September 2022
September 2022

Münze des Monats

Abb. 1 (links): Ingo Cesaro, aus Bleilettern im Handsatz gesetzt, auf der Handnudel im Buchdruck gedruckt, zweifarbig; Verwertungsgesellschaft; Abb. 2 (rechts): Maren Rombold »25«, Linolschnitt, Wasserzeichen der Druckwerkstatt VIR3.
© Ingo Cesaro und Maren Rombold

Corona-Notgeld von Kulturschaffenden

»Seit dieses scheiß Virus Künstler und Kulturschaffende in den Lockdown zwang, existieren Einkünfte nur noch in ihren Träumen. Deshalb legen etliche von ihnen jetzt ihre eigene Währung auf. In der Tradition des Notgelds drucken sie stilvolle Fufziger und andere falsche Scheine«.
(Verwertungsgesellschaft Martin Droschke, Oliver Heß)

 

»In der Not druckt der Künstler Scheine«.
(VIR3, Werkstatt für erlesene Druckgraphik)

 

2021 wurden zwei Initiativen zur Herstellung von künstlerisch gestaltetem ›Notgeld‹ durch Kunstschaffende ins Leben gerufen, tätig u.a. in Grafik, Malerei, Theater, Sprachkunst oder Gesang. In der Zielrichtung sind beide Initiativen identisch, verschieden jedoch in Organisation, Produktionsstätten, Form und Drucktechnik. Und beide beziehen sich explizit auf die für sie existenziellen Folgen der Corona-Pandemie.
Die Coburger »Verwertungsgesellschaft«, ein lokales Kunstlabel, überließ es in ihrem deutschlandweiten Aufruf, potenziell Interessierten »KünstlerNotgeld zum ARTerhalt« zu entwerfen und »in einer handwerklichen Drucktechnik« selbst herzustellen. Entsprechend vielfältig war das Ergebnis (Abb. 1, 3, 5, 7–9, 12–13). Eine Gruppe niederrheinischer Künstler*innen hingegen hatte sich vorab auf eine Drucktechnik und einen zentralen Druckort, die Gocher Druckwerkstatt VIR³, festgelegt (Abb. 2, 4, 6, 10–11, 14). Der vorliegende Beitrag ist der Versuch einer Annäherung an diese Form des Künstlergeldes. Auf vergleichbare künstlerische Aktionen wie das Berliner Knochengeld oder Bearbeitungen echter Banknoten sei hier nicht eingegangen.

Abb. 3 (links): KünstlerNotgeld zum ARTerhalt, Verwertungsgesellschaft, Plakatwerbung in Coburg 2021, Instagram; Abb. 4 (rechts): Künstlernotgeld 2021, bearbeiteter Screenshot vom Webshop Atelier Rombold.
© Martin Droschke, Oliver Heß und Atelier Rombold

Notgeld mit Tradition?
Die Bezeichnung dieses Künstlergeldes als Notgeld entspricht nicht der gängigen Definition und damit auch nicht dem historischen Notgeld aus der Zeit vor 100 Jahren in Deutschland. Zwar herrschte 2021 zweifellos infolge der Corona-Pandemie eine gesamtgesellschaftliche Krise. Diese führte aber nur bei einem Teil der Gesellschaft zu einem dann existenziell bedrohlichen »Mangel an Geldzeichen« (s. Gabler Wirtschaftslexikon), weil die drastischen allgemeinen Schutzbestimmungen zur Eindämmung des Virus die Ausübung bestimmter Berufe für längere Zeit stark einschränkte oder unmöglich machte und staatliche Stützungsmaßnahmen nicht oder kaum wirksam auf sie zugeschnitten waren. Die »Versorgung der Bevölkerung mit staatlichen Zahlungsmitteln« (s. Historisches Lexikon Bayerns) insgesamt aber war zu keiner Zeit eingeschränkt. Insofern bestand auch kein Bedarf an der Einführung von Ersatzgeld (ibid.) bzw. provisorischer Zahlungsmittel (s. Wirtschaftslexikon24); als deren ausgebende Autoritäten in Notzeiten werden ausschließlich öffentliche Institutionen wie Städte, Kreise oder öffentliche Verbände vorausgesetzt.
Die Ideengeber des Coburger »KünstlerNotgelds« zerlegen diese Definition und besetzen die Positionen spielerisch neu (s. ARTerhalt, Selbsthilfeaktion). Das Corona-Virus tritt an die Stelle der Inflation als krisenhafte Ursache von Mangel an Geld; die Künstler*innen und Kulturschaffenden ersetzen die von der Krise akut betroffene Gesamtgesellschaft – zugleich aber auch die zur Emission von Ersatzgeld berechtigten Autoritäten. Die Aufforderung zur Selbstermächtigung wiederum könnte als Konsequenz gelesen werden aus dem in der Kreativbranche erlebten staatlichen Versäumnis einer ausreichenden Versorgung mit Zahlungsmitteln während des Lockdown-bedingten faktischen Berufsverbots.
Das KünstlerNotgeld wird offenbar auch in der Tradition des eigens für Sammler produzierten, künstlerisch gestalteten Notgelds während der Währungskrise in der Weimarer Zeit gesehen, das hohe Wertsteigerungen erfuhr (s. Die gefährlichen Nullen). Einige Künstler*innen nehmen mit ihrem Geld explizit darauf Bezug; dem trägt auch die Aufforderung der »Verwertungsgesellschaft« Rechnung, jeden Schein »auf der Rückseite entsprechend der Auflage« zu signieren und zu nummerieren. Mitunter allerdings scheinen manche Emittent*innen durch Nachdrucke selbst die Idee eines Anlageobjekts mit Wertsteigerung zu unterlaufen.
Das niederrheinische »Künstlernotgeld« knüpft explizit an das Coburger Projekt an und verweist zusammenfassend auf die »bedrohliche Lage der Kulturschaffenden« (s. VIR3, Pressemitteilung).

