Grußwort
Liebe Leserinnen und Leser,
mit großer Freude darf ich hier zum ersten Mal das Wort an Sie richten. Herzlich willkommen an diejenigen, die gerade frisch in ihr Studium starten; willkommen zurück an alle, die schon länger bei uns und mit uns lernen; last, but not least, willkommen auch an alle Freunde, die zwar nicht das Institutsleben mit uns teilen, aber dieselbe Neugier und Lust auf den chinesischen Kulturraum verspüren!
In den Monaten seit Erscheinen des letzten Newsletters hat sich einiges getan. Alte und neue Freunde haben uns besucht und von ihrer Forschung berichtet, Studierende sind aufgebrochen, um sich in China und anderswo den Wind um die Nase wehen zu lassen; andere haben selbiges Organ tief in unsere Bücher gesteckt. Über das alles und noch mehr berichtet diese Ausgabe des Newsletters.
Unverändert – und in Anbetracht des aktuellen politischen Klimas, das auf Unwissenheit begründete Ressentiments erstarken lässt, wohl dringlicher denn je! - ist unsere eigentliche Aufgabe: die Tür nach Asien weit aufzustoßen und mit offenen Ohren hinzuhören.
Also bis bald im Unterricht oder beim nächsten Vortrag!
Ihre Sandra Austrup
Die Fachschaft Sinologie
Liebe Erstsemester,
liebe Kommilitoninnen und Kommilitonen,
wir möchten euch herzlich willkommen heißen zum Wintersemester 2017/18! Wir, das ist die Fachschaft Sinologie, offiziell Fachschaftsvertretung (FSV). Wir sind Studierende so wie ihr und wir stehen euch bei Fragen, Anregungen und Problemen zu eurem Studienalltag zur Verfügung. Einige von den Erstsemestern kennen uns wahrscheinlich vornehmlich aus der O-Woche, die wir austragen. Doch auch während des Semesters organisieren wir unterschiedliche Veranstaltungen. Darunter fallen:
Der Instituts-Stammtisch
Hauptsächlich instituts-interner Stammtisch, oft auch von Interessierten und (potentiellen) Tandempartnern besucht; zum gemeinsamen Kennenlernen und Austauschen.
Jeden 3. Donnerstag (ab 19. Oktober)
Der Deutsch-Chinesische Abend
Offene Veranstaltung im Internationalen Zentrum "Die Brücke". Mit Programm, Spielen und manchmal auch Buffet.
Einmal im Semester
Sino Kino
Nach Freiburger Vorbild wollen wir die vergessene Tradition des Filmabends wiederbeleben.
Noch in der Planung
Zu allen Veranstaltungen gibt es in der Regel einen Aushang an den Spinden im Flur. Vor allem größere Veranstaltungen wie der Deutsch-Chinesische Abend werden auch großflächig auf anderen Kanälen beworben. Im Sommersemester richtet die Fachschaft zudem das Sommerfest aus. Seit dem letzten Semester stehen wir auch in engem Kontakt mit dem Internat Loburg in Ostbevern. Das Internat hat einen hohen Anteil an chinesischen Schülerinnen und Schülern. Wer Lust hat, kann dort Tandemprogramme, AGs oder Kurse anbieten. Auch für Forschungsarbeiten steht das Internat offen.
Falls ihr Fragen, Anregungen oder Probleme habt, zögert bitte nicht, uns zu kontaktieren. Das könnt ihr persönlich tun, falls euch Fachschaftsmitglieder über den Weg laufen, oder per Mail: fssino@uni-muenster.de.
Über unseren Mail-Verteiler werben wir auch regelmäßig für Veranstaltungen der Fachschaft und des Institutes. Zudem werdet ihr dort auch über Praktikums- und Jobangebote informiert, die unser Institut erreichen. Wenn ihr Interesse am Erhalt unserer Rundmails habt, so schreibt uns einfach an oder schreibt euch in die Liste ein, die an unserem Whiteboard in der Küche hängt. Informationen findet ihr demnächst hoffentlich auch wieder auf unserer eigenen Homepage www.fs-sinologie.de und natürlich auf unserer Facebookseite Sino Fachschaft Münster.
Wer Interesse an Fachschaftsarbeit hat, ist immer willkommen und kann uns gerne kontaktieren.
