„Konvertiten suchen nach Wahrheit“
Exzellenzcluster untersucht Bekehrungen von der Antike bis heute – Ringvorlesung „Konversion. Glaubens- und Lebenswenden“ ab 20. Oktober in Münster
Pressemitteilung des Exzellenzclusters vom 12. Oktober 2015
Wenn Juden, Christen oder Muslime heute ihre Religion wechseln, stehen sie damit Wissenschaftlern zufolge in einer jahrhundertelangen Geschichte der Konversionen. „Seit der Antike haben Menschen immer wieder ihren Glauben oder ihr Weltbild und damit auch ihr Leben grundlegend verändert“, erläutern die Germanisten Prof. Dr. Martina Wagner-Egelhaaf und Prof. Dr. Bruno Quast sowie der Historiker Prof. Dr. Wolfram Drews vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Universität Münster. Als Motiv für solche Glaubens- und Lebenswenden ließen historische Quellen oft die dringliche Suche nach Wahrheit erkennen. „Eine solche Sicht dürfte auch heute noch auf etliche Konvertiten zutreffen, während sich andere vielleicht aus familiären oder beruflichen Gründen für den Wechsel des Bekenntnisses entscheiden“, so Prof. Drews. Die Forscher kündigten die nächste öffentliche Ringvorlesung des Exzellenzclusters ab 20. Oktober an, die den Titel „Konversion. Glaubens- und Lebenswenden“ trägt.
Die Themen der 14 Vorträge reichen von der Bekehrung zum Christentum im alten Rom über Konversionsträume im Mittelalter und frühneuzeitliche Reformatoren bis zur Taufe europäischer Juden im 19. Jahrhundert. Auch Konversionen innerhalb des Islams in Indonesien, die Konversion zum evangelikalen Christentum des US-Musikers Bob Dylan und der Wandel von Geisterheilungen zur Psychiatrie im heutigen Indien werden unter die Lupe genommen. Die Reihe untersucht religiöse, aber auch politische und weltanschauliche Konversionen von der Spätantike bis heute. „Im Mittelpunkt stehen die historischen, kulturellen und gesellschaftlichen Bedingungen von Konversionen, die Medien und rhetorischen Strategien ihrer Darstellung und Begründung sowie die strukturellen Ähnlichkeiten zwischen religiösen und nichtreligiösen Wenden“, erläutert Mittelalter-Historiker Drews. Auch außereuropäische Kulturen kämen in den Blick.
Radikalisierung des eigenen Glaubens
In der Geschichte hatten die Menschen ganz unterschiedliche Vorstellungen von Konversionen, wie Prof. Wagner-Egelhaaf darlegt. „In der Antike wurde die Zuwendung der Seele des Philosophen zur Gottheit als Bekehrung begriffen“, so die Wissenschaftlerin. „Die ‚hohe Minne‘ im Mittelalter vergöttlicht die geliebte Frau. In der Moderne führte die Wende vom Geisterglauben zur Psychiatrie teils zur Verabsolutierung wissenschaftlicher Heilmethoden. Und wenn Juristen nicht mehr an den Gesetzgeber glauben, verändert sich auch ihr Welt- und Selbstbild auf sehr grundsätzliche Weise.“
Wörtlich bedeutet der Begriff Konversion „Wende“ und beschreibt eine entscheidende Veränderung im Leben, wie die Germanistin ausführt. Das könne der Übertritt von einer Konfession oder Religion zur anderen sein, aber auch die Radikalisierung des eigenen Glaubens oder der Wechsel vom Nicht-Glauben zum Glauben. Auch der Klostereintritt sei eine Konversion, „insofern als sich dadurch das Leben radikal verändert.“ Als nicht-religiöse Bekehrung könne etwa auch der Wandel zum Vegetarier oder zum eifrigen Leser der Werke von Thomas Mann, den man vielleicht früher nicht überzeugend fand, gewertet werden. „Entscheidend ist, dass sich mit einer solchen Bekehrung die Sicht auf die Welt und das eigene Ich sowie das Wertesystem grundlegend verändert. Daher sind solche Konversionen oft ideologisch, sie stellen neue Leitbilder für das eigene Leben auf.“
