Thomas Tippach
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Historische Karten

Karten dienen seit der Antike zum einen als „Wissensspeicher“ und zum anderen als „Orientierungshilfe“ (Schneider 2004, S. 10f.). Als Wissensspeicher spiegeln sie die jeweiligen zeitgenössischen Raumvorstellungen. Die Mappae Mundi des Mittelalters bedeuten indes nicht nur Repräsentationen des Raums. Geographische Genauigkeit tritt in ihnen häufig hinter die Darstellung der biblischen Geschichte und historischer Ereignisse zurück. Neben diesen Weltdarstellungen gab es als weitere Orientierungshilfen Itinerare (Reiserouten) und Portolankarten (Seekarten).

Seit der Frühen Neuzeit wurden Karten zunehmend zur Repräsentation des jeweiligen Territoriums genutzt, ermöglichte doch die Fixierung einer in der Natur allenfalls punktuell fassbaren Grenzlinie auf einer Karte – so unpräzise dies in der Regel auch war –, die Landeshoheit oder ihre Ansprüche darauf evident sichtbar zu machen. Dies galt beispielsweise in Auseinandersetzungen mit konkurrierenden Herrschaftsinteressen. Unabhängig davon, in welchem Rechtszusammenhang die Karten entstanden, können sich diese als detaillierte “Landschaftsgemälde” präsentieren, die somit über Grenzstreitigkeiten hinaus Informationen zum Zustand oder zur Entwicklung einer Landschaft und zu ihrer Nutzung bieten. Teilweise sind diese Karten aber nur skizzenhafte Darstellungen, die Mark Mersiowsky (DNB) mit dem Schlagwort “pragmatische Bildlichkeit” (Mersiowsky, 1997, S. 18) umschrieben hat.

Der Darstellung von Grenzen in Karten kam aber nicht nur in Auseinandersetzungen mit konkurrierenden Herrschaftsinteressen eine besondere Bedeutung zu. Vor allem gedruckte Karten dienten dazu, jedermann das jeweilige Herrschaftsgebiet in einer repräsentativ ansprechenden Form vor Augen zu führen. Bei der wissenschaftlichen Auswertung ist daher gegebenenfalls zu prüfen, ob der Auftrag zum Druck entsprechender politischer Karten vom interessierten Landesherrn ausging. Hinter die politischen Intentionen traten in der Regel andere Inhalte deutlich zurück. Trotzdem bieten diese Karten Informationen über die Besiedlung des Territoriums und können daher als eine Quelle zur Siedlungsforschung genutzt werden. Sie enthalten auch Informationen zur Topographie, allerdings entspricht die Darstellung häufig weder den zeitgenössischen kartographischen Möglichkeiten noch dem aktuellen geographischen Wissen. Ein Beispiel dafür ist eine 1757 gedruckte Karte des Fürstbistums Münster, die auf der Grundlage von Karten des Hochstifts aus den 1620er Jahren von Johannes Gigas (DNB) entstand. Aktualität und geographische Genauigkeit waren zumindest teilweise von den Landesherren nicht intendiert, denn exakte Informationen ließen sich von potentiellen Gegnern unter Umständen militärisch nutzen. Daneben dürften aufgrund der hohen Kosten für die Anfertigung neuer Druckplatten ebenso editorische Überlegungen eine Rolle gespielt haben.

So bedeutsam Grenzkarten und politische Karten im Hinblick auf repräsentative Funktionen auch waren, mit Blick auf den Staatsbildungsprozess waren Karten ein unverzichtbares Mittel zur konkreten Herrschaftsausübung nach innen. Zum einen machte die Kommunikation zwischen den verschiedenen Ebenen der staatlichen Verwaltung Kenntnisse über die Verkehrsinfrastruktur notwendig. Zum anderen wuchs dem Raum eine ökonomische Dimension zu, die es zu erschließen galt. Neben Statistiken waren kartographische Aufnahmen die wichtigsten Grundlagen, die Kenntnisse über die Ressourcen des Landes liefern sollten. Ein Beispiel hierfür bietet die Zechenkarte für die Grafschaft Mark des Schwelmer Predigers Friedrich Christoph Müller (DNB) von 1775.