Soweit wünschen wir euch noch ein schönes Semester!
Eure FSV Sinologie
Ein herzliches Willkommen an alle "Erstis": Die Orientierungswoche 2017
So wie jedes Jahr hat die Fachschaft der Sinologie die neuen Erstsemester in der Woche vor Vorlesungsbeginn in Empfang genommen. Eingeleitet wurde das Programm am Montag mit dem "Ersti-Frühstück". Bei Kaffee, Tee und Brötchen hatten die anwesenden Erstsemester die Möglichkeit, einander kennenzulernen und sich von den Mitgliedern der Fachschaft die wichtigsten Informationen für ein erfolgreiches erstes Semester mitgeben zu lassen.
Von den etwa 60 eingeschriebenen Neulingen waren 11 Erstsemester anwesend. Eine Quote, die den bisherigen Erfahrungen entspricht, auch wenn die Fachschaft in positiver Einschätzung für mehr Teilnehmer gedeckt hatte. Das Frühstücksangebot wurde glücklicherweise auch von höheren Semestern in Anspruch genommen, sodass auch hier schon erste Kontakte geknüpft werden konnten. Herr Yu Hong nahm sich ebenfalls die Zeit, sich bei den neuen Studierenden vorzustellen. Auffällig war die große Vielfalt an Erfahrung und Motivation, die sich am Tisch unter den Neuankömmlingen versammelt hatte. Vera zum Beispiel studiert bereits BWL, doch haben die Eindrücke, die sie in ihrem einjährigen China-Aufenthalt gemacht hat, sie nicht losgelassen. Mit dem zusätzlichen Studium möchte sie ihre Kenntnisse auffrischen und verbessern. Diana dagegen kommt direkt aus der Schule und möchte die neue Freiheit nutzen, ihren Interessen in der Kombination aus Chinastudien und Informatik nachzugehen. Für sie kommt der Bezug zum ersten Fach auch aus der Familie – ihre Tante ist Chinesin.
Jannis Traumberuf ist eigentlich der des Piloten – im Zwei-Fach-Bachelor in Chinastudien und Philosophie sieht er aber einen guten Ausgleich zu seinem Hauptinteresse. Mit Fleur war sogar ein Master-"Ersti" anwesend, ein seltener Ausnahmefall in der O-Woche. Das weitere Programm der O-Woche wartete mit einer Stadtrallye und einem Abend in der Cavete (Mittwoch) sowie einem Abend am Hansaring (Donnerstag) auf. Donnerstagmittag wurde das Programm dank der Unterstützung Kolja Quakernacks noch einmal bereichert: es gab einen Einführungskurs in die Kalligraphie.
Jan Kubandt
Einen Einblick in die aktuellen Forschungsprojekte von Studierenden und einen gemeinsamen Ausklang des vergangenen Semesters ermöglichte in diesem Jahr wieder der traditionelle Alumnitag mit anschließendem Sommerfest. Wie Professor Emmerich zur Begrüßung anmerkte, ist die Präsentation der eigenen akademischen Arbeit und die Vernetzung mit anderen wichtig, um auch der Einsamkeit beim Verfassen von Arbeiten vorzubeugen. Ganz in diesem Sinne konnten Master-Studierende und Doktoranden am Nachmittag die Gelegenheit nutzen, die Themen ihrer Abschlussarbeiten vorzustellen.
Neben zahlreichen Plakaten, welche von den interessierten Teilnehmern diskutiert wurden, gab es außerdem einige Vorträge. Christoph Schwarz erläuterte die Schwierigkeiten bei der Zuordnung von sogenannten Wandlungstexten aus Dunhuang, während Min Li-Mönkediek für ihre Dissertation Bezüge zwischen Song-zeitlichem Seladon und den Einflüssen des Daoismus aufspüren möchte. Anschließend stellte Paul Fahr seine Forschung zur Herrscherkritik und deren Folgen anhand der Biografie vom Kanzler Wang Jia, der für seine Remonstration hingerichtet wurde, vor.
Nach einigen angeregten Unterhaltungen über die diversen wissenschaftlichen Arbeiten wurde es schließlich Zeit, im Innenhof das von der Fachschaft organisierte Büffet zu genießen und gemeinsam mit Mitgliedern und Freunden des Instituts auf das nahende Semesterende anzustoßen.
