Zur Vielseitigkeit von Masken in afrikanischen Gesellschaften
Von Ethnologin Prof. Dr. Dorothea Schulz
Die Bedeutungen und Effekte, die in afrikanischen Gesellschaften den in verschiedenen rituellen Zusammenhängen getragenen „Masken“ im Unterschied zur aktuell vorgeschriebenen Mund- Nasen-Bedeckung zugeschrieben werden, weisen darauf hin, dass alle diese Elemente der Kopf- und Gesichtsbedeckung ihre Bedeutung nicht aus sich selbst, sondern aus dem sozialen Kontext entfalten, in dem sie verwandt werden. Hierin besteht eine auffällige Parallele zur muslimischen Kopf- (und manchmal auch Körper-)verhüllung, die in der deutschen Öffentlichkeit unter den Begriffen „Schleier“ und „Kopftuch“ verhandelt wird: Während zahlreiche gläubige Musliminnen (je nach Region und Gesellschaft variable) Formen der teilweisen Körperbedeckung als gelebte, tägliche Praxis ihrer Unterwerfung unter den Willen Gottes tragen, wird „der Schleier“ in der europäischen Gesellschaft vielfach als Zeichen weiblicher „Unterdrückung“ gelesen, oder aber als eine Zuschaustellung von religiöser „Identität“, die als Angriff auf das säkulare Selbstverständnis europäischer Staaten gelesen wird.
Ähnliches gilt für die historisch mit ritueller Praxis verbundenen Objekte, die seit Ende des 19. Jahrhunderts im Rahmen von „Entdeckungsreisen“, kolonialer Eroberung, christlich- missionarischer Aktivität und touristischen Unternehmungen aus dem subsaharanischen Afrika importiert wurden und nunmehr als „Artifakte“, also „Kunstwerke“ in „völkerkundlichen“ Museen zur Schau gestellt werden. In ihrer ursprünglichen rituellen Verwendung waren diese Objekte oft nur für bestimmte Gruppen von Zuschauern und spezifische Anlässe bestimmt, waren mit Geheimwissen assoziiert und sollten oft Gefühle Furcht, Respekt und Ehrfurcht auslösen. Die Zurschaustellung von „Masken“ war nicht auf visuelle Vermittlung beschränkt, sondern erfolgte in Kombination mit Tanz, Gesang und rhythmischer Untermalung. Die primäre Funktion dieser Masken, die aus einer Kombination von Holz, Leder, Federn und weiteren Materialen gefertigt waren, bestand darin, Zuschauerinnen und Zuhörer in rituelle Vorgänge einzubinden, nicht in der Ermöglichung distanzierter Bewunderung. In Europa und Nordamerika werden „Masken“ dagegen im Museum isoliert, hinter Glasscheiben und auf einem kleinen Aufbau, der den „Kunstcharakter“ des Objekts verstärkt, einer breiten interessierten Öffentlichkeit zur ästhetischen Erbauung und künstlerischen Inspiration zugänglich gemacht. Die Kehrseite dieser Umdeutung von Masken von einem rituellen Element zur „Kunst“ zeigt sich in Afrika, wo Masken zum Gegenstand eines (teilweise illegalen) blühenden Handels mit „Kunst“- Objekten geworden sind, der wahlweise nach Kategorien wie „traditionell“, „authentische“ und „Touri-Kunst“ beurteilt und in ihrem Marktwert eingestuft werden. Mit dem Nasen-Mundschutz, der von vielen afrikanischen Regierungen seit Monaten als verpflichtende Gesichtsbedeckung in öffentlichen Räumen eingeführt wurde, haben diese konventionellen Formen der Gesichtsverhüllung wenig zu tun. Dies zeigt sich schon an den Spitznamen, die für den Mund-Nasen-Schutz oder auch für seine Träger verwandt werden und die nahe legen, dass die Covid-19- Gesichtsbedeckung in erster Linie als ein Eingriff in Kommunikation und soziales Miteinander gesehen wird (siehe mein Blog-Eintrag „soziale Distanz“), da sie, ähnlich einer „traditionellen Maske“, das Erkennen der Identität des Trägers erschwert.