Zu den wichtigsten kartographischen Zeugnissen der staatlichen Durchdringung des Raumes gehören schließlich die Katasteraufnahmen, also die Beschreibung sämtlicher Flurstücke (Parzellen) eines Landes hinsichtlich der Lage, der Bebauung und der Art der Nutzung und Größe. Besonders früh kam es in den Niederlanden zu einer Verbindung von Textkatastern mit einer Kartenaufnahme. So entstanden hier bereits im 16. Jh. Katasteraufnahmen im Rahmen der Regulierung der Deichlasten oder im Gefolge der Landgewinnung. Freilich blieben solche großmaßstäbigen Karten eine Ausnahme, und in der Regel erfolgte auch bis in das 19. Jh. hinein keine flächendeckende Erfassung eines Territoriums, obwohl die staatswissenschaftliche Theorie während des 18. Jh. mit Blick auf die Grundsteuererhebung stets die Bedeutung einer exakten kartographischen Aufnahme hervorhob. Neue Impulse brachte das in der Französischen Revolution durchgesetzte Prinzip der Rechtsgleichheit. Die Aufhebung von Steuerprivilegien und die Orientierung der Besteuerung am Prinzip der Leistungsfähigkeit lösten eine Debatte um eine Grundsteuerreform aus, in der sich das Prinzip einer exakten Grundbesitzvermessung allmählich durchsetzte. Im Rahmen der Katastervermessung entstanden unterschiedliche Arten von Karten. Grundlage der Aufnahme sind die sog. Vermessungshandrisse, aus denen die parzellengenauen Flurkarten abgeleitet wurden. In Preußen hatten die Geometer zudem Gemeindeübersichtskarten anzufertigen, die die Steuergemeinde, nicht aber die politische Gemeinde abbildeten. Diese erlauben in erster Linie die rasche Verortung der jeweiligen Flur innerhalb einer Steuergemeinde. Teilweise sind diese Übersichtskarten aber mit der der Steuerbemessung zugrunde liegenden Bonitierung – also der qualitativen Beurteilung landwirtschaftlicher Objekte – verknüpft worden. In diesen Fällen sind sie eine wichtige Quelle zur Agrargeschichte, da hier einerseits die Bodennutzung, andererseits aber auch die unterschiedlichen Ertragsklassen zum Zeitpunkt der Vermessung dokumentiert sind. Jedoch gilt bei der Nutzung dieser Karten, dass sie nur in Verbindung mit den anderen Unterlagen der Katasteraufnahme betrachtet werden sollten. So dokumentiert das Flurbuch die Grundstücke mit ihrem jeweiligen Grundeigentümer und den Kulturarten sowie Besteuerungsklassen. Dadurch sind nicht nur Rückschlüsse auf die Flächennutzung möglich, sondern auch auf die Eigentumsverhältnisse. Ergänzend können hier auch die Register der Grundeigentümer herangezogen werden, die den gesamten Grundbesitz in alphabetischer Reihenfolge der Grundbesitzer auflisten. Somit stellen die Katasterunterlagen sowohl für die Siedlungs- und Flurnamenforschung als auch für sozialgeschichtliche Fragestellungen eine wertvolle Quelle dar.

Thomas Tippach (1.9.2014)

Literaturhinweise:

  • Baumgärtner, Ingrid/Stercken, Martina (Hg.), Herrschaft verorten. Politische Kartographie im Mittelalter und in der frühen Neuzeit (Medienwandel – Medienwechsel – Medienwissen 19), Zürich 2012.
  • Mersiowsky, Mark: Aus den Anfängen der Kartographie in Westfalen. Die Mühlen bei Lippstadt (1473), in: Westfälische Zeitschrift 147 (1997), S. 9–18.
  • Schneider, Ute: Die Macht der Karten. Eine Geschichte der Kartographie vom Mittelalter bis heute, Darmstadt 2004.

Diese und weitere Literaturangaben sind zu finden in der Mediensuche.