Wiebke Quader
Das Thema dieser Ausgabe:
Recherche zur chinesischen Kalligraphie.
Die Bibliothek unseres Instituts bietet eine breit gefächerte Auswahl an Literatur. Unter der Rubrik T (Schrift), weiter hinten im Saal, finden sich zahlreiche Schätze zu verschiedenen Themengebieten der Kalligraphie, wie etwa zur Evolution der Schriftzeichen (z.B. Chinese Writing 文字學概要 von Qiu Xigui 裘錫圭 unter T 75 oder The Origin and Early Development of the Chinese Writing System von Willliam G. Boltz, T 63), zu historischen Höhepunkten (Klassiker von 1966: Chinese Calligraphers and their Art von Ch'en Chih-Mai, T 10) oder zur Ästhetiklehre (Erstausgabe von 1938, dennoch zeitlos: Chinese Calligraphy von Chiang Yee, T 5). Auch zu ausgewählten Kalligraphen findet sich entsprechende Fachliteratur, etwa zum Mönch Huai Su (Huai-Su and the Beginnings of Wild Cursive Script in Chinese Calligraphy von Adele Schlombs, T 78) oder dem Multitalent Mi Fu (Mi Fu and the Classical Tradition of Chinese Calligraphy, T 28, von Lothar Ledderose). Einen Bezug zur Malerei stellt Heike Kotzenberg in ihrem Werk Bild und Aufschrift in der Malerei Chinas, O 195, her. Wer delikate Pinselstriche vergangener Meister studieren möchte, möge z.B. in das eingeschlagene Lidai huajia shufa xuan 历代画家书法选 von Chen Shourong 陈寿荣 , T 44, schauen. Chen führt hier wertvolle Schriftstücke aller Schriftstile von der (Dynastie der) Song bis zur Qing auf. Eine "Übersetzung" von schwer lesbaren Schriftzeichen einer Kalligraphie kann mithilfe diverser Lexika je nach Schriftstil, etwa einem Shufa da zidian 草書大字典 (Gras-/Kursivschrift), T 16, oder einem Xingshu bian 行書編 (Halbkursivschrift), T 129, vorgenommen werden. Hier werden unterschiedliche Schreibweisen von Schriftzeichen verschiedener Kalligraphen dargestellt, mit deren Hilfe sich unbekannte Schriftzeichen innerhalb einer Kalligraphie besser identifizieren lassen.
Wem das noch nicht reicht, dem seien an dieser Stelle wärmstens folgende Werke empfohlen:
- Chinese Calligraphy. Ouyang Zhongshi und Wen C. Fong, übersetzt von Wang Youfen. Yale University Press, London 2008. (Ausführliche Geschichte der chinesischen Kalligraphie)
- Chinese Calligraphy – A History of the Art of China. Yūjirō Nakata, übersetzt von Jeffrey Hunter. Weatherhill/Tankosha, New York 1983. (Details zu einigen der wichtigsten Werke der chinesischen Geschichte, mit übersichtlicher chronologischer Liste)
- Out of Character - Decoding Chinese Calligraphy. Michael Knight und Joseph Z. Chang. Asian Art Museum, San Francisco 2012. (Geschichte der Kalligraphie mit Fokus auf Ming und Qing)
- A History of Chinese Calligraphy. Tseng Yuho. Chinese University Press, Hongkong 1993. (Schwerpunkt auf Schriftstilen und deren Entwicklung)
- Calligraphy and Power in Contemporary Chinese Society. Yuehping Yen. Routledge, Hongkong 2005. (Jüngste Entwicklung und Einfluss in der heutigen Gesellschaft)
Kolja Quakernack
Chinesisch-deutsche Promotion: Zwischen Studien, Kultur und Sprache
Der Weg zum Doktortitel ist mit Sicherheit kein einfacher. Welche Perspektiven haben chinesische Promovierende auf diese akademische Herausforderung, und welche besonderen Einsichten und Tipps haben sie? Wiebke Quader hat mit Lu An und Min Li-Mönkediek gesprochen, die aktuell ihre Promotion in Münster anstreben.
