Themenheft „Lesen (in) der Epidemie“
Über die Rolle des Lesens und die Funktion von Literatur in Zeiten von Krisen

Unter dem Titel „Lesen (in) der Epidemie“ hat Literaturwissenschaftlerin Martina Wagner-Egelhaaf ein Themenheft über Literatur in Zeiten von Epidemien herausgegeben. Die wissenschaftlichen Beiträge reichen von der Pest bis zur Corona-Pandemie. Der Band entstand in Anlehnung an das kulturwissenschaftliche Online-Dossier „Epidemien“ des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ und ist in der Reihe literatur für leser:innen im Peter Lang Verlag erschienen.
In den einzelnen Beiträgen gehen Literaturwissenschaftler*innen der Frage nach, wie die Literatur Seuchen und Epidemien darstellt und mit welchen weitergehenden Überlegungen sie das Thema verbindet. „Der Ausbruch der SARS-Cov-2-Pandemie im Jahr 2020 und die damit verbundenen einschneidenden Erfahrungen für die Menschen auf der ganzen Welt haben die Klassiker der Seuchenliteratur wieder aktuell werden lassen. Gleichzeitig entstanden zahlreiche Leseprojekte. Und natürlich wurden auch viele neue Texte zum Thema ,Corona‘ oder ,Epidemie‘ publiziert“, so die Herausgeberin, Literaturwissenschaftlerin Martina Wagner-Egelhaaf. Das Themenheft widmet sich der Rolle des Lesens und der Literatur in Zeiten von Epidemien. „Zum einen scheint Literatur die eigenen Erfahrungen zu spiegeln, zum anderen ist sie voll mit historischem Wissen über Seuchen, das Leserinnen und Lesern helfen kann, die jeweils aktuellen Debatten besser einzuordnen“, führt Wagner-Egelhaaf aus.
Der erste Beitrag von Pia Doering und Martina Wagner-Egelhaaf (Münster) widmet sich einem der berühmtesten Texte der Seuchenliteratur, Giovanni Boccaccios Decameron (um 1350), und fragt nach der dort reflektierten Rolle des Erzählens und des Lesens. Im Beitrag von Florian Kläger (Bayreuth) spielen Rahmungen und Paratexte eine Rolle, in denen individuelle und kollektive Krisenerfahrungen ins Verhältnis gesetzt werden. Nikola Roßbach (Kassel) untersucht, wie die Erfahrung der Pest in der Frühen Neuzeit textlich verarbeitet wurde und Isabelle Stauffer (Eichstätt) beleuchtet am Beispiel von Friedrich Dürrenmatts Erzählung Die Virusepidemie in Südafrika (1989) den Zusammenhang von Epidemie und Rassismus.
Cristine Huck betrachtet Literatur als Instrument zur Krisenbewältigung anhand von Lola Randls Roman Die Krone der Schöpfung (2020). Silke Horstkotte (Leipzig) stellt zwei unterschiedliche Romane vor, in denen die gesellschaftlichen Langzeitfolgen der Corona-Pandemie betrachtet werden: Mareike Fallwickls realistisch erzählenden Roman Die Wut, die bleibt (2021) und Katharina Hackers fantastisch-parabolischen Roman Die Gäste (2022). Das Themenheft endet mit einem Beitrag von Irene Husser (Tübingen), der sich mit Elfriede Jelineks Theatertext Lärm. Blindes Sehen. Blinde sehen! von 2021 beschäftigt; Jelineks Text verleiht dem in der Corona-Pandemie im wahrsten Sinne des Worts virulenten verschwörungstheoretischen Diskurs Stimme(n). (pie/fbu)