Der Glaube an Verschwörungstheorien: Zur Rolle von Länderkontexten und Eigenart der Verschwörungstheorie
Von Politikwissenschaftler Prof. Dr. Bernd Schlipphak und den Psychologen Michael Bollwerk und Prof. Dr. Mitja Back
Warum glauben Menschen an Verschwörungstheorien (VT)? Was bringt jemanden dazu, ein „Narrativ über eine geheime Gruppe an böswilligen Akteuren, die einen verborgenen Plan zur Erhaltung oder zum Ausbau eigener Macht verfolgen“ – so unsere Definition einer VT (siehe auch Uscinski & Parent 2014 or van der Linden 2015) – für glaubwürdig zu halten? Das scheint wichtig zu wissen, zeigen doch jüngere Studien einen empirischen Zusammenhang zwischen dem Glauben an VT und politischem Zynismus (Swami, 2012; Swami, Chamorro-Premuzic, & Furnham 2010), dem Gefühl der Entfremdung (Wagner-Egger & Bangerter, 2007), extremen politischen Positionen und einem höheren Grad an rechtsextremem Autoritarismus (van Prooijen, Krouwel, & Pollet 2015; Swami 2012). Die beobachtete Zunahme des Glaubens an VT kann somit auch Folgen für den politischen und gesellschaftlichen Zusammenhalt haben. Aber was sind die Ursachen dafür?
In den empirisch orientierten Sozialwissenschaften, die Psychologie mit eingerechnet, hat eine stetig wachsende Fachliteratur eine Vielzahl an potentiellen Ursachen auf der individuellen Ebene – d.h., auf der Ebene der einzelnen Person – gefunden (für eine Metaanalyse siehe Goreis & Voracek, 2019). Danach sollten Furcht und Angst empfindende Menschen genauso eher empfänglich für VT sein, wie Menschen mit einem höheren Kontrollbedürfnis, einem stärkeren Glauben an paranormale Phänomene und einer höheren Ausprägung an Narzissmus. Zudem scheinen auf der Ebene von soziodemographischen Indikatoren ein höherer Grad an Religiosität und ein niedrigerer Bildungsgrad eher mit einem Glauben an VT einherzugehen.
Der Einfluss des Länderkontextes
Auf der Seite der Kulturwissenschaften haben diese Befunde aber teilweise zu starkem Widerspruch geführt, weil sie die Ebene der Gesellschaft und / oder der gesellschaftlich geteilten Kultur vernachlässigten und sich nur auf das Individuum konzentrierten. Damit würde der Glaube an Verschwörungstheorien zu einer Art Krankheit gemacht, die manche betreffe, andere aber nicht. Autor*innen aus der Kulturwissenschaft, in Deutschland insbesondere Michael Butter, argumentieren hingegen, dass bei einem Anteil an >70% der Bevölkerung, die in den USA an bestimmte VT glauben, eben nicht mehr auf das Individuum, sondern vielmehr auf die Gesellschaft geschaut werden müsse (etwa Butter & Knight, 2016: 6). Sie sehen die Ursache des Glaubens an VT demzufolge weniger in individuellen Charakteristiken, sondern vielmehr in gesamtgesellschaftlichen Erfahrungen, Traditionen und Wertemustern verankert (Butter & Knight, 2016; Butter & Reinkowski, 2014). Am Beispiel der USA argumentieren sie demzufolge einerseits, dass die puritanische Tradition der Gründerväter und -mütter, hinter jedem negativen Ereignis nicht einen Zufall, sondern die geplante Tat des Teufels zu sehen, eine Gesellschaft hervorbrachte, die anfälliger für den Glauben an Verschwörungstheorien ist (Butter, 2014). Andererseits gilt für bestimmte Bevölkerungsteile in den USA – etwa die afro-amerikanische Minderheit – dass sie tatsächlich Ziel und Opfer von Verschwörungen durch Angehörige der gesellschaftlichen Mehrheit wurden. Diese über Generation tradierte Erfahrung mit tatsächlichen Verschwörungen sollte ebenfalls zu einem höheren Grad an Glauben an VT führen (Butter & Knight, 2016; Butter & Reinkowski, 2014). Darin sieht diese wissenschaftliche Ausrichtung auch die Erklärung für den oftmals postulierten, aber bis dato nie tatsächlich überprüften höheren Grad an VT-Glauben in der arabischen Welt. Da dort reale Verschwörungen – gerade durch Akteure des globalen Nordens bzw. Westens – häufiger stattgefunden haben, sollte dies zu einer höheren Glaubwürdigkeit von VT allgemein in diesen Gesellschaften führen.