Du bist aktuell DoktorandIn am sinologischen Institut der WWU Münster. Mit welchem Thema beschäftigst du dich für deine Promotion?
LA: Der aktuelle Arbeitstitel ist: Chan-buddhistische Klöster und Mönche in der Song-Zeit unter besonderer Berücksichtigung der Äbte. Genauer gesagt geht es um den Aufbau der Klöster, das alltägliche Leben der Mönche und um die Amtsnachfolge bei Äbten - also die gesellschaftliche Seite der Chan-Schule in der Song-Zeit.
LM: Meine Arbeit beschäftigt sich ebenfalls mit der Song-Zeit, aber mit der Kunst und dem Zusammenhang von damals modischem, schlichtem himmelblauen Seladon-Geschirr und den Lehren des Daoismus, vor allem unter Kaiser Huizong. Ich will erforschen, ob die Lehren des Daoismus direkten Einfluss auf dieses Geschirr hatten.
Welche Eigenschaften braucht man deiner Meinung nach als DoktorandIn?
LM: Gerade für chinesische Promovierende ist es wichtig zu lernen, wie man Vorträge hält und eigenständig arbeitet. Außerdem muss man für die Promotion ein Thema finden, mit dem man sich gerne für einen langen Zeitraum beschäftigt. Ich bin über meine Masterarbeit auf das im klassischen Roman "Hong Lou Meng" (红楼梦) detailreich beschriebene Geschirr und damit auf mein Thema gestoßen, und seitdem fasziniert mich die Gesellschaft der Song-Zeit.
LA: Das wichtigste ist das Interesse. Beider Promotion ist es wie mit der Liebe, die man für die Heirat braucht. Eine andere wichtige Eigenschaft ist Geduld, weil wir im großen Gesamtbild der Wissenschaft als Doktoranden noch ganz am Anfang stehen. Und natürlich braucht man auch Fleiß.
Hast du Tipps für Studierende, die selber eine Promotion anstreben?
LA: Man sollte als ersten Schritt nicht eine Promotion anstreben, sondern die vorhandene Masterarbeit so gut wie möglich bewältigen und dann nach deren Abschluss weiter gehen. Es ist genau wie bei der Redewendung "Wasser gräbt sich mit der Zeit ein Bett" (水到渠成).
LM: Die Promotion ist wie ein Marathon. Ausdauer, Kompetenz und Fähigkeiten zum wissenschaftlichen Arbeiten gehören dazu. Und man muss sich deutlich und überzeugend ausdrücken können, um das eigene Thema zu erklären.
Was ist der größte Unterschied zwischen deiner Studienzeit in China und deinen Erfahrungen mit dem deutschen Universitätsbetrieb?
LM: In China muss man viel auswendig lernen und nicht so eigenständig nach Themen für Vorträge und Referate suchen. Man muss in Deutschland erst einmal lernen, Fragen zu stellen und nicht immer eine klare, richtige Lösung zu erwarten. In Deutschland kann man Lehrer und Dozenten auch anzweifeln und ihnen bei inhaltlichen Diskussionen widersprechen. Das kannte ich aus China in dieser Form nicht.
LA: Die chinesische Universität ist in ihrem Fokus sehr weit und das Studium manchmal stupide. Die meisten Studierenden sprechen miteinander lieber über Privates, Arbeit, Familie und Politik als über das Studium. Natürlich gibt es auch sehr ernsthafte und gute LehrerInnen und Studierende, aber es sind wenige. Die Atmosphäre im Institut für Sinologie in Münster ist ganz anders. LehrerInnen und MitarbeiterInnen sind nett und verantwortungsvoll und die Studierenden, die ich kenne, konzentrieren sich alle auf ihre Forschung. Hier ist es ideal für mich zu studieren. Natürlich könnten diese Unterschiede auch an mir und meiner eigenen Einstellung zum Studium liegen. Ich habe früher nicht so fleißig studiert, obwohl ich immer großes Interesse an der chinesischen Geschichte hatte.
Wie haben deine Zeit in Deutschland und der Unterricht mit deutschen KommilitonInnen deinen Blick auf die chinesische Sprache und Kultur verändert?
