„Als Mann und Frau schuf er sie“

Neuer Sammelband über Religion und Geschlecht

Buchcover
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© Ergon-Verlag

Mit dem Verhältnis von Religion und Geschlecht beschäftigt sich ein neuer Sammelband aus dem Exzellenzcluster „Religion und Politik“, den die Historikerin Prof. Dr. Barbara Stollberg-Rilinger herausgegeben hat. Unter dem Titel „,Als Mann und Frau schuf er sie‘. Religion und Geschlecht“ versammelt die Publikation Beiträge der gleichnamigen Ringvorlesung, zu der der Forschungsverbund im Wintersemester 2011/2012 eingeladen hatte.

„Wenn gegenwärtig in der Öffentlichkeit von Religion die Rede ist, dann geht es in der Regel nicht um die jeweilige Glaubensbotschaft, sondern vielmehr um Fragen von Sexualität und Geschlechterrollen“, schreibt die Herausgeberin in der Einleitung. Als Beispiele nennt sie fundamentalistische Sexualnormen und feministische Religionskritik, Debatten um Kindesmissbrauch, Zölibat, „Ehrenmorde“ sowie Kopftuch- und Burka-Verbote sowie kirchliche Stellungnahmen zur Homosexuellen-Ehe und zu Verhütungsmitteln. 

„Wohl jedes religiöse Sinnsystem enthält Aussagen über die Ordnung der Geschlechter“, erläutert die Forscherin. Die Rollen von Mann und Frau seien in religiösen Mythen verankert, würden durch liturgische Praktiken stets aufs Neue reproduziert und durch kirchliche Organisationsstrukturen auf Dauer gestellt.  

Um das Verhältnis von Religion und Geschlecht angemessen bewerten zu können, reicht es nach Einschätzung der Wissenschaftlerin nicht aus, sich auf aktuelle Problemlagen zu beschränken. Vielmehr bedürfe es einer historisch vergleichenden Perspektive. „Nur aus historischer Distanz lässt sich zeigen, wann und warum Religion und Geschlechterordnung einander gegenseitig stützen und symbolisch spiegeln, unter welchen Umständen sie miteinander kollidieren und inwiefern sie – etwa durch eine religionsneutrale staatliche Rechtsordnung – voneinander entkoppelt werden können.“

Die elf Autoren des Bandes gehen der Frage nach, wie religiöse Geschlechternormen mit anderen sozialen Normen zusammenhängen und wie sie damit in Konflikt geraten. Sie untersuchen dies im Hinblick auf verschiedene Epochen und Religionen und aus unterschiedlichen kulturwissenschaftlichen und lebensweltlichen Perspektiven: von der Geschichts- und Literaturwissenschaft über die Jurisprudenz bis zur Theologie, vom antiken Rom über Christentum und Islam bis zum Judentum. Neben Forschern der Universität Münster und anderer Hochschulen in Deutschland und den Niederlanden gehören zu den Autoren der Beiträge die Frankfurter Rabbinerin Elisa Klapheck und die Publizistin Khola Maryam Hübsch.

„Die Lektüre regt zur Wahrnehmung struktureller Parallelen und Unterschiede an und ermöglicht eine größere reflexive Distanz gegenüber den aktuellen Problemlagen“, schreibt Barbara Stollberg-Rilinger. Die Frühneuzeit-Historikerin ist Sprecherin des Exzellenzclusters und leitet das Projekt B2-22 Jenseits konfessioneller Eindeutigkeit. Zur diskursiven Formierung religiös devianter Gruppen in der Frühen Neuzeit. (ska/vvm)

Hinweis: Stollberg-Rilinger, Barbara (Hg.): „Als Mann und Frau schuf er sie“. Religion und Geschlecht (Religion und Politik, Band 7), Würzburg: Ergon-Verlag 2014, ISBN 978-3-95650-011-4, 298 Seiten, 44 Euro.

AUS DEM INHALT:

  • Barbara Stollberg-Rilinger: Einleitung
  • Ann-Cathrin Harders: Eine Frage von Herrschaft. Religion und Geschlecht im alten Rom
  • Sita Steckel: Perversion als Argument. Sex und Geschlechterordnung in innerkirchlichen Polemiken des lateinischen Hoch- und Spätmittelalters
  • Eva Schlotheuber: Neue Grenzen und neue Möglichkeiten. Religiöse Lebensentwürfe geistlicher Frauen in der Umbruchzeit des 12. und 13. Jahrhunderts
  • Manuel Borutta: Kulturkampf als Geschlechterkampf? Geschlecht als Grenze der Säkularisierung im 19. Jahrhundert
  • Werner Freitag: Trösterin der Betrübten, Jungfrau, Mutter und Möhne. Pastorale Konzepte und weibliche Frömmigkeit im Bistum Münster um 1900
  • Christina von Braun: Fundamentalismus und Geschlecht
  • Bijan Fateh-Moghadam: Religiös-weltanschauliche Neutralität und Geschlechterordnung. Strafrechtliche Burka-Verbote zwischen Paternalismus und Moralismus
  • Titia Loenen: Women, Law and Religion. Dealing with (Potential) Conflicts between Freedom of Religion and Gender Equality from a Human Rights Perspective
  • Khola Maryam Hübsch: Zwischen Gewaltopfer und Haremsphantasie. Zum Selbst- und Fremdbild der muslimischen Frau
  • Elisa Klapheck: Frauen im Rabbinat. Feministische Aufbrüche im Judentum von der ersten Rabbinerin Regina Jonas bis heute
  • Marianne Heimbach-Steins: „… nicht mehr Mann und Frau“ (Gal 3,28). Geschlecht und Geschlechterverhältnisse – Provokation für Kirche und Theologie