
Eine kurze Geschichte des sowjetischen Rubels - Münzen als Mittel der Propaganda
Avers: Сто лет со дня рождения В.И. Ленина (deutsch: Hundert Jahre seit der Geburt von V.I.Lenin), СССР, Один рубль (deutsch: Ein Rubel). Staatswappen bestehend aus Hammer und Sichel auf der Weltkugel, umrandet von Ähren und 15 Bändern, die die Sowjetstaaten repräsentieren.
Revers: Nach rechts gedrehtes Reliefprofil V.I. Lenins vor einem matten Hintergrund und Perlenkranz. Unten das Jubiläumsdatum: 1870 - 1970.
Material: Kupfer und Nickel
Durchmesser: ø 31mm
Gewicht: 12,8g
Dicke: 2,4mm
Münzstätte: Leningrad (heute Sankt Petersburg)
Auflage: 100.Mio Stück
Der 22. April 1970 markiert das Jubiläum zu Wladimir Iljitsch Lenins 100. Geburtstag. Zu den Festlichkeiten fanden, nicht nur in Russland, sondern in allen Ländern der Union der Sowjetrepubliken, ausschweifende Paraden, Konzerte, Ausstellungen und militärische Schaudarstellungen statt. Die Rede des damaligen Generalsekretärs Leonid Breschnew endete mit Majakowskis Zitat des Lenin-Zyklus: „Lenin lebte, Lenin lebt, und Lenin wird weiterleben“. Die Ikonisierung des russischen Revolutionärs fand so in vielerlei Formen und über Jahrzehnte hinweg seinen Ausdruck und machte ihn auch abseits seiner Einbalsamierung, in der Politik und den Köpfen der Menschen unsterblich. Diese Rubel-Gedenkmünze ist nur eins der Beispiele, in welchen der Revolutionär zu diesem besonderen Festtag verewigt wurde. Sowjetische Münzen und Banknoten stellen dabei einen guten Indikator, nicht nur über die Geldpolitik, sondern zugleich auch über den Propagandaapparat dar. So auch der hier vorgestellte Rubel, der unter Leonid Breschnew eine verstärkte Hinwendung zum Personenkult Lenins erfuhr, der in den Jahrzehnten zuvor in dieser monetären Form nicht üblich war. Wie sich die Einbindung des Rubels in die Agitationspolitik über die Jahrzehnte und Staatsoberhäupter veränderte, soll im Folgenden kurz beleuchtet werden:
Die Jahre des Kriegskommunismus unter Lenin waren aufgrund der übernommenen finanziellen Probleme des Zarenreichs, nicht nur von mehreren konkurrierenden Währungen, jedoch vielmehr von einer umfassenden Hyperinflation geprägt. Die massive Entwertung des nun vornehmlich auf Papiergeld basierenden Rubels, bewältigte die Bevölkerung mit Hilfe einer florierenden Tauschwirtschaft. Unter anderem bot sich dies an, da die Löhne der Arbeiter und Arbeiterinnen durch Lebensmittelrationen und kostenlose Dienstleistungen gedeckt wurden. Die Hyperinflation war jedoch in Anbetracht des voranschreitenden Bürgerkrieges nur ein sekundäres Problem der Bolschewiken, da auf lange Sicht das Geld, wie auch der Kapitalismus, obsolet werden und „absterben“ würden. So stellten bereits kurz nach der Revolution die Bolschewiken die Banken unter die Aufsicht der Zentralbank und schufen, Anfang des Jahres 1920, diese als Institution gänzlich ab. Ziel war es die Einflussnahme der Großkapitalbesitzer zu unterbinden und damit ein Zentrum der sowjetischen Wirtschaft zu etablieren. Die Geldherausgabe war von nun an allein in der Hand des Staates und unterlag somit ebenfalls der Agitations-Propaganda, für welche zeitgleich 1920 eine eigene Abteilung durch das Zentralkomitee errichtet wurde. Die sogenannte Sowsnak-Währung (russisch: Совзнак) sei somit nur eine Übergangslösung gewesen, wodurch sie, neben dem minderwertigeren Papierdruck, auch in der Gestaltung verhältnismäßig simpel gehalten wurde. Zentraler Bestandteil der Ikonographie war das Symbol des mit Ähren verzierten Hammers und Sichel, begleitet mit einem Zitat des Manifests der kommunistischen Partei: „Arbeiter aller Länder, vereinigt euch!“. Das internationale Selbstverständnis der Bolschewiken wird durch den mehrsprachigen Aufdruck dieses Zitats zusätzlich betont. Obgleich die spätere Sowjetunion ein multiethnischer und multinationaler Zusammenschluss war, zeigt sich in den Folgejahren die Oberhand der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFS) auch in der fortwährend dominanten Nutzung der russischen Sprache, Kultur und Geschichte.
