„Sterben über den Tod hinaus“

Studie des Exzellenzclusters über politische, soziale und religiöse Ausgrenzung in der Vormoderne

Buchcover

Mit politischer, sozialer und religiöser Ausgrenzung in vormodernen Gesellschaften befasst sich ein weiteres Buch aus der Ergon-Reihe „Religion und Politik“ unter dem Titel „Sterben über den Tod hinaus“. Der Sammelband untersucht Formen des sozialen Todes, der mit dem Ausschluss aus der vormodernen Gesellschaftsordnung verbunden war. Die Studie zeigt, dass die Konzeptionen der sozialen Ausgrenzung, die der Forschung in mittelalterlichen Quellen begegnen, bereits im Gedankengut des Alten Testaments und damit des Alten Orients vorhanden waren. Das Buch ist in der Reihe „Religion und Politik“ im Würzburger Ergon-Verlag erschienen, die der Exzellenzcluster herausgibt, und fasst Ergebnisse einer gleichnamigen epochen- und kulturübergreifenden Tagung am Forschungsverbund zusammen. Herausgeber sind der katholische Theologe Prof. Dr. Johannes Schnocks vom Exzellenzcluster und die Historikerin Prof. Dr. Claudia Garnier, die bis 2011 am Forschungsverbund das Projekt C20 Von der Exklusion zum sozialen Tod. Politische und religiöse Ausschlussverfahren im Mittelalter leitete.

„In vormodernen Gesellschaften wurde eine Person erst in ihren Beziehungen zu anderen Menschen als wirklich lebendig angesehen. Entsprechend bedeutete eine Isolation aus dem Gemeinwesen eine Minderung des Lebens und der Existenz“, legt Prof. Schnocks dar. Eine solche Isolation konnte dem Theologen zufolge so weit gehen, dass man die Ausgegrenzten als Tote bezeichnete. „Dieser Vorstellung liegt die Wahrnehmung zugrunde, dass der Tod nicht nur ein biologisches Phänomen ist, sondern ebenfalls durch die kulturelle Praxis einer Gesellschaft bestimmt wird.“ So stirbt ein Mensch als physisches Individuum den biologischen Tod und verstirbt gleichzeitig als Mitglied einer sozialen Gemeinschaft, wie der Forscher erläutert. Biologischer und sozialer Tod könnten dabei deckungsgleich sein, aber auch auseinander treten. „Dies bedeutet, dass auch biologisch Lebende wie bereits Verstorbene behandelt werden können, so dass jegliche Bindung zu ihnen abgebrochen wird.“

Die Beiträge des Bandes nehmen die politischen, sozialen und religiösen Absichten der Ausgrenzung in den Blick und beleuchten dieses Phänomen fächerübergreifend. Das Spektrum reicht von der Analyse altorientalischer Quellen und alttestamentlicher Texte bis zu Untersuchungen der Thematik im europäischen Mittelalter. „Dabei werden oft überraschende Korrespondenzen und Kontinuitäten sichtbar, die in dieser Form bisher viel zu wenig wahrgenommen wurden“, so die Herausgeber. Der Bogen der behandelten Themen spannt sich vom „Tod“ durch Stellungsverlust am mesopotamischen Hof des zweiten vorchristlichen Jahrtausend bis zum sozialen Tod als Mittel der Gewaltminderung im Spätmittelalter sowie von Analysen des „Fluchpsalms“ 109 über frühmittelalterliche Bußbücher bis zu Fragen nach dem Umgang mit Leichen. (Ergon-Verlag/han)


Hinweis: Garnier, Claudia/Schnocks, Johannes (Hgg.): Sterben über den Tod hinaus. Politische, soziale und religiöse Ausgrenzung in vormodernen Gesellschaften (Religion und Politik, Bd. 3), Würzburg: Ergon-Verlag 2012, 235 Seiten, ISBN 978-3-89913-893-1, 38 Euro.

Aus dem Inhaltsverzeichnis

  • Claudia Garnier,  Johannes Schnocks: Einführung
  • Manfried Dietrich: „Tod“ durch Stellungsverlust bei Hofe im Mesopotamien des 2. und 1. Jahrtausends v. Chr.
  • Peter Riede: Ausgrenzung durch Verfluchung oder Bitte um Gerechtigkeit? Zur Bedeutung der „Fluchaussagen“ in Ps 109
  • Claudia Garnier: „…daz ir keynerlei gemeinschaft mit in habet…“ – Politische Ausschlussverfahren des Spätmittelalters zwischen Theorie und Praxis
  • Ralf Rothenbusch: Unreinheit als Mechanismus des sozialen Ausschlusses in der Priesterlichen Gebotsmitteilung der Tora
  • Regina Grundmann: „Die Sheol zerfällt, sie aber zerfallen nicht.“ Das Los von Häretikern in der rabbinischen Literatur
  • Rob Meens: Exil, Buße und sozialer Tod. Ausschließungsmechanismen in den frühmittelalterlichen Bußbüchern
  • Petra Ehm-Schnocks: „Einen frundlichen entscheid und forrichtunge gemacht von des Todslagis wegen“ – Soziale Exklusion und sozialer Tod als Mittel der Gewaltminderung im Spätmittelalter
  • Sebastian Scholz: Religiöse und soziale Ausgrenzung in den Kanones der merowingischen Synoden (511-614)
  • Gerald Schwedler: „dampnate memorie Ludovici de Bavaria“ – Erinnerungsvernichtung als metaphorische Waffe im Konflikt zwischen der Kurie und Kaiser Ludwig dem Bayern (mit Edition)
  • Johannes Schnocks: Ehrenvolle Bestattung als soziale Auferstehung. Anthropologische und theologische Dimensionen der Rizpaerzählung (2 Sam 21)
  • Romedio Schmitz-Esser: Zur Vernichtung von Körperlichkeit. Ausgrenzung des Leichnams als Inkriminierung des Toten im Mittelalter

Neue Publikationen aus dem Exzellenzcluster „Religion und Politik“