
Facing Rome – Die Prägungen des Tigranes IV.
Tigranes IV. (2. Regierungszeit), AE, Artaxata, 2 v. – 1/2 n. Chr. (14,18 g / 12 h / 24 mm)
Vs.: ΒΑCΙ[ΛΕYC ΜΕΓΑC NEOC ΤΙΓ]ΡΑΝHC. Drapierte Büste des Tigranes IV. n. r., er trägt eine fünfzackige Tiara, die mit einem sechszackigen Stern dekoriert und mit einem Diadem gebunden ist, die Ohrenklappen sind über der Stirn zusammengebunden und lassen dadurch einen ringförmigen Ohrring erkennen.
Rev.: KAICAP ΘΕΟC ΘΕΟΥ ΥΙΟC CEBACTOC (linksläufig). Kopf des barhäuptigen Augustus n. l.
CNG, Auction 96, 14. Mai 2014, Lot-Nr. 650
Kovacs 2016 Nr. 178; RPC I Nr. 3841 (Tigranes III. oder V.); ACV Nr. 184 (Tigranes V.); CAA Nr. 167 (Tigranes V.)


Bei der Münze des Monats November handelt es sich dieses Mal um eine Bronzeprägung aus dem antiken Königreich Armenien. Da keine Darstellungen des Tigranes IV. in anderen Medien erhalten sind und auch die schriftliche Überlieferung zu seiner Regentschaft dürftig ist, sind seine Münzen die einzigen Objekte, von denen wir auf das Selbstbild des Königs schließen können. Insgesamt finden sich in den Texten der antiken Autoren nur wenige Passagen über das Armenien des 1. Jhs. v. Chr., die darüber hinaus in der Regel einem griechisch-römischen Umfeld entstammen. Eine eigene armenische Geschichtsschreibung setzt erst mit Movsēs Xorenac’i ein, wobei sein Werk frühestens in das 5. Jh., meist jedoch in das 8. Jh. n. Chr. datiert wird. So treten die Könige in der schriftlichen Tradition vor allem als Gegner oder Verbündete der Römischen Republik bzw. des Kaiserreiches in Erscheinung, denen jederzeit ein Übertritt zum verfeindeten Partherreich zuzutrauen ist. Vor allem die zweite Hälfte des 1. Jh. v. Chr. ist durch Bemühungen Roms gekennzeichnet, Armenien unter seine Kontrolle zu bringen und dadurch den parthischen Einfluss im Südkaukasus zu schmälern. Welche Bedeutung das Königreich für die römischen Regenten einnahm, zeigt die Bezugnahme auf den Denaren des Marcus Antonius (Abb. 1) und den Aurei des Augustus (Abb. 2).



Mit Tigranes IV. (1. Regierungszeit ca. 8/6–5 v. Chr., 2. Regierungszeit 2 v. – 1/2 n. Chr.) befinden wir uns in den letzten Jahrzehnten der sogenannten Artaxiadendynastie. Die Gründung des Königshauses geht auf Artaxias I. (189–160 v. Chr.) zurück und findet ihr Ende mit dem Tod der Königin – und ehemaligen Schwestergemahlin des Tigranes IV. – Erato (12–15 n. Chr.), woraufhin Armenien in das Römische Reich integriert wird. Sein Vater Tigranes III. erhielt als Geisel seine Ausbildung in Rom und wurde 20 v. Chr. von Augustus auf den armenischen Thron gebracht. Trotzdem wird ihm eine pro-parthische Politik nachgesagt, die sich nach seinem Tod 8 oder 6 v. Chr. unter Tigranes IV. und Erato fortsetzt. So wird dieser während seiner ersten Regentschaft nicht von Augustus anerkannt und sucht daher Unterstützung gegen den princeps und die pro-römische Aristokratie Armeniens beim Partherkönig Phraates IV. Augustus lässt ihn daraufhin stürzen und bringt 5 v. Chr. dessen Onkel Artavasdes III. auf den Thron. Nach kurzer Regentschaft rebellieren 2 v. Chr. die lokale Bevölkerung und Teile der armenischen Nobilität, woraufhin nach Cassius Dio (55,10,20–21) Tigranes IV. erneut den Königstitel für sich beansprucht und mittels einer Gesandtschaft an den imperator um politische Anerkennung bittet. Dieser lehnt jedoch ab und entsendet seinen Enkel Gaius, um die Region mit militärischer Hilfe unter römische Kontrolle zu bringen. Das Geschwisterpaar versucht unterdessen mit parthischer Unterstützung ihre Herrschaft zu konsolidieren, was jedoch durch den Tod des Tigranes IV. 1/2 n. Chr. verhindert wird. Näheres über die Umstände das Ableben des Königs finden sich nur bei Cassius Dio (55,10a,5), welcher lediglich den Sturz des Monarchen durch »einfallende Barbaren« beschreibt.
Die vorgestellte Münze entstammt der zweiten Regentschaft des Tigranes IV. und verdeutlicht exemplarisch die Zuwendung zum römischen princeps. Er orientiert sich in der Gestaltung der Münzen an seinem pro-römischen Vorgänger Artavasdes III. (Abb. 3) und übernimmt die kreisförmig umlaufende Legende und darüber hinaus das lunare Sigma, was als Angleichung an das römische Münzbild zu verstehen ist und konträr zum Legendenaufbau seiner früheren Prägungen steht (Abb. 4). Seine Titulatur wird um das Epithet νέος (»der Neue«) ergänzt, worin der Wechsel seiner politischen Ausrichtung zur Geltung kommt. Den Kopf des Augustus kombiniert er auf dem Revers mit der Legende KAICAP ΘΕΟC ΘΕΟΥ ΥΙΟC CEBACTOC, wodurch er nicht nur die lateinische Akklamation Caesar Divi Filius Augustus ins Griechische überträgt, sondern sie auch wie bereits sein Vorgänger um das Epithet θέος ergänzt. Damit bezeichnet er unmissverständlich den princeps als gottgleich.
Ein auffälliges Novum der Prägungen ist das Porträt der Erato (Abb. 5), welches das früheste bekannte Bildnis einer artaxiadischen Königin darstellt. Die drapierte Büste ist nach links gewandt und ihre Frisur ist an die der Livia, der Gattin des Augustus, angelehnt.