Unterm Strich trat das Land 1921 nach dem Bürgerkrieg mit einer industriellen und landwirtschaftlichen Produktion von 13% des Vorkriegsniveaus hervor. Hoffnungsvoller Lichtblick war der politische Kurswechsel durch die Einführung der Neuen Ökonomischen Politik (NÖP) unter Lenin. Um die Versorgung der Bevölkerung längerfristig zu verbessern, wurde sich erneut auf die Geldwirtschaft und die Stabilisierung des Rubels zurückbesonnen. So gab im November 1921 das Volkskommissariat für Finanzen eine neue Währung bekannt: den Goldrubel, dessen Nominalwert zugleich in Gold eingelöst werden konnte. In diesem Zuge wurde der Kleinhandel erneut legalisiert, die Zwangsrequirierung des Getreides durch feste Steuern ersetzt und die monetäre Auszahlung der Löhne wurde veranlasst. Die Jahre des Kriegskommunismus waren offiziell beendet. Obgleich die zu dieser Zeit geprägten Münzen in Größe, Gewicht und Edelmetallwert denen aus zaristischen Zeiten glichen, wurde für ihre bildliche Darstellung auf den sozialistischen Realismus gesetzt. Aus der Zeit der Neuen Ökonomischen Politik erhaltene Gold- und auch Silbermünzen des Rubels, Halbrubels und der Kopeken stechen daher vor allem durch ihre Ikonographie heraus. So sind Arbeiterschaft und Bauernschaft, neben dem Staatswappen, eins der zentralen Motive dieser Periode. Porträtiert wird damit nicht nur die Entwicklung, des bis dato feudalen, Russlands zu einem Industriestaat, sondern auch die Formung eines neuen Menschentypus nach sowjetischem Vorbild. Die Zeit der NÖP sollte bis auf Weiteres, ähnlich wie es die Ikonographie des sowjetischen Geldes abbildete, hoffnungsvolles Sinnbild sein für einen Aufbruch in eine nicht kapitalistische Moderne.
Nach Stalins Machtübernahme 1928/29 wurden systematisch neue Kursmünzen aus minderwertigeren Metallen in Umlauf gebracht, die später typisch für die Währung der sowjetischen Staaten werden sollten. Die hochwertigeren Edelmetallmünzen der NÖP wurden hingegen bis 1931 aus dem Verkehr genommen und ihres Metallwertes wegen eingeschmolzen. Obgleich die Periode des Stalinismus synonym für mediale Kontrolle und Zensur stünden, habe der Stalinismus selbst, wie es Paul Van Wie treffender Weise formulierte, „verpasst“ Münzen und Banknoten in diesen zu integrieren. Die Münzen dieser Zeit waren anfänglich zwar noch an die ursprünglichen Motive des sozialistischen Realismus angelehnt - ein Arbeiter mit einem Schild, der das Nominal der Münze preisgibt – zeigten sie sich jedoch in späteren Prägungen hingegen nur noch mit Nominal, Jahr und Staatswappen, welches sich bis zum Zerfall der Sowjetunion als Hauptmotiv durchsetzen sollte. Was bestehen blieb war, dass auch Jahre nach seinem Tod Lenin tagtäglich durch die Hände von Millionen von Bürgerinnen und Bürgern der Sowjetunion kursierte. Denn seit 1938 war er integraler Bestandteil sowjetischer Banknoten. Zierten diese in den 1920er Jahren auch noch Bergmänner, Soldaten und Piloten, sind seit der 1947er Serie hauptsächlich Staatswappen und Lenin-Porträt abgebildet. Die Zentralisierung aller Propagandamaterialien führte längerfristig zu einer Vereinheitlichung der Themen, sowie auch ihrer künstlerischen Darstellung. Unter Stalin erfuhr die sowjetische Währung so nicht nur eine veränderte Geldpolitik und -reformen, sondern einhergehend eine deutliche, fast pragmatische, Simplifizierung der Motive des Rubels, die auch unter Chruschtschow dominant bleiben sollte.
