
Entwertet, aber doch etwas wert. Ein »entfunktionalisierter« Denar aus Ostwestfalen
Trajan, Denar, Rom, 114-117 n. Chr. (1,515 g; 8 Uhr; 18,37 mm)
Av.: [IMP] [CAES] [NER] [T]RA[IANO] [OPT]IMO AVG G[ER] [DAC]. Drapierte Büste Trajans n. r.; lorbeerbekränzt
Rv.: [P] [M] [TR] [P] [COS] [VI] [P] [P] [S ] [P] Q R. Drapierte Felicitas n. l. stehend; erhobener Botenstab in der rechten Hand und Füllhorn im linken Arm
Kommentar: Gebrochen; vom Avers gelocht, wobei sich am Austrittsloch eine scharfkantige Falz bilden konnte; rillenförmige Einkerbungen (evtl. Hackspuren) auf dem Revers
Münzkabinett des LWL Museums für Kunst und Kultur, Inv. 35930 MZ
RIC II Trajan Nr. 343 http://numismatics.org/ocre/id/ric.2.tr.343 oder Nr. 344 http://numismatics.org/ocre/id/ric.2.tr.344
»[…] Wer Gold- oder Silbermünzen fälscht, auswäscht, einschmilzt, beschneidet, beschädigt, verschlechtert […]: honestiores werden auf eine Insel verbannt, humiliores entweder in die Minen geschickt oder ans Kreuz geschlagen; Sklaven aber nach der Tat […] mit dem Tode bestraft […].« So führte Julius Paulus im dritten Jahrhundert n. Chr. die zu erwartenden Konsequenzen diverser Münzvergehen für Amtsträger (»Ehrbare«, honestiores) und einfache Bürger (»Niedere«, humiliores) aus. Dass die im römischen Staatsgebiet unter Strafe gestellte Veränderung von römischen Prägungen abseits der Reichsgrenzen dennoch Anwendung erfuhr, soll exemplarisch dieser Denar Kaiser Trajans, die Münze des Monats Oktober, zeigen.
Gefunden wurde der Denar auf einer westlich der ostwestfälischen Gemeinde Borgentreich (Kr. Höxter) gelegenen landwirtschaftlich genutzten Flur. Diese beherbergte eine 1036 erstmalig genannte Ortschaft namens »Sunrike«, welche 1447 von marodierenden böhmischen Truppen auf ihrem Rückweg von der Belagerung Soests zerstört wurde und infolgedessen wüst fiel.
Zwischen 1997 und 2007 war das Wüstungsareal Gegenstand mehrerer Sondenbegehungen, die von ehrenamtlichen Helfern unter Aufsicht der LWL Archäologie für Westfalen (Außenstelle Bielefeld) https://www.lwl-archaeologie.de/de/kontakt/archaologische-denkmalpflege/aussenstelle-bielefeld/ durchgeführt wurden. In diesem Zusammenhang konnten insgesamt 103 Münzen geborgen werden, von denen mit 59 Exemplaren mehr als die Hälfte in die Spanne zwischen Trajan und Valentinian II. (114-393 n. Chr.) datierte. Die restlichen Münzen entfielen hingegen in den mittelalterlichen bzw. neuzeitlichen Zeitraum des 11. bis 18. Jahrhunderts.
Nach Sichtung im Münzkabinett des LWL-Museums für Kunst und Kultur in Münster wurde ein Teil der Münzen (zwei römische und alle mittelalterlichen und neuzeitlichen Münzen) an die betreffenden Finder zurückgegeben, die übrigen Stücke, inklusive des betreffenden Denars, wurden einvernehmlich dem LWL überlassen.
Aufgrund des Fehlens eines direkten Befundes können wir nur den zwischen 114-117 n. Chr. anzusetzenden Prägezeitraum des Denars eingrenzen, während die tatsächliche Nutzungsdauer sowie der Zeitraum in dem die Münze in den Boden gelangte, unklar bleiben muss.
Bereits bei der ersten Betrachtung des Denars aus Sunrike fällt auf, dass ein erheblicher Teil des Münzmaterials weggebrochen ist und sich nahe der Bruchkante auf der Rückseite rillenförmige Einkerbungen finden lassen, die, wenn nicht durch eine Egge hervorgerufen, als Hackspuren gedeutet werden können. Womöglich versuchte man zuerst die Münze durch einen Hieb zu teilen, bevor man sie anderweitig, evtl. händisch, brach.
Des Weiteren besteht eine nicht zentrierte Lochung, bei deren Herstellung sich scharfkantiges Münzmaterial auf dem Revers auswölbte, welches auf ein Durchstoßen von der Vorderseite her hinweist.
Das Münzbild auf dem Avers besteht aus einer nach rechts gerichteten und lorbeerbekränzten Büste Trajans, deren Hals- und Torsopartie infolge der Materialentnahme fehlen. Im Gegensatz dazu nimmt die Lochung jedoch lediglich einen unwesentlichen Einfluss auf Aversdarstellung oder -legende. Von letzterer sind hingegen durch den Bruch Anfang und Ende verloren gegangen.
Auf dem Revers ist eine nach links gewandte und bekleidete Felicitas mit erhobenem Botenstab in der rechten Hand und Füllhorn im linken Arm abgebildet. Durch das abgebrochene Fragment fehlen die Kopfpartie und die rechte Körperhälfte samt einem Großteil des Füllhorns sowie die erste Hälfte der Legende. Auch hier zerstört die Lochung weder die Legende noch das Bild.