Vorgaben, Konditionen und Umsetzung des Corona-Notgeldes
Die Verwertungsgesellschaft machte keine strikten Vorgaben (s. ARTerhalt, Teilnahmebedingungen): Individuelle Gestaltung, Wertangaben und Auflagenhöhe konnten frei gewählt, eine Währung sollte nicht genannt werden; angefragt war eine »handwerkliche Drucktechnik«. Weitere Vorgaben waren der einseitige Druck im Format »eines realen Geldscheins« mit rückseitiger Signatur und Nummerierung.
Die Ergebnisse sollten auf der »Online-Wechselstube« der Verwertungsgesellschaft präsentiert werden mit den Angaben zu Urheber*in, Kontaktdaten, Technik, Ausführung, Auflage und Wert. Angesprochen werden sollten Leute, die die Scheine »1:1 in echte Euros eintauschen« möchten. Verkäufe sollten direkt mit den Teilnehmenden selbst abgewickelt werden, der Verkaufspreis vollständig den Urhebern zugutekommen. Stichtag für die Einreichung der Arbeiten war der Tag der Druckkunst am 15.03.2021.

Abb. 5: Gabriella Popp, experimentelle Kaltnadelradierung, Verwertungsgesellschaft.
© Gabriella Popp

Das Ergebnis zeigt sich wesentlich vielseitiger als die Vorgaben: Es finden sich mitunter Phantasiewährungen und Scheine im Format von Münzen (Abb. 5). Für die Herstellung nutzen die beteiligten Künstler*innen Linoldruck, Kaltnadelradierung, Siebdruck, Hochdruck und andere klassische Drucktechniken, dazu aber auch Fineprints, Digitaldrucke und (ungedruckte) Collagen (etwa »Wachs in Filz / Schrift in Wachs gedru[e]ckt, Tusche«). Sehr oft gibt es Mischtechniken (u.a. »Linodruck, digitalisiert, handkoloriert und genäht«; »Stempeldruck, Zeichnung, digitale Fotomontage«; »Linol- und Wachsdruck, Aquarellstift/Fineliner«; »Kartoffeldruck auf Lochkamerafoto«).

Einen anderen Weg beschreitet man am Niederrhein in Zusammenarbeit der Druckwerkstatt VIR³ in Goch mit dem Künstler Martin Lersch: Im Format einheitlich, ist jeder »Schein [...] individuell gestaltet und mit der Hand aus Linol geschnitzt« und »auf der Heidelberger Tiegelpresse professionell gedruckt«; die gedruckten Auflagen sind höher. Auch diese Scheine werden rückseitig nummeriert und signiert. Der Verkauf erfolgt lokal an verschiedenen Stellen und im Internet über den Webshop einer beteiligten Künstlerin (VIR3 2021). Der Hinweis auf das Wasserzeichen der Druckwerkstatt VIR3 soll vermutlich Fälschungen vorbeugen.

Themen

Die Vielfalt an Motiven, künstlerischen Zitaten, Anspielungen und politischen Botschaften sei im Folgenden nur exemplarisch veranschaulicht.

1. Thema ›Geld‹ in verschiedenen Facetten

Abb. 6 (links): Martin Lersch »13«, Linolschnitt, Wasserzeichen der Druckwerkstatt VIR3; Abb. 7 (rechts): Oliver Tissot (Wortakrobat und Lachverständiger), [R]aubdruck nach Druck durch mehrtägiges Tragen und eindrückliches Sitzen auf den Scheinen, die in meinem in der Gesäßtasche verstauten Portemonnaie deponiert waren; photogeshoptes Fake-Simile, einseitig bedruckt; Verwertungsgesellschaft.
© Martin Lesch und Oliver Tissot
Abb. 8 (links): Michael Jochum, Fotografie, Digitaldruck; Verwertungsgesellschaft; Abb. 9 (rechts): Günter Derleth, Kartoffeldruck auf Lochkamerafoto, Verwertungsgesellschaft.
© Michael Jochum und Günter Derleth

2. Botschaften und politische Kommentare

Abb. 10 (links): Klaus Franken »1001«, Linolschnitt, Wasserzeichen der Druckwerkstatt VIR3; Abb. 11 (rechts): Janna Nielen »15«, Linolschnitt, Wasserzeichen der Druckwerkstatt VIR3.
© Klaus Franken und Janna Nielen
Abb. 12 (links): Oliver Heß (Verwertungsgesellschaft), Linoldruck, zweifarbig von einer Platte, Verwertungsgesellschaft; Abb. 13 (rechts): Claudia Alt, Risografie und Holzschnittdruck; Verwertungsgesellschaft.
© Oliver Heß und Claudia Alt

3. Querbezug zum Coburger Notgeld

Abb. 14: Elisabeth Schink »5« Nr. 1, Linolschnitt, Wasserzeichen der Druckwerkstatt VIR3.
© Elisabeth Schink

(Georg D. Schaaf)

 

Quellen
a) Notgeld, Definition und Tradition

b) Coburger Corona-Notgeld

c) Gocher Corona-Notgeld

(Alle angegebenen Websites wurden zuletzt am 31.08.2022 geprüft)