eben nicht aus Silber. Denn geprägtes Zinn hat einen Spiegelglanz ähnlich wie Silber, ist aber erheblich preiswerter und für fast jedermann erschwinglich. Reich war ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann, wurde sogar 1775 fürstlich Brandenburg-Ansbacher, 1790 königlich preußischer und 1806 königlich bayerischer Hofmedailleur.

Reich war ein geschickter Handwerker, aber kein großer Künstler, wie schon die mit wenig Sorgfalt eingeschlagenen Buchstabenpunzen teils aus verschieden großen Punzenserien zeigen. Seine Medaillen waren wohl mit einer Spindelpresse, aber nicht im Ring geprägt; der Rand ist bei allen bekannten Stücken, auch denen aus Silber (Slg. Julius II 2749, von den Stempeln Dogan 6409), leicht dezentriert; der vorliegende Schrötling sogar etwas unrund. Die Ideen für die Bildmotive sind nicht selten von anderen Medaillen oder von Flugblättern einfach kopiert. So ist die Vorderseite der vorliegenden Medaille übernommen von einem Medaillenrevers von Anton Moll (1722–1757) auf den Sieg der Österreicher in der Schlacht bei Kolin am 18. Juni 1757, in der die Österreicher die Preußen besiegt hatten (Vergleichs-Abb. 1: Silberprägung, 50 mm), oder von dem danach auf ausdrückliche Anweisung König Friedrichs II. vom preußischen Hofmedailleur Nikolaus Georgi (auch Nils Georgii) (1717–1790) kopierten Medaillenrevers auf die Schlacht bei Lissa am 5. Dezember 1757 (Vergleichs-Abb. 2: Silberprägung, 54 mm), in der die Preußen siegten und in dem die Devise FRANGIT DEUS OMNE SUPERBUM (»Gott bricht allen Hochmut«, wohl nach 3. Mos. 26,19 und Jes. 13,11) als Retourkutsche wiederholt wurde. Reich scheint im Besitz einer dieser Medaillen gewesen zu sein.

Abb. 1 und 2: Rückseiten von Medaillen auf den Sieg der Österreicher bei Kolin (1) und auf den Sieg der Preußen bei Lissa (2)
© Kunsthistorisches Museum Wien

Auch die Rückseite der Spottmedaille ist eine Kopie, und zwar nach einem deutschen, vielleicht Nürnberger Kupferstich auf den Frieden von Küçük Kaynarca, dessen einziges bisher bekanntes Exemplar sich im Kupferstichkabinett der Rumänischen Akademie in Bukarest befindet (s. Abb. 3) und neben der Aderlass-Szene als Sammelbild auch die Unterschreibung, Publikation und zeremonielle Umarmungen beim Friedensschluss zeigt.

Abb. 3: Kupferstich auf den Frieden von Küçük Kaynarca 1774
© Wikimedia Commons

Das Repertoire an antitürkischen Spottmotiven auf Flugblättern und Medaillen des 17./18. Jahrhunderts ist groß, proportional zur Angst, den das Osmanische Reich in Mitteleuropa erzeugte, auch etwa durch eine schreckenerregende Kriegführung. Der Aderlass ist dabei einigermaßen originell, auch in der 1774 schon über 230 Jahre alten Tradition der Spottmedaille, und weist bereits auf das Bild der Osmanen als ›des kranken Mannes am Bosporus‹ voraus, das im 19. Jahrhundert gängig war. Wie sehr die Türken damals ihren Schrecken verloren, zeigt auch das Interesse an Janitscharenmusik, wie es Wolfgang Amadeus Mozart in seinem Klavierstück »Rondo alla turca« (1783) oder in dem Singspiel »Die Entführung aus dem Serail« (1782) bot.

Der türkisch-russische Krieg und sein Ende vor 250 Jahren sind heute in Mitteleuropa vergessen, zu Unrecht. Es war eine Episode russischer Expansionspolitik, die keine zehn Jahre nach dem Frieden zur Annexion des Krimtataren-Staates durch Russland (1783) führte und im Laufe des 19. Jahrhunderts zu zahlreichen weiteren russisch-türkischen Kriegen auf dem Balkan, auf der Krim und im Kaukasus. Dem türkischen folgte das russische Expansionsstreben – die Medaille zeigt einen Kipp-Punkt osteuropäischer Geschichte, von dem Mitteleuropäer Reich mit Häme beobachtet.

(Gerd Dethlefs)

 

Weiterführende Literatur

  • H. Galen (Hrsg.), Münster, Wien und die Türken. Ausstellungskatalog Stadtmuseum Münster (Münster 1983) S. 168/171 Nr. 172E (dies Expl.)
  • Sammlung Hüseyin A. Dogan: Medaillen auf die türkische Geschichte. Auktionskatalog Gorny & Mosch Giessener Münzhandlung Nr. 172, München 15./16. Oktober 2008, Nr. 6409 (Variante) und Nr. 6410 (ohne Abb.)
  • Sammlung Paul Julius: Krieg und Frieden in der Medaille und in der Gedenkmünze. II. Teil 1740–1804 / Österreichische Medaillen 1804–1917. Auktionskatalog R. Gaettens jun., Heidelberg 6.–8. November 1958, Nr. 2750–2751 (zwei Varianten)
  • Schau- und Denkmünzen, welche unter der glorwürdigen Regierung der Kaiserinn Königin Maria Theresia gepräget worden sind (Wien 1782, Reprint hrsg. von Günther Probszt-Ohstorff, Graz 1970) Nr. CXXX.
  • M. Olding, Die Medaillen auf Friedrich den Großen von Preußen 1712 bis 1786 (Regenstauf 2003) S. 114 Nr. 619
  • E. Bannicke, Medaillenprägung unter Friedrich dem Großen, in: B. Kluge – E. Bannicke, Für 8 Groschen ist’s genug. Friedrich der Große in seinen Münzen und Medaillen. Ausstellungskatalog Münzkabinett Berlin 2012 (Berlin 2012) S. 85–138, hier S. 116
  • H. K. G. Rönnefarth (Bearb.), Vertrags-Ploetz. Konferenzen und Verträge – ein Handbuch geschichtlich bedeutsamer Zusammenkünfte und Vereinbarungen. Teil II, 3. Neuere Zeit 1492–1914 2(Würzburg 1958)
  • B. L. Davies, The Russo-Turkish War 1768–1774 (London 2016)
  • R. Ungermann, Der Russisch-türkische Krieg 1768–1774 (Wien – Leipzig 1906) online abrufbar unter: https://archive.org/details/derrussischtrk00ungeuoft/page/n5/mode/2up

 

Abbildungen:

Medaillen auf die Schlacht bei Kolin 18.6.1757 und auf die Schlacht bei Lissa 5.12.1757: https://www.habsburger.net/de/kapitel/maria-theresia-und-friedrich-ii-allen-dingen-des-lebens-gegensaetzlich

Karikatur 1774: https://tr.m.wikipedia.org/wiki/Dosya:Treaty_of_Küçük_Kaynarca_1774.jpg

 

Links zur Vertiefung:

Informationen:

https://www.fuerthwiki.de/wiki/index.php/Johann_Christian_Reich_d._Ä

https://de.wikipedia.org/wiki/Friede_von_Küçük_Kaynarca

https://de.wikipedia.org/wiki/Russisch-Türkischer_Krieg_(1768–1774)

https://de.wikipedia.org/wiki/Teilungen_Polens#Die_erste_Teilung_1772

Iserlohner Tabaksdose 1759/1774 im Kunstgewerbemuseum Dresden:
https://skd-online-collection.skd.museum/Details/Index/675604