LA: Der Unterricht über klassische Texte hat bei mir einen tiefen Eindruck hinterlassen. Eine Vorlesung dauert eineinhalb Stunden, und häufig wurden in dieser Zeit nur ein paar Zeilen besprochen. Dass jedes Schriftzeichen so ausführlich erklärt wurde, hatte ich früher so nicht erlebt. Ich hatte plötzlich das Gefühl, dass ich meine Muttersprache gar nicht richtig kenne. Jetzt lese ich gerne chinesische Wörterbücher als Zeitvertreib.
In den vergangenen vier Jahren fühlte ich große kulturelle Unterschiede zwischen dem Westen und China. Die folgende Meinung klingt nicht so freundlich: Unter kulturellen Aspekten könnten viele Probleme im heutigen China an Konflikte zwischen der westlichen Welt und chinesischen Gedanken festgemacht werden. China ist politisch unabhängig, aber leidet noch an der kulturellen „Kolonisierung“ - seit hundert Jahren haben Chinesen ihr kulturelles Selbstbewusstsein verloren. Ein Beispiel dafür ist, dass alle Fächer an der chinesischen Universität nach westlichem Vorbild eingerichtet sind. Aber passt das wirklich zum chinesischen Charakter? Das ist heute nicht die Schuld des Westens. Für die materielle Entwicklung sollten Chinesen nach vorne schauen, aber für die Kultur wäre es besser, zuerst zu den eigenen Wurzeln zurückzugehen.
LM: Im Blick auf die Reaktionen auf fremde Kulturen habe ich gemerkt, dass die deutschen Studierenden ganz unterschiedlich auf das Leben in China reagiert haben. Einige waren trotz widriger Umstände begeistert, nennen China ihre zweite Heimat und sind sogar für die Arbeit nach China gezogen, andere waren enttäuscht oder haben sogar den Studiengang gewechselt. Auf der anderen Seite kenne ich auch Chinesen, die nach Jahren in Deutschland nach China zurückgekehrt sind, weil die deutsche Kultur nicht zu ihnen passt. Nicht jeder kann das Fremde mit seiner eigenen Geschichte vereinbaren. Es gibt gute und schlechte Teile in beiden Kulturen.Ich selbst fühle mich inzwischen in Deutschland zu Hause, und manchmal in China ein bisschen fremd, auch wenn ich beide Länder liebe. Ich kann Teil von beiden Kulturen sein und mein Leben wird dadurch bereichert. Wenn ich China vermisse, wende ich mich heute der alten chinesischen Kultur und Geschichte zu.
Gibt es etwas, das dich besonders überrascht hat, als du nach Deutschland gekommen bist?
LM: Bevor ich nach Deutschland gekommen bin, habe ich nie allein und nur für mich eingekauft oder saubergemacht. Ich musste mich erst daran gewöhnen, das Leergut im Supermarkt zurückzubringen. Ich musste auch lernen, dass man Deutschen nicht vor dem Geburtstag gratulieren darf, und es war mir am Anfang sehr unangenehm, meine deutsche Schwiegermutter beim Vornamen zu nennen. Ich finde es auch lustig, dass hier Schreibwaren und andere Artikel mit Pferdemotiven für Mädchen sind. In China steht das Pferd für Stärke und Männlichkeit.
LA: Außer, dass die chinesischen Zeichen im Unterricht so ausführlich erklärt werden und deutsche Studierende eine sehr gute Grundlage für klassische Texte haben, hat mich nichts überrascht. Es gibt nur wenige Dinge, die anders waren als ich dachte, z.B. dass die deutsche Bahn nicht so pünktlich ist, dass eine Wohnung in Münster so schwer zu finden ist, dass Deutsche so höflich und nett sind, und ein fünfmonatiger Winter viel zu lang ist. Ach, es gab noch zwei Überraschungen: deutsche Kinder spielen richtig gut Fußball, und deutsche Frauen sind sehr groß!
Vielen Dank und weiterhin viel Erfolg mit der Promotion!