Erst in der Amtszeit von Leonid Breschnew lässt sich, unter anderem zu den Jubiläen des 50. Jahrestages der Russischen Revolution, sowie dem 100. Geburtstag von Lenin, der Einsatz von Münzen zum Gedenken und zur Herrschaftsrepräsentation erkennen. Sie zeigten beispielsweise Lenin in seiner Rednerpose zum 1.Mai 1919 oder wie auf der hier ausgewählten Münze in schlichten Seitenporträt, wie es auch seit der Banknotenserie des Jahres 1961 üblich wurde. Das Ausmaß der Gedenkfeiern und Ikonisierung des Revolutionärs stießen bei großen Teilen der Bevölkerung jedoch übel auf, weshalb in rauen Mengen Lenin-Witze heimlich ausgetauscht worden sind:
„Zu der Zeit der Hundertjahrfeier zu Lenins Geburtstag begann man in der Sowjetunion Ehebetten prinzipiell für drei Personen herzustellen.
Wissen Sie, weshalb?
Weil Lenin allgegenwärtig ist.“ (Kalina 1980, S.100)
Lenin-Witze wurden bereits zu seinen Lebzeiten erfunden, kumulierten sich jedoch als Produkt des übermäßigen Leninkultes zu seinem 100. Geburtstag im Jahre 1970 an. Die Partei und Lenins Personenkult waren über die Jahre so eng miteinanderverschmolzen, dass jede Diffamierung Lenins zu einer Kritik an dem Regime und der Partei selbst wurde und somit bereits prinzipiell antikommunistisch und konterrevolutionär sei. Eine Überzeugung die sich in der Gestaltung der Währung und der Dominanz Lenins als repräsentatives Motiv, wiederfinden lässt. Gemäß dem Motto:
„Wenn wir Lenin sagen, meinen wir die Partei, und wenn wir die Partei sagen, meinen wir Lenin.“
Unter Breschnew ist des Weiteren erstmalig die Prägung sowjetischer Gedenkmünzen einzuordnen. Waren diese anfänglich von politischen Motiven, z.B. zum 20. Jahrestag des Sieges über das faschistische Deutschland, bestimmt; wurden ab 1977 vornehmlich auch unpolitischere Themen geprägt wie die Olympischen Spielen in Moskau 1980, die in erster Linie Stadien und diverse Sportarten zeigten. Im Gegensatz zu den Kursmünzen waren diese Prägungen hingegen in Silber, Gold oder Platin erhältlich. Die Gedenkmünzen erfreuten sich bei den Touristen als Souvenir oder Sammlerstück großer Beliebtheit, wobei ihr Verkauf einen zusätzlichen Zugang zu Hartwährungen darstellte. Diese Tendenz setzte sich auch unter Gorbatschow mit den Prägeserien nach 1983 weiter fort. Auf diesen wurden Figuren der russischen und sogar nicht-russischen Geschichte wie z.B. der moldawische Poet Mihai Eminescu oder der türkische Dichter Alisher Navoi abgebildet. Zu den regelmäßigsten Motiven gehörten jedoch weiterhin: Der Sieg des „Großen Vaterländischen Krieges“, Die Oktoberrevolution und Lenins Geburtstag. So wurde beispielsweise im Jahre 1985 eine erneute Gedenkmünze des Rubels zum 115. Geburtstag von Lenin geprägt. Auch diese besticht wie ihre Vorgänger durch eine simple Gestaltung Lenins im Seitenprofil, Staatswappen und Nominal, jedoch diesmal mit Geburts- und Sterbejahr „1870-1924“. Schlussendlich verschwand Lenin in den letzten Tagen der Sowjetunion stetig und später endgültig von den russischen Münzprägungen und Banknoten, wie auch kurz darauf die Sowjetunion und die RSFS selbst.
(Larissa Ornat)
Dieser Beitrag entstand im Rahmen der Numismatischen Herbstschule 2021.
Literatur:
- Altrichter, Helmut (2013): Kleine Geschichte der Sowjetunion 1917-1991. 4.Auflage. C.H. Beck, München.
- Davies, Christie (2008): Humour and Protest Jokes under Communism. In: International Review of Social History, Vol. 52. Cambridge University Press, Cambridge. S.291-305.
- Hildermeier, Manfred (2016): Die Sowjetunion 1917-1991. 3. Auflage. Oldenbourg, Berlin.
- Kalina, Jan L. (1980): Nichts zu lachen. Der politische Witz im Ostblock. Herbig, München.
- Pisch, Anita (2016): The personality cult of Stalin in Soviet Posters 1929-1953, Archetypes, inventions and fabrications. ANU Press, Canberra.
- Van Wie, Paul D. (1999): The Coinage of Modern Europe. University Press of America, Oxford.