Winzige ›Auswurfmünzen‹ als Teil einer spektakulären Kunstperformanz – Das Maskenfest der Künstler 1840 in München
Münzen und Medaillen weisen in der Regel eine an der angestrebten Funktion orientierte Größe und Beschaffenheit auf (»form follows function«). Diese ermöglicht eine optimale Handhabung, um sie beispielsweise auszugeben oder gut zu betrachten. Es gibt aber durchaus sowohl überformatige als auch winzige Ausführungen, bei denen man Acht geben muss, um sie nicht versehentlich zu übersehen oder gar zu verlieren. Zwergenhafte Spielgeldmünzen aus Metall für Kinderhände aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert fallen hierunter, aber auch speziell für Sammler angefertigte Miniatur-Suiten-Medaillen auf Personengruppen oder Ereigniszusammenhänge.
Nachfolgend soll eine zierliche ungewöhnliche Medaille aus München vorgestellt werden, bei der ihre minimale Größe auch einen Sicherheitsaspekt für die Bevölkerung darstellte, da es sich um eine echte sogenannte Auswurfmünze handelt, die tatsächlich aber doch eine großzügig unter das Volk geworfene Medaille ist. Wolfgang Hasselmann beschreibt sie in seinem Katalog über Marken und Zeichen aus München daher ausführlich als »Auswurfmünze« und tatsächlich, betrachtet man den in diesem Fall überlieferten ›Münzwurf‹ anhand der Quellen genauer, sollten die Medaillen in einer Art neuromantischer Kunstperformanz eben genau die Funktion von Geld (Münzen) erfüllen.
Vs: DER / KÜNSTLER / MASKENZUG / MÜNCHEN / 1840
Rs: Wappenschild (blau tingiert) mit drei aufgelegten leeren Wappenschilden (silber tingiert), umgeben von 25 Sternen
Zwei Exemplare, Kupfer und Kupfer versilbert, Dm 14,05 mm / Stärke 0,8 mm / Gewicht 0,83 bzw. 0,87 g
Über Auswurfmünzen (oft eher Medaillen) wurde bereits viel geschrieben: Es waren Geldgeschenke an das Volk – ein Brauch, der seit der römischen Antike überliefert ist und später beispielsweise auch bei der Annahme von Wahlkapitulationen, Kaiserumzügen, Krönungen, Eheschließlungen unter Adelsgeschlechtern, den Geburten von ersehnten Stammhaltern oder bei Begräbnissen an die anwesenden geladenen Gäste – händisch – verteilt oder unter die abseits zuschauende, aber verpflichtend jubelnde Bevölkerung tatsächlich geworfen wurden. Die Prägung war in der Regel dem Anlass abgepasst, die Stücke meist aus Silber (sehr selten auch aus Gold), damit sie neben dem bleibenden Erinnerungswert auch einen besonderen – eben finanziellen – Wert darstellten.
Selten sind hierbei der exakte ›Akt des Auswerfens‹, die beteiligten Akteure oder die Einbettung in den gesamten Festablauf überliefert. Die Recherche via Volltextsuche im Internet in gedruckten historischen Büchern und Zeitungen ermöglicht es seit einiger Zeit Hinweise zu finden, die bei einer analogen Suche in Bibliotheken fast unmöglich wäre. Die nachfolgenden Ausführungen basieren daher fast vollständig auf dieser phantastischen Möglichkeit.
Die nur 14 mm große Medaille vom Maskenfest der Künstler von 1840 wird bereits 1845 in Nagler’s Künstlerlexikon zu dem Eintrag des Landschaftsmalers Johann Felix von Schiller (1805–1853) in einem Nebensatz erwähnt, da dieser Lieder für das Maskenfest beigesteuert hatte, das schon »durch eine kleine Münze verewiget« worden war. Weitere numismatische Beschreibungen dieses ›Auswurfjetons‹ erfolgten von J. P. Beierlein 1851 (Nr. 60) und Josef Neumann 1868 (Nr. 32101).
Bei dem Wappen auf der Rückseite sollte es sich angeblich um das ›Dürersche Malerwappen‹ handeln, das dem Künstler Albrecht Dürer (1471–1528) von Kaiser Maximilian I. (1459–1519) verliehen wurde, das aber eher auf das allgemeine Zunft- bzw. Gildewappen der Malergilden zurückzuführen ist und später das Wappen vieler Berufsgruppen rund um Maler und Zeichner wurde. Die unbegründete Sage wird schon dadurch hinfällig, dass Dürer ein eignes Familienwappen führte.
Beierlein (Nr. 59), Neumann (Nr. 32100) und Otto von Eyb 1875/1876 (Nr. 1840) beschreiben zusätzlich auch einen extrem seltenen ›Probeabschlag‹, eher einen Vorentwurf dieser Medaille, eine ›Kupferklippe‹, von der von Eyb sogar eine Abbildung veröffentlichte.
Angeblich wurden 30 Exemplare dieser quadratischen Medaille (25,2 x 25,2 mm) aus Kupfer geprägt, deren Text identisch mit der späteren Medaille war. Statt des ›Malerwappens‹ war auf der Rückseite eine Theatermaske (Larve) umgeben von vier Rosetten abgebildet, aus deren rechten Auge ein Malerpinsel ragte. Auf Befehl des Bayerischen Königs Ludwig I. (1786–1868) durften diese Marken aber nicht ausgeprägt und unter die Zuschauer geworfen werden, da er Augenverletzungen befürchtete. Verwendet werden durfte nur die vorliegende winzige, sehr leichte und runde Variante.
Ein erster künstlerisch gestalteter und von Künstlern organisierter Umzug in der Form eines Maskenfestes fand in München bereits im Karneval am 2. März 1835 statt. Er stand unter dem Thema ›Wallensteins-Soldateska‹. Die Münchener Künstler feierten seit 1834 außerdem bereits ein Maifest, zu dem ebenfalls zwischen 1844 und 1856 winzige Erinnerungsmedaillen mit der Abbildung des Malerwappens erschienen waren (Hasselmann Nr. 417).
Das Maskenfest vom 17. Februar 1840 stellte aber etwas Besonderes dar. Organisatoren dieser Karnevalsaktion waren die Künstler-Vereinigungen ›Neu-England‹ und ›Pygmäen‹, beteiligt waren außerdem zahlreiche ›Zöglinge‹ und ›Elementarschüler‹ verschiedener Schulen der Stadt. Der Bayerische Eilbote berichtete am 19. Februar von diesem Umzug: Im Hoftheater weilten König Ludwig I. und seiner Frau um die Parade der über 500 kostümierten Personen, Künstler, Bürger und Staatsdiener erleben zu können, welche alle Beteiligten in die Zeit von Kaiser Maximilian, Albrecht Dürer und Hans Sachs entführen sollte.
Bei Anordnung dieser Maskerade war die Hauptabsicht, ein charakteristisches und mannigfaltiges Bild aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts vorzuführen. Die besondere Beziehung, welche derselben zu Grunde gelegt wurde, ist aus der Sage genommen, gemäß welcher Kaiser Maximilian I. während einer Anwesenheit in Nürnberg Albrecht Dürer’n durch Verleihung eines Wappens ausgezeichnet, und die genannte Stadt zu Ehren des Kaisers verschiedene Festlichkeiten veranstaltet haben soll.
Das Ganze besteht aus folgenden drei Abtheilungen:
1) einem Aufzuge der Bürger,
2) dem Zuge des Kaisers und seines Gefolges