Wiebke Quader
"Es gibt keine Chu-Sprache", so begann Professor Boltz beim Besuch der Sinologie Münster seinen Vortrag. Den zahlreich erschienenen Studierenden erläuterte er einige Grundlagen zu den auf Bambusleisten geschriebenen Texten, welche die Grundlage für Sarah Allens Buch "Buried Ideas" bildeten. Der Vortrag war eine Zusatzveranstaltung für den Kurs "Klassische Lektüre", in deren Rahmen sich Masterstudierende des Instituts bereits mit der Frage beschäftigt hatten, welche neuen Schlüsse sich aus den gefundenen Schriftträgern ziehen ließen. Diese wurden zur Zeit des Staates Chu (1030-223 v.Chr.) verfasst und unangetastet in deren Hoheitsgebiet gefunden, weshalb sie im Gegensatz zu vielen anderen überlieferten Texten unverfälschte Originale sind. Boltz erinnerte die Anwesenden allerdings daran, dass es nicht sinnvoll sei, "Chu-Schrift" als etwas anderes als eine Variante von "chinesischer" Schrift zu verstehen, und dass entsprechend auch das Wort "Übersetzung" für das Übertragen der Chu-Schriftformen in "reguläres Chinesisch" nicht richtig sei. Gemeinsam mit den Anwesenden fuhr er dann damit fort, die alten Formen der Schrift und deren Kategorisierung und Übertragung in ein modernes System zu erläutern, in dem die Zeichen übersetzt werden können. Der Vortrag zeigte einmal mehr auf, wie komplex die Entschlüsselung alter Texte sein kann, und wie lohnenswert es ist, sich mit der Entstehungsgeschichte einzelner Zeichen und Varianten zu beschäftigen.
Wiebke Quader
Ein wahrhaft breites Forschungsfeld präsentierte Professor Giovanni Borriello von der Università degli Studi della Tuscia in seinem Vortrag am 20. September 2017. Obwohl in der vorlesungsfreien Zeit stattfindend, fand der Vortrag doch ein zahlreiches und interessiertes Publikum, das von Professor Borriello mitgenommen wurde auf eine Reise von den Eiszeiten des Quartärs bis zum Mittelalter.
Die nach Westen und Süden gerichteten Expansionsbemühungen der Han-Dynastie, die Produktion und Verbreitung von Seide von den Anfängen bis ins 15. Jahrhundert, der Import chinesischer Bronze und Gusseisens nach Rom sowie chinesischer Spiegel nach Byzanz und der Beginn des Reisanbaus im Mittelmeergebiet waren nur einige der Themen, in die Professor Borriello detailreich einführte.
Somit erhielten die Zuhörer einen guten Überblick über sein weitreichendes Forschungsfeld. Den Abschluss des Vortrags bildeten Ausführungen zur Herkunft einiger Früchte, die heute als typisch italienisch gelten, wie die über Arabien nach Europa gelangte Zitrone, verbunden mit einer freundlichen Einladung, der Tuscia Universität in Viterbo beim nächsten Italienurlaub einen Besuch abzustatten, um dort einen doch wohl trotzdem sehr italienischen Limoncello zu trinken.
Im folgenden privaten Gespräch berichtete Professor Borriello außerdem, er selbst unterrichte die Studenten des an der Tuscia Universität erst vor vier Jahren neu geschaffenen Bachelorprogramms "storia e culture dell'asia orientale", bei dem China als ein möglicher Schwerpunkt wählbar ist, vor allem in der Geschichte Ostasiens. Dabei versuche er neben vergleichenden Ausführungen zu China, Japan und Korea auch stets eine Brücke zu Europa zu schlagen, um den Studenten die zeitlich entsprechenden Entwicklungen vor Augen zu führen und sie zu Kulturvergleichen anzuregen.
