„Exorzismus überwinden“
Ethnologin Helene Basu über Konversion und psychische Erkrankungen in Indien
Über den Wandel von Geisterheilungen zur Psychiatrie im heutigen Indien hat die Ethnologin Prof. Dr. Helene Basu vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ in der öffentlichen Ringvorlesung „Konversion. Glaubens- und Lebenswenden“ gesprochen. „In Indien lässt sich seit Anfang des Jahrtausends eine wachsende Bewegung beobachten, die gleichermaßen das koloniale Erbe der Anstaltspsychiatrie sowie die traditionellen Praktiken rituellen Heilens von Besessenheit und Exorzismus überwinden will“, so die Wissenschaftlerin. Sie erläuterte, die Verbreitung psychiatrischen Wissens im gegenwärtigen Indien lasse sich als eine Form der Konversion zu säkularen Weltanschauungen verstehen. Der Titel des Vortrags lautete „Kann man zur Psychiatrie konvertieren? Antworten aus der mental-health-Bewegung in Indien“.
Die Ethnologin plädierte im ersten Teil ihres Vortrag dafür, das Konzept von Konversion als Narrative einer radikalen Veränderung zu öffnen: Aus Sicht postkolonialer Perspektiven seien Konversionen nicht auf religiöse Inhalte beschränkt, sondern könnten sich ebenso auf säkulare beziehen. Im zweiten Teil stellte die Referentin Nichtregierungsorganisationen der sogenannten mental-health Bewegung im indischen Bundesstaat Maharashtra vor, die Aufklärung über psychische Krankheiten betreiben. „In populären Medien wie YouTube veröffentlichen sie durchaus kontroverse Auffassungen von der kosmopolitischen bio-medizinischen Psychiatrie und ihrer Aneignung in Indien.“ Ziel der Organisationen sei es, über die Natur psychischer Krankheiten im medizinischen Sinne aufzuklären. „Psychische Leiden werden als Funktionsstörungen des Gehirns erklärt und die Vorzüge moderner Behandlung durch Psychopharmaka einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt“, so die Wissenschaftlerin. Mit ihrem Fokus auf die Psychiatrie trage die mental-health- Bewegung in Indien durch die Säkularisierung kosmologischer Krankheits-Modelle zur Konversion zu globalen modernen Auffassungen bei.
Prof. Basu leitet am Exzellenzcluster das Projekt B2-2 „Die Stimme als Medium populärer Religiosität in Indien: Religiöser Pluralismus und soziale Distinktionspraktiken“. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Südasiatischer Islam und Hinduismus, Historische Anthropologie und Transkulturelle Psychiatrie.
Von der Antike bis heute
Die Ringvorlesung des Exzellenzclusters im Wintersemester 2015/16 untersucht religiöse, aber auch politische und weltanschauliche Konversionen von der Spätantike bis heute. In der Reihe kommen Vertreter verschiedener Disziplinen zu Wort: der Geschichts- und der Rechtswissenschaft, der Ethnologie, Theologie, Arabistik, Germanistik, Indonesischen Philologie, der Judaistik und der Mittellateinischen Philologie.
Die Vorträge sind dienstags von 18.15 bis 19.45 Uhr im Hörsaal F2 des Fürstenberghauses am Domplatz 20-22 in Münster zu hören. Den nächsten Vortrag am 26. Januar hält die Philologin Prof. Dr. Monika Arnez von der Abteilung für Sprachen und Kulturen des Asien-Afrika-Instituts der Universität Hamburg zum Thema „Innere Mission – Konversionsnarrative in Indonesien und Malaysia“. (vvm/maz)