
Akrobatische Absteiger
- Kelenderis (Kilikien): Stater, ca. 440-400 v. Chr. (10,66g / 4 Uhr / 21mm)
Vs. Jugendlicher nackter Reiter lässt sich seitlich von seinem n. r. springenden Pferd herabgleiten, die l. Hand am Zügel, in der r. Hand hält er eine Peitsche.
Rs. [Κ]ΕΛEN. Ziegenbock kniet n. r., den Kopf zurückgewandt n. l. auf einer gepunkteten Abschnittslinie, darüber im Feld ein Monogramm aus A in O.
Münzsammlung des Archäologischen Museums der Universität Münster, Inv. 6391 - Motya (Sizilien): Didrachme, ca. 425-415/410 v. Chr. (8,13g / 9 Uhr / 22,9mm)
Vs. Jugendlicher nackter Reiter lässt sich seitlich von seinem n. l. springenden Pferd herabgleiten, die l. Hand am Zügel, in der r. Hand hält er eine Peitsche.
Rs. Weiblicher Kopf einer Nymphe n. r., die Haare hochgesteckt, gerahmt von vier Delfinen.
Münzsammlung des Archäologischen Museums der Universität Münster, Inv. M 6242
Vom 16. Juni bis 18. September wird im Pferdemuseum Hippomaxx in Münster die Ausstellung »Das Pferd in der Antike. Von Troja bis Olympia« gezeigt. Gezeigt werden auch viele Münzen, die für alle Themenfelder der Ausstellung, von Pferdezucht und Dressur hin zu Mythen, Sport und Transport anschauliches Bildmaterial liefern. Die meisten Stücke stammen aus der Sammlung des Archäologischen Museums der Universität; darunter sind zwei griechische Silbermünzen klassischer Zeit aus Kelenderis in Kilikien (Abb. 1) und Motya, einer kleinen Insel westlich vor Sizilien (Abb. 2), die als Neuerwerbungen erst kürzlich in die Sammlung gelangt sind. Sie zeigen dasselbe ungewöhnliche Motiv: einen Reiter, der sich seitlich von seinem Pferd herabgleiten lässt.
Da man in der Antike ohne Sattel und Steigbügel ritt, gestaltete sich das Aufsteigen auf’s Pferd und das Absteigen vom Pferd anders als heute, fraglos komplizierter, und erforderte gesonderte Hilfsmittel (Tritthilfen o. ä.) bzw. überhaupt andere Techniken. So überliefert der griechische Autor Xenophon verschiedene Möglichkeiten des Aufsitzens: unter Zuhilfenahme des Bügels an einer Lanze (Xen. hipp. 7,1) oder auf die sogenannte persische Art, bei der sich der Reiter einer zweiten Person als Aufstieghilfe bediente (Xen. hipp. 6,12). Inwieweit der Reiter hierbei eine ›gute Figur‹ machte, sei dahingestellt. Was das Absteigen anlangt, so scheint das seitliche Herabgleiten eine elegant-sportliche Methode zu sein, die aber sicher nicht für jeden und jede Situation praktikabel war. Auch stellt sich die Frage, was ein solch technisches Detail auf einer Münze zu suchen hätte. Wurde hier tatsächlich ein für die Reiter-Repräsentation nebensächliches (oder gar unvorteilhaftes?) Moment abgebildet?
Eher nicht. Da das Pferd in Bewegung ist und nicht stillsteht, ist vermutlich kein alltäglicher Vorgang gemeint, sondern man mag eher an eine sportlich akrobatische Vorführung denken – ähnlich dem Voltigieren heute. Wettkämpfe, bei denen junge Männer zwischen galoppierenden Pferden hin- und herwechselten, von Pferden oder Pferdewagen auf- und abstiegen, sind uns aus der Antike bekannt. In seiner Beschreibung der Olympischen Spiele berichtet Pausanias 5,9,1-2 u. a. über Sportarten, die nur kurzzeitig Teil des Olympischen Programms waren. Dazu gehört die sogenannte Kalpe, ein auf Stuten gerittenes Rennen in acht Runden (als Disziplin in Olympia von 496 bis 444 v. Chr.):
… Die Kalpe geschah mit Stuten, und gegen Schluss des Rennens sprangen sie (= die Reiter) ab und liefen mit den Pferden, indem sie sie am Zügel hielten, wie es jetzt noch die sogenannten Anabaten machen … (Paus. 5,9,2)
Mit anabátes (griech. für ›der Aufsteigende‹) verweist Pausanias auf den sogenannten Apobaten-Agon (apobátes = griech. für ›der Absteigende‹), der sich bis in die römische Kaiserzeit hielt und bei dem der ›Beifahrer‹ während des Rennens vom Wagen ab- und wieder aufstieg. Im Fall des Olympischen Stutenrennens im 5. Jahrhundert v. Chr. waren es Reiter, die sich vor dem eigentlichen Ziel vom Pferd herabgleiten ließen, und ganz offenbar war diese Aktion offizieller Bestandteil dieser speziellen Reit-Disziplin.
So ein Moment zeigen die Münsteraner Münzen, die beide in klassischer Zeit geprägt wurden, allerdings in weit voneinander entfernten Regionen der antiken Welt: in Sizilien im Westen und Kilikien ganz im Osten des Mittelmeerraumes. Einige weitere Städte wie das kilikische Holmoi, das kalabrische Tarent in Unteritalien oder Himera auf Sizilien hatten es ebenfalls in ihrem Typenrepertoire. Und zwar ebenfalls in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts v. Chr. (also nach der Abschaffung der oben genannten Kalpe als Olympische Disziplin), nur in Tarent lief das Motiv weiter und wurde bis in frühhellenistische Zeit immer wieder gelegentlich aufgenommen (und hier sogar auf die andere Münzseite und auf den dortigen Delfinreiter und sein Herabgleiten übertragen).
Warum einige wenige Städte dieses besondere Motiv für ihre Münzen wählten, ist nicht klar. Trugen sie selbst Spiele aus, bei denen Wettkämpfe mit akrobatischen Einlagen auf dem Programm standen? Oder waren ihre Bürger an solchen Wettkämpfen (andernorts) siegreich gewesen? Auffällig ist die kurze und überall gleiche Zeitspanne, in der das Motiv an den verschiedenen Orten thematisiert wurde.
Motya (Abb. 2) zeichnet sich dadurch aus, dass die Stadt Münzmotive anderer Städte (womöglich unreflektiert) für sich übernahm. Wir können hier von einer Kopie der Münzen der sizilischen Stadt Himera ausgehen. Speziell in Kelenderis (Abb. 1) haben wir dagegen sicher eine bewusste Entscheidung, denn der Stadtname ließ sich mit verschiedenen Begriffen aus dem Pferdekontext in Verbindung bringen, wie kéles (griech. für ›Rennpferd‹) oder keletízein (griech. für ›auf [Renn-]Pferden als Kunstreiter reiten‹), so dass die Bürger mit dem Namen ihrer Stadt ›spielen‹ konnten und je nach Nominal verschiedene Pferdemotive nutzten.
(Katharina Martin)
Literatur
- S. Ebers – A. Lichtenberger – H.-Helge Nieswandt (Hrsg.), Das Pferd in der Antike. Von Troja bis Olympia (Darmstadt 2022) 35 f. sowie 102 Kat. 54 und 55.