Alexander Brosch
Wir Chinawissenschaftler haben eine Affinität zu China. Das ist nicht bei allen der Fall, die es nach China zieht:
In Shanghai zum Beispiel leben ungefähr 20.000 Deutsche. Das klingt nach einer großen Zahl: bei 24 Mio. Einwohnern fallen sie allerdings kaum weiter auf. Für den Großteil der Einheimischen bleiben sie unsichtbar, da sie sich nur in einem gewissen Radius der Stadt aufhalten, nämlich vor allem an den westlich geprägten Orten. Unter den Deutschen in Shanghai gibt es viele Familien im mittleren Alter, bei denen die geläufigste Familienkonstellation so aussieht:
Der Manager. Ist für gewöhnlich Vater und Oberhaupt der Familie. Mit Frau und Kind nach Shanghai gekommen, arbeitet er bei Siemens, Bosch, Thyssen Krupp, VW, usw. von morgens bis abends, wenn er nicht gerade auf einer Geschäftsreise in Indien, Singapur oder Deutschland ist. Von Shanghai hat er so gut wie nichts gesehen, höchstens ein paar Rooftop-Bars, westliche Restaurants und die großen Shopping Malls. Die Firma bezahlt im Gegenzug die großen Summen des Alltags, von der privaten Miete bis zum Schulgeld für die Kinder. Der Manager hat einen privaten Fahrer, der ihn jederzeit auch aus dem Nirgendwo abholt und an sein Ziel bringt. Der Fahrer spricht meist gebrochen Englisch. Der Vater, der sich wenig bis gar nicht für die chinesische Kultur interessiert, sieht in den Chinesen (beruflich) vor allem Untergebene, die seine Befehle auszuführen haben. Deutschland steht aus seiner Sicht für Pünktlichkeit, Organisiertheit und gute Qualität - China für das Gegenteil. Der Vater taucht im Stadtbild quasi nicht auf, weil er nur zwischen Wohnung/Haus, Büro und Flughafen pendelt.
Über 70 % der angestellten Männer in Shanghai sind Ingenieure. Eine Männerdomäne, in der Frauen nicht viel zu sagen haben. Die meisten verlassen Shanghai nach 3 bis 5 Jahren wieder. Hauptgrund dafür sind abgeschlossene Projekte, Frustration gegenüber China und den Chinesen und/oder Heimweh nach Deutschland. Nur einige eingespielte Urgesteine der Szene bleiben über zehn Jahre, managen erfolgreich Karriere und Familie, fahren selbst Auto in China und planen auch noch keine Wiedereingliederung in Deutschland.
Die Frau eines Managers hat in Shanghai selten ein Berufsleben. Ohne Arbeit findet sie weder so richtig Anschluss in der chinesischen Kultur, noch kann sie einen deutschen Alltag aufrecht erhalten. Selbst die Hausarbeit wird meist von der Ayi, dem chinesischen Hausmädchen, übernommen: ebenso das Einkaufen, Kinder hüten, usw. Meistens verbringen die deutschen Mütter den Großteil der Zeit untereinander, schimpfen dabei häufig über die Chinesen, ihre Ayis, die unfähigen Lehrer, die schlechte Luft, geben das Geld ihrer Männer aus und schwärmen von den vielen Reisen, die sie machen (könnten). In den mühsam am Laufen gehaltenen deutschen Clubs und Vereinen wie z.B. dem Deutschen Club Shanghai (DCS) wird für Mitglieder die ein oder andere Veranstaltung angeboten. Man trifft sich zum Mahjong- und Xiangqispielen, macht Chinesischkurse zusammen und tauscht sich aus. Hin und wieder gibt es auch eine Exkursion in eine der nahe gelegenen Wasserstädte. Dabei geht es vor allem darum, die TeilnehmerInnen – fast ausschließlich Damen – in er deutschen Community aufzunehmen und bei Problemen ansprechbar zu sein. Die kulturellen Inhalte sind eher auf Volkshochschulniveau. Für viele deutsche Mütter sind die Heimaturlaube eine Rettung und die Zeit dazwischen ist's, die es zu überstehen gilt. Viele von ihnen tragen teure Kleidung, gehen teuer essen, genießen abends kostenlosen Sekt zur Ladies' Night in der Bar des World Financial Centers und versuchen, die Illusion eines fantastischen Expatlebens aufrecht zu erhalten. Sie tragen zum Stadtbild insofern bei, als sie scheinbar zu den unabhängigen Ausländerinnen gehören, die sich dem Luxus hingeben können und scheinbar keine Probleme haben.