Im Verlauf der Geschichte konvertierten ganz unterschiedliche Arten von Menschen, wie die Forscher erläutern. „Hier sind keine Verallgemeinerungen möglich“, unterstreicht Prof. Wagner-Egelhaaf. Vielmehr seien für jeden Einzelfall die persönlichen Motive sowie historischen und kulturellen Bedingungen zu untersuchen. Auch geschehe nicht jede Konversion freiwillig oder aus innerer Überzeugung. „Wer jedoch aus innerer Überzeugung konvertiert, zeigt ein kritisches Bewusstsein gegenüber vorgegebenen Lebens- und Glaubensformen.“
„Heute stehen muslimische Konvertiten im Zentrum der Aufmerksamkeit“
Auch die öffentliche Reaktion auf Konversionen war stets abhängig von den Bedingungen der jeweiligen Epoche, wie Prof. Drews fortführt. Heute etwa stünden vor allem muslimische Konvertiten im Zentrum öffentlicher Debatten. Andere Übertritte, etwa von einer christlichen Konfession zur anderen, die ebenfalls stattfänden, seien „weniger konfliktbehaftet“ und erführen daher weniger Aufmerksamkeit. Das sei in der Frühneuzeit durchaus anders gewesen, als etwa die protestantische Königin Christina von Schweden, Tochter des vermeintlichen Protestantenretters Gustav Adolf, zum Katholizismus übertrat. „Befremdlich wirkte auf die Zeitgenossen auch der Übertritt von Bodo, Pfalzdiakon des karolingischen Kaisers Ludwigs des Frommen, zum Judentum.“
Die Reaktion der neuen Gemeinde auf den Glaubenswechsel sei immer unterschiedlich gewesen, so Prof. Drews. „Wenn Menschen sich in ihrer neuen Religion an- und aufgenommen fühlen, können sie sich glücklich schätzen.“ Denn oft seien Konvertiten mit dem Vorwurf konfrontiert worden, dass ihre Entscheidung nicht aufrichtig und allein aus beruflichen Gründen erfolgt sei. Im Mittelalter habe die Bekehrung auch gravierende familiäre Auswirkungen haben können: Ein Jude, der Christ wurde, habe den Bruch mit der Familie vollzogen. „Das konnte zu existenzieller Vereinzelung führen.“
„Keine Konversion ohne Erzählung oder Song“
Die Nachwelt erfährt von Bekehrungen häufig aus Berichten, die die Konvertiten selbst verfasst haben, wie Prof. Quast erläutert. „Viele haben ihre Konversion literarisch oder auch musikalisch aufbereitet. Keine Konversion ohne Erzählung, Bericht oder Song.“ Das sollte den Glaubenswechsel sowohl vor der Öffentlichkeit als auch vor dem Autor selbst als plausibel, konsequent und glaubwürdig erscheinen lassen und die neu gewonnene Identität nach innen wie außen festigen. Wichtigste Quelle der Konversionsforschung seien somit autobiografische Berichte, auch wenn sie nachträglich überformt wurden. Als Beispiel nennen Prof. Quast und Prof. Drews die Dialoge des christlichen Konvertiten Petrus Alfonsi, in denen er ein Selbstgespräch zwischen Moses, benannt nach seinem jüdischen Namen, und Petrus, sein neuer christlicher Name, inszeniert. „Viele Konversionserzählungen greifen rhetorisch auf Urszenen wie die Bekehrung der Kirchenväter Augustinus und Hieronymus im 4. Jahrhundert zurück.“ Im Pietismus habe es Sammlungen von Bekehrungsberichten gegeben, andere Konversionen seien romanartig literarisiert worden wie durch die christliche Schriftstellerin Ruth Nahida Lazarus, die 1898 in ihrem Roman „Ich suchte Dich!“ ihre Konversion zum Judentum schildert.
In der Ringvorlesung des Exzellenzclusters kommen Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Disziplinen zu Wort: der Geschichts- und der Rechtswissenschaft, der Ethnologie, Theologie, Arabistik, Germanistik, Indonesischen Philologie, der Judaistik und der Mittellateinischen Philologie. Die Vorträge sind dienstags von 18.15 bis 19.45 Uhr im Hörsaal F2 im Fürstenberghaus, Domplatz 20-22, in Münster zu hören. (ska/vvm)