e. Was sind die freie Energie und das chemische Potential?
Die meisten Leute haben in der Schule gelernt dass jedes physikalische System den niedrigsten Energiezustand anstrebt. Doch das ist nicht ganz richtig; es ist nur ein Teil der Wahrheit. In Wirklichkeit strebt ein Viel Teilchen System den Zustand Minimaler Energie und gleichzeitig Maximaler Unordnung an. Um dieser Tatsache Rechnung zu tragen wurde die "freie Energie" eingeführt.
Hier symbolisiert F die "freie Energie", E die "normale Energie", T die Temperatur des Systems und S die Entropie. Die Entropie ist ein Maß für die Unordnung im System. Entropie Null bedeutet dabei absolute Ordnung wie zum Beispiel in einem perfekten Kristall beim absoluten Temperaturnullpunkt; eine höhere Entropie entspricht einer höheren Unordnung.
Nun besagt die statistische Mechanik, sowohl die quantenmchanische als auch die klassische, dass ein System immer ein Minimum der "freien Energie" anstrebt. Erreicht ein System das Minimum der freien Energie, so befindet es sich im thermischen Gleichgewicht. Das heisst, dass das System einen stationären Zustand erreicht hat und seine makroskopischen Eigenschaften (wie Temperatur und Druck) mit der Zeit nicht mehr verändert solange es isoliert bleibt. In den meisten Fällen bewirkt jedoch eine Reduzierung der Energie ebenfalls eine Reduzierung der Unordnung und Umgekehrt. Es besteht also eine Art Tauziehen zwischen den beiden Mechanismen.
Man kann sich zunächst einen Prozess vorstellen, in dem sowohl die Energie als auch die Unordnung Abnehmen. Solange die Abnahme der Energie die Abnahme der Entropie kompensiert, nimmt auch die "freie Energie" ab. Somit handelt es sich um einen spontanen Vorgang der ohne äusseres Zutun ablaufen kann, da das System eine minimale "freie Energie" anstrebt.
Macht, zum Beispiel, ein Paramagnet einen Übergang in den ferromagnetischen Zustand, so reduziert er seine innere Unordnung ganz erheblich. Zuvor waren alle elementaren magnetischen Momente willkürlich im Raum orientiert während sie in der ferromagnetischen Phase alle parallel zueinander ausgerichtet sind. Auf der anderen Seite wird die innere Energie des Paramagneten ebenfalls reduziert, da die, im magnetischen Feld der elementaren magnetischen Momente, gespeicherte Energie von den Abständen benachbarter Nord- und Südpole abhängt. Diese sind in der parallelen Konfiguration minimiert. In manchen Materialien (z.B. Eisen) ist die Reduktion der inneren Energie hinreichend groß um die reduzierte Unordnung zu rechtfertigen. Diese Materialien können also ihre freie Energie reduzieren indem sie ihre elementaren magnetischen Momente parallel ausrichten und somit ein großes magnetisches Moment erhalten. Sie sind uns im allgemeinen als Magnete bekannt. Bei den meisten anderen Materialien mit elementaren magnetischen Momenten ist die Reduktion der inneren Energie bei paralleler Ausrichtung nicht ausreichend um den hohen Ordnungsgrad zu rechtfertigen. Diese Materialien werden nie ferromagnetisch, obwohl sie elementare magnetische Momente in sich tragen. Sie bleiben für immer paramagnetisch.
Der entgegengesetze Fall wird ebenfalls in Ferromagneten realisiert. Ein ferromagnetisches Material kann seine innere Unordnung signifikant steigern indem es Magnetisierungswellen [en] (auch Spin-Wellen genannt) erzeugt. Die innere Enrgie wird dabei nur geringfügig erhöht. Auf diesen Punkt wir in einem späteren Abschnitt noch genauer eingegangen.
Eine weiterer wichtiger Parameter, von Viel Teilchen Systemen, der insbesondere die Bose Einstein Kondensation betrifft, ist das chemische Potential. Das chemische Potential ist definiert für ein System im thermischen Gleichgewicht. Es gibt an um wieviel sich die "freie Energie" ändert, wenn ein Teilchen in das System hinzugefügt oder von ihm entfernt wird.
In einem System in dem die Teilchenzahl fest ist, in dem also keine Teilchen aus dem nichts erzeugt oder vernichtet werden können. Nimmt das chemische Potential einen bestimmten Wert an, der von der Teilchenzahl und anderen Parametern (Durck, Temperatur) abhängt. Diese Situation liegt in allen normalen Gasen die aus Atomen oder Molekülen bestehen vor.
Aber es existieren auch Syteme in denen Teilchen aus dem Vakuum heraus erzeugt werden können. Ein gutes Beispiel für ein soches System bildet das Photonengas eines "schwarzen Körpers". Ein schwarzer Körper ist ein Körper dessen Wände alle Photonen absorbieren die sie treffen. Diese Wände emittieren aber auch ihrerseits Wärmestrahlung. In diesem System werden also laufend Photonen erzeugt und vernichtet.
Konsequenterweise ist das chemische Potential eines solchen Systems, im thermischen Gleichgewicht, immer Null. Der Grund dafür ist sehr einfach. Da die Teilchenzahl jetzt variabel ist, kann sich das System die Teilchenzahl aussuchen. Es wird sich dann natürlich die Teilchenzahl suchen bei dem seine "freie Energie" minimal ist. Also befindet sich das System, im thermischen Gleichgewicht, in einem minimum der freien Energie im Bezug auf die Teilchenzahl. Und aus der Schulmathematik sollte bekannt sein dass die Steigung einer Funktion in ihrem Minimum immer Null beträgt.
Der springende Punkt ist, dass die Erzeugung und Vernichtung von Teilchen immer eine gewisse Zeit benötigt und nicht instantan geschieht. Diese Tatsache eröffnet eine Möglichkeit, um das chemische Potential, von Systemen mit nicht konstanter Teilchenzahl, zu verändern. Wir werden später sehen, dass dies ein wichtiger Schritt in der Erzeugung eines Magnon Bose Einstein Kondensats sein wird.
Nachdem jetzt die "freie Energie" und das chemische Potential eingeführt wurden, beschäftigt sich der nächste Abschnitt mit der Frage:
Was sind die Verteilungsfunktionen in Viel Teilchen Systemen?