Gleichzeitig betont Tigranes ikonographisch seine armenische Identität, um sich von der Bildsprache des von Rom eingesetzten Artavasdes zu distanzieren. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger, der sich lediglich mit einem Diadem darstellen lässt, trägt Tigranes erneut die armenische Tiara mit einem alleinstehenden Stern, deren Ohrenklappen nach oben gebunden sind, um einen ringförmigen Ohrring sichtbar werden zu lassen. Die hochgestellte Tiara mit fünf bis sechs Zacken ist bereits unter Artaxias I. Symbol armenischer Könige und wird in der Regel mit einem sechszackigen Stern und/oder zwei oder mehreren Adlern dekoriert. Vor allem als Kopfbedeckung des Königs Tigranes II. (96/5–56/5 v. Chr.) dürfte sie Münzinteressierten auf dessen antiochenischen Tetradrachmen begegnet sein (Abb. 6). Interessant ist vor allem der Ohrring, welcher ebenfalls ab Mithradates I. (171–138 v. Chr.) auf parthischen Herrscherbildnissen auftritt, ab Artavasdes II. (56–34 v. Chr.) von armenischen Königen getragen wird und als Referenz auf ein Bündnis zum Partherkönig gedeutet werden kann. Unter Tigranes IV. scheint der Ohrring jedoch seinen parthischen Charakter verloren zu haben – immerhin tritt er seit Pakorus (39 v. Chr.) (Abb. 7) nicht mehr auf arsakidischen Prägungen auf – sondern ist nun als Teil der artaxiadischen regalia zu verstehen.
Tigranes IV. spielt in seiner Münzikonographie somit geschickt mit einer Bildsprache, die sich dem Römischen Kaiserreich zuwendet und gleichzeitig seine armenische Identität herausstellt. Darin ist die Gradwanderung zu erkennen, welche die östlichen Könige während der Expansion Roms zu bewältigen hatten. Einerseits ist ein Bündnis mit einer der benachbarten Großmächte – Rom oder Parthien – unerlässlich, um außenpolitischen Rückhalt für die eigene Regentschaft zu erhalten, andererseits signalisiert es der eigenen Bevölkerung und Nobilität Schwäche und Uneigenständigkeit, die daraufhin die Königsherrschaft von innen destabilisieren können. Ein ähnliches Phänomen kann zeitgleich in Judäa beobachtet werden.
Münzen wie diese sind dabei Zeugnisse des Konfliktes, der im Falle des Tigranes und seiner Nachfolger nicht aufgelöst werden konnte und in die gewaltvolle Eingliederung Armeniens ins Römische Reich mündete.
(Jessica Schellig)
Abkürzungen:
ACV Y. T. Nercessian, Armenian Coins and Their Values, Armenian Numismatic Society. Special Publications 8 (Los Angeles 1995)
CAA P. Z. Bedoukian, Coinage of the Artaxiads of Armenia (London 1978)
Kovacs 2016 F. L. Kovacs, Armenian Coinage in the Classical Period, Classical Numismatic Studies 10 (Lancaster – London 2016)
Sellwood D. Sellwood, An Introduction to the Coinage of Parthia (London 1971)
Weiterführende Literatur:
- P. Buongiorno, The Roman Senate and Armenia (190 BC – AD 68), in: E. Dąbrowa (Hrsg.), Ancient Armenia in Context, Electrum 28 (Krakow 2021) 89–104
- E. Fagan, Narratives in the Landscape. Political Discourses of Authority and Identity in the Armenian Highland, ca. 200 B.C.E. – 200 C.E. (Dissertation University of Chicago, Chicago 2015)
- J. Nurpetlian, Ancient Armenian Coins. The Artaxiad Dynasty (189 BC – AD 6), Berytus 51/52, 2008/2009, 117–167
- Y. T. Nercessian, Silver Coinage of the Artaxiad Dynasty of Armenia, Armenian Numismatic Society. Special Publication 11 (Los Angeles 2006)
- S. Payaslian, Dynasties and the Geopolitics of Empire. The Ervanduni and the Artashesian Dynasties, in: S. Payaslian (Hrsg.), The History of Armenia. From the Origins to the Present (New York 2007) 3–26
Bildnachweise:
- Münze des Monats: © Classical Numismatic Group, Auction 96 (14.05.2014) Nr. 650
- Abb. 1: Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin Objektnummer 18215845. Foto: Dirk Sonnenwald
- Abb. 2: Münzkabinett des Kunsthistorischen Museums Wien, Inv.-Nr. RÖ 4659. Foto: Margit Redl
- Abb. 3: British Museum, Reg.-No. 1866,1201.3817. Asset No. 443409001
- Abb. 4: Leu Numismatik AG, Web Auction 16, 22. Mai 2021, Lot-Nr. 1197
- Abb. 5: Bibliothèque nationale de France, Département des monnaies, médailles et antiques; Inv.-No. FRBNF41760557
- Abb. 6: Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, Objektnummer 18204039. Foto: Dirk Sonnenwald.
- Abb. 7: British Museum, Reg.-No. 1891,0603.108. Asset.-No. 1295570001