Generell muss festgehalten werden, dass antikes Münzgeld nicht zwangsläufig die ihm innerhalb des Römischen Reiches zugesprochene Währungsfunktion eines wertdefinierten Tauschobjekts bis zum Ende behalten musste. Genauso gut konnte es dem Umlauf entzogen werden, wobei mithilfe einer oder mehrerer Sekundärveränderungen (beispielsweise in Form einer Lochung oder Materialentnahme) die ursprüngliche Geldfunktion verändert werden konnte.
Sucht man nach Gründen für derartige Prozesse, wird man mit mehreren Erklärungsmodellen konfrontiert.
Die gelochten Münzen betreffend geht die wohl geläufigste Deutung davon aus, dass diese durchstochen wurden, um sie allein oder neben weiteren Schmuckelementen, wie beispielsweise Bernstein- und Glasperlen, an Halsketten zu tragen.
Nach heutiger ästhetischer Einschätzung sollte das nach außen getragene Münzbild in 12 Uhr-Position nach unten hängen. Hierzu würde eine zentrale Befestigung am oberen Rand benötigt. Bei dem hier gezeigten Denar ist dies unmöglich, da die Lochung nicht über, sondern hinter dem Vorderseitenbildnis angebracht wurde und das Aversbild beim Tragen folglich »schief« hängen würde. Dass dies aber nicht etwa als Einzelfall abgetan werden kann, und eventuell in der Antike auch gar nicht als Makel angesehen wurde, zeigen viele Vergleichsbeispiele ähnlich gelochter Fundmünzen.
Über den Schmuckcharakter hinweg mögen möglicherweise auch ideologischen Beweggründe eine Rolle gespielt haben. Darstellungen auf kaiserzeitlichen Münzen waren selten nur eindimensionale Abbildungen und konnten – neben der von der Prägeautorität intendierten Aussage – auch ganz individuelle (über die Geldfunktion hinausgehende) Bedeutungen für die späteren Besitzer haben. So maß Aleksander Bursche der römischen Kaiserikonographie einen festen Platz in der germanischen Symbolsprache bei. Indem man gelochte, mit Ösen versehene oder eingefasste Münzen bzw. Medaillen aus Edelmetall besaß und mit frontalem Avers trug, erhoffte man sich soziale Anerkennung und brachte den eigenen gesellschaftlichen Status bzw. eine besondere Nähe zum römischen Kaiser zum Ausdruck. Prachtvoll gestaltete Einzelfunde, wie der eines Schmuckanhänger mit darin eingesetzten Aureus aus Hornoldendorf (Kr. Lippe), stützen dabei diese These (Abb. 2).

Eine andere, etwas nüchterne, Interpretationsebene eröffnet die ebenfalls von Aleksander Bursche vorgebrachte Ansprache bestimmter Fundmünzen als »praktische(r) Vorrat an Altmetall«. Als archäologische Basis dieser These diente ihm ein Hortfund aus dem polnischen Frombork (dt. Frauenburg) mit darin befindlichen Denaren, Sesterzen und einem Solidus, der in einer Silberschmiede gefunden wurde. Von den Denaren waren demzufolge mehrere halbiert oder teilweise geschmolzen.
Hiermit ließe sich eventuell der ungewöhnliche Denar aus Sunrike erklären: Die Kombination aus Lochung und Bruch könnte auf eine Aufbewahrung an einer Kette oder Schnur hindeuten, wobei je nach Bedarf Silberfragmente von der Münze zur Weiterverarbeitung oder zum Eintausch abgebrochen wurden. Alternativ könnte man auch von zwei Phasen ausgehen, wonach die Münze erst als Anhänger diente und später als »Edelmetallvorrat« eingesetzt wurde.
(Max Römelt)
Literatur
- K. Bietenbeck, Ein Dorf »glänzt«. Die Metallsondenfunde der mittelalterlichen Wüstung Sunrike (Lizentiatsarbeit Universität Basel 2007)
- A. Bursche, Later Roman Barbarian Contacts in Central Europe. Numismatic Evidence. Spätrömische Münzfunde aus Mitteleuropa. Ein Beitrag zur Geschichte der Beziehungen zwischen Rom und dem Barbaricum im 3. und 4. Jh. n. Chr., Studien zu Fundmünzen der Antike 11 (Berlin 1996)
- A. Bursche, Function of Roman coins in Barbaricum of Later Antiquity. An anthropological essay, in: A. Bursche – R. Ciolek – R. Wolters, Roman coins outside the Empire. Ways and Phases, Contexts and Functions. Proceedings of the ESF/SCH Exploratory Workshop, Radziwiłł Palace, Nieborów (Poland). 3-6 September 2005, Collection Moneta 82 (Wetteren 2008) S. 395-408
- P. Ilisch, Münzfunde der Jahre 1999 bis 2010 in Westfalen-Lippe, AFWL Beih. 5 (Münster 2012) S. 114 Nr. 360 (Lesefunde westlich von Borgentreich, darunter unsere »Münze des Monats«), online abrufbar unter https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:hbz:6:2-84656
- S. Kötz, Monetissimo! Aus den Tresoren des Münzkabinetts. 27 Jahrhunderte Münzen, Medaillen & Co., Ausstellungskatalog Münster (Münster 2016) S. 52-57
Die Übersetzung der auf die lex Cornelia testamentaria nummaria (81 v. Chr.) zurückgehende Passage bei Iulius Paulus (Paul. sent. 5,25) nach: M. Peter, Von Betrug bis Ersatzkleingeld. Falschmünzerei in römischer Zeit, in: M. Reuter – R. Schiavone, Gefährliches Pflaster. Kriminalität im Römischen Reich. Ausstellungskatalog Xanten (Mainz a. Rh. 2011) S. 107-108