Aber sie haben ja noch ihre Kinder, die dieses Bild meist trüben. Weil die Kinder tagsüber eine der beiden Deutschen Schulen besuchen und erst am frühen Abend wieder zu Hause sind, haben ihre Mütter nicht allzu viel von ihnen. Unter der Woche fühlt sich die Mutter also wie eine nicht gebrauchte Strohwitwe. Das Wochenende dient entsprechend zur Kompensation der vergangenen fünf Tage. Mit großen bzw. teuren Aktionen wird das Familienleben "zelebriert", Geld spielt in den meisten Familien keine Rolle. Es ist einfach genug davon da. Das heißt, dass die Latte entsprechend hoch liegt: Geburtstagsfeiern finden nicht im Wohnzimmer, sondern in für die Party gemieteten Cafés statt. Auf dem Geburtstag einer Fünfjährigen gibt es dann für die Kinder Pizza, Spaghetti, Hamburger und Kuchen auf sich biegenden Tischen. Für die Erwachsenen gibt es Champagner, Fingerfood und exotisches Obst in edlen kleinen Gläschen. Einmal erzählte mir eine junge Gastgeberin stolz, dass sie zum Geburtstag von ihrem Papa ein Schloss zum Geburtstag bekommen habe. Ein echtes, in Deutschland. Überhaupt gönnt man sich einen gewissen Lebensstandard. Eine Grundschülerin fragte mich letztens, ob ich eigentlich auch nur in der Business-Klasse im Flieger schlafen könne. Die anderen Sitze seien so unbequem. Soziale Kontakte sind für die Kinder begrenzt. Die Familie ist meistens in Deutschland und neben der Schule bleibt keine Zeit für andere Aktivitäten wie Fußball oder Ballett, Kampfsport oder Schwimmen. Das fangen die gut gemeinten AGs in der Schule auf.
Es gibt natürlich noch einige andere Lebensläufe, aber die meisten deutschen Expats leben in Shanghai in so einer "ungesunden Übergangssituation". Meistens ist es der Beruf des Vaters, der ausschlaggebend ist. Frau und Kinder passen sich an. Immer wieder gibt es unglückliche Berichte von Familien, die auseinandergehen, weil sich die Familie entfremdet, der Mann eine chinesische Geliebte hat, oder die Frau frustriert und unterfordert ist. Die Kinder leiden am meisten darunter und haben niemand Neutrales, mit dem sie ihre Probleme besprechen können, denn Verwandte sind selten mit in Shanghai und kommen (wenn überhaupt) nur alle Jubeljahre zu Besuch. Viele der Deutschen hier waren auch noch nie in Deutschland und wissen auch, dass sie dort so schnell nicht (wieder) leben werden. Nicht wenige Kinder entwickeln mit der Zeit Krankheiten wie Magersucht oder Depressionen.
Weshalb erzähle ich das alles? Nun, weil meiner Erfahrung nach solche Probleme innerhalb der Familien verhindert (oder zumindest abgeschwächt) werden können. Durch ein Bewusstmachen solch potentieller Schwierigkeiten, noch bevor es für die Familie ins Ausland geht. Leider bieten Firmen ihren MitarbeiterInnen immer noch viel zu selten ein entsprechendes Vorbereitungsprogramm an. Vielleicht, weil es zu teuer ist und die MitarbeiterInnen "bestimmt schon bald merken, wie der Hase läuft".
Wir als Sinologen haben u. A. die Aufgabe der kulturellen Vermittlung. Jeder von uns, der ein interkulturelles Training für Auslandsbewerber anbieten will, sollte sich bewusst machen, was für eine Macht er damit hat und hinter was für einem Vorzeichen er seine Teilnehmer auf China vorbereiten möchte. Ich habe mit vielen Familien gesprochen, die feststellen mussten, dass sie genau so leben, wie ich es oben beschrieben habe. Dabei ist eine Entspannung der Situation keine Zauberei, wenn sich z. B. die Mutter etwas Konkretes überlegt, was ihrem Alltag einen Sinn gibt, wenn der Vater mit den Vorgesetzten aushandelt, ob er gewisse Freiheiten bekommt, um mehr Zeit mit seiner Familie zu verbringen: wenn beide ihren Kindern näher sein, sie besser in ihrer Entwicklung begleiten und damit möglichen Gefühlen der Einsamkeit, Depressionen u. Ä. vorbeugen können.
China ist ein lebenswertes Land und Shanghai eine Stadt, in der es sich durchaus zu leben lohnt. Aber man sollte sich darauf vorbereiten. Wir Sinologen haben durch unser Studium und unsere Aufenthalte in China das entsprechende Fachwissen, Menschen dabei zu helfen. Das sollten wir uns immer wieder bewusst machen und das sollten wir nutzen.
Kolja Quakernack