Diese Annahmen wurden bis dato nicht empirisch getestet. In einem Kooperationsprojekt von Psychologie und Politikwissenschaft in einem Projekt im Excellenzcluster „Religion und Politik“ an der WWU tun wir daher genau das. Wir führten eine Umfrage unter jeweils 1300 bis 1450 Befragten in Polen, Deutschland und Jordanien durch, um solche Ländereffekte zu testen. Dabei lag unser Augenmerkt darauf, ob es a) Unterschiede im Grad der VT-Gläubigkeit über die Länder hinweg gibt und ob b) sich solche Unterschiede über den Grad an Religiosität in einem Land bzw. der Erfahrung mit tatsächlichen Verschwörungen in einem Land tendenziell erklären lassen. Vorläufige Ergebnisse finden Lesende am Ende dieses Essays. Zunächst diskutieren wir weitere Einflussmöglichkeiten, die gesellschaftliche Prägungen auf die Glaubwürdigkeit von VT haben könnten, aus unserer Sicht in der kulturwissenschaftlichen Forschung aber bis dato übersehen worden sind.
Das Zusammenspiel von Länderkontext und Eigenart der Verschwörungstheorie
Über den direkten Einfluss des Länderkontextes auf den Grad an VT-Gläubigkeit hinausgehend gibt es aus unserer Sicht noch einen zweiten möglichen Einfluss des Länderkontextes. Je nach Land können bestimmte Aspekte einer VT diese mehr oder weniger glaubwürdig machen. In der Folge zeigen wir, dass dies vornehmlich für die Verschwörungs-Akteure gelten könnte. Das bedeutet, dass aus unserer Sicht die Glaubwürdigkeit einer VT in Land X zunehmen sollte, wenn der Verschwörungsakteur in dieser VT im Land besonders unpopulär ist. Demgegenüber sollten weniger Leute in Land X an die VT glauben, wenn der Verschwörungsakteur ansonsten sehr populär ist. Grundsätzlich testen wir mit diesem Argument, ob es für die Glaubwürdigkeit einer VT einen Unterschied macht, ob sie Bill Gates, George Soros, Donald Trump, China, den Mossad, das Weltjudentum oder ein anderes Objekt oder Subjekt als Akteur hinter der Verschwörung definiert.
Dabei ist unser Kerngedanke, dass eben dieser Akteur hinter der VT ein essenzieller und einfach zu ändernder Aspekt einer VT ist. Unsere Definition einer VT war folgende: Eine VT ist ein „Narrativ über eine geheime Gruppe an böswilligen Akteuren, die einen verborgenen Plan zur Erhaltung oder zum Ausbau eigener Macht verfolgen“. Dieser Definition folgend lassen sich drei wesentliche Aspekte oder Charakteristiken einer VT identifizieren: Der böswillige Akteur, der verborgene Plan und das Ziel der Verschwörung. Das Ziel der Verschwörung ist eigentlich eine Konstante – es geht dem böswilligen Akteur immer um Machtgewinn oder Machterhalt, im Fall des 11. September etwa über die als legitim erachteten Vergeltungsschläge der US-Regierung gegen Staaten, welche die vorgeblichen Drahtzieher des Attentates unterstützten.1 Der verborgene Plan ist oftmals ebenfalls durch das Ereignis als solches vorgegeben: Die Erklärung der Ereignisse des 11. September anhand von VT ist eigentlich immer darauf fixiert, dass die Türme des World Trade Center nicht nur durch den Flugzeugeinschlag zusammengebrochen sein können, sondern dies durch geheime, versteckte zusätzliche Explosiva ausgelöst worden sein muss. Der interessante und variierende Part an den VT zum 11. September – aber auch den meisten anderen VTs – ist nun die Frage, WER diese zusätzlichen Explosiva im WTC versteckt oder dies in Auftrag gegeben hat: Die US-Regierung, der CIA, der Mossad, Mitglieder der Bilderberg-Konferenz etc.
Diese Varianz an möglichen Akteuren hinter der Verschwörung geht zurück darauf, wen die Verbreiter der VT als jene/n Bösewicht/e identifiziert haben, dem man eine solche Verschwörung am ehesten zutrauen würde. Um also die Glaubwürdigkeit einer VT zu erhöhen, sollte als Akteur hinter der Verschwörung ein Akteur präsentiert werden, dem große Teile der Bevölkerung ohnehin skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen.
So ist es nicht überraschend, dass in den bekanntesten VT in der arabischen Welt meist die USA (oder eine ihrer regierenden Institutionen wie die Regierung oder der CIA) als verschwörerischer Akteur auftaucht, da der Antiamerikanismus in der Bevölkerung – auch aufgrund tatsächlicher Verschwörungen unter US-Beteiligung in der Vergangenheit – generell sehr hoch ist (Jamal, Keohane, Romney, & Tingley 2015; Schlipphak & Isani, 2018; ISani & Schlipphak, 2020). Dieses Argument passt zudem gut zu Ergebnissen in verwandten Forschungsrichtungen, die zeigen, dass negativen Einstellungen in der Bevölkerung gegenüber bekannten Mitgliedsstaaten einer Organisation oder einer internationalen Kooperation dazu führen, dass diese Organisation oder Kooperation als solche – ohne das Bürger*innen viel darüber wissen – abgelehnt wird (Genna 2017; Isani & Schlipphak 2020; Johnson 2011; Kertzer & Zeitzoff 2017; Steiner, 2018).
In unserem Projekt argumentieren wir daher, dass der tatsächliche Akteur in einer VT die Glaubwürdigkeit der VT erhöht oder senkt, je nachdem, ob dieser Akteur generell in der Bevölkerung eher unbeliebt oder beliebt ist. Mehr Informationen zu unserer Argumentation finden sich (englischsprachig) als Teil einer größeren Präregistrierung unseres Projektes: https://osf.io/bzpmh.
Erste Ergebnisse
Im Rahmen des Cluster-Projektes haben wir eine Umfrage in den Ländern Deutschland, Polen und Jordanien durchgeführt. In allen drei Ländern haben wir jeweils 1300 (Deutschland, Jordanien) bzw. 1450 Personen (Polen) befragt, wobei das Befragungsformat in Deutschland und Polen online und in Jordanien face to face gewesen ist (siehe zu den Formaten Schlipphak & Isani 2019, nähere Infos zur Methodik über die Autoren). Um das zweite Argument hinsichtlich des VT-Akteurs testen zu können, führten wir ein Experiment durch, in dem wir unterschiedlichen Gruppen an Befragten jeweils eine VT mit gleichbleibendem Plot und Intent, aber variierendem Akteur vorgelegt haben, und die Befragten dann nach der Glaubwürdigkeit dieser VT fragten. Grundsätzlich wurden alle Befragte informiert, dass eine Person A in einer bestimmen Quelle B argumentiert habe, dass Akteur C (= VT-Akteur) die Flüchtlingskrisen in anderen Ländern ausgelöst habe (= Plot), um die Macht des Staates von C zu erhalten oder auszubauen (= Intent). Wir variieren hinsichtlich Akteur C in allen drei Ländern zwischen den drei Geheimdiensten der USA, Russlands, und Israels, d.h. dem CIA, dem FIB und dem Mossad. Angesichts der unterschiedlichen Beliebtheit dieser drei Staaten in der Bevölkerung von Deutschland (Israel > USA > Russland), Polen (USA > Israel > Russland) und Jordanien (Russland > USA > Israel) erwarteten wir unterschiedliche Grade an Glaubwürdigkeit in der jeweiligen Bevölkerung.
Im Hinblick auf das erste Argument – grundlegende Effekte der Länderebene – erwarteten wir für das Religiositätsargument, dass Jordanien und Polen höhere Grade an Glaubwürdigkeit im Vergleich zu Deutschland aufweisen sollte, während wir für das Argument der tatsächlich erlebten Verschwörungen erwarten, dass Jordanien einen höheren Grad und Polen und Deutschland beide einen niedrigeren Grad an VT-Gläubigkeit aufweisen sollten. Tatsächlich finden wir, dass die Glaubwürdigkeit der VT und der damit verbundenen grundlegenden Verschwörungsmentalität in Jordanien höher ist als in Deutschland und Polen. Der Unterschied zwischen Deutschland und Polen ist zwar ebenfalls statistisch signifikant, aber substantiell geringer. Damit scheint das (tradierte) erleben tatsächlicher Verschwörungen tatsächlich einen Effekt auf die Glaubwürdigkeit von VT im Aggregat zu haben.
Hinsichtlich des zweiten Argumentes zum variierenden Effekt des VT-Akteurs je nach dessen Beliebtheit in jedem der drei Länder finden wir hingegen bis dato keine empirische Evidenz. In einem Papier, das derzeit unter Begutachtung ist, vermuten wir, dass dies möglicherweise damit zusammenhängt, dass sich die ursprünglich stark unterschiedliche Beliebtheit der Akteure in dem jeweiligen Land in letzter Zeit aufgrund kurzfristiger politischer Ereignisse (wie der Wahl von Donald Trump oder der Syrien-Politik Russlands) aufgelöst hat, und die Befragten in einem Land nur noch wenige Unterschiede in der Beurteilung dieser Länder machen.
In diesem Forschungspapier diskutieren wir weitere, konzeptionelle und methodologische Punkte, welche bei der Interpretation unserer vorläufigen Ergebnisse ebenfalls mitbedacht werden müssen – etwa die Konzeption des Experimentes oder die Konzentration auf den Akteur. In weiteren Publikationen zum Thema werden wir zudem analysieren, ob individuelle Prädispositionen in Kombination mit bestimmten Aspekten einer VT zur Erhöhung deren Glaubwürdigkeit beitragen und welche Folgen der Glaube an eine VT auf politische Einstellungen und Einstellungen gegenüber Minderheiten hat. Für Fragen hierzu können uns interessierte Leser*innen jederzeit gerne per Mail kontaktieren.
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1Nur zur Verdeutlichung: Dies ist die Argumentation der Verschwörungstheoretiker, nicht die der Autoren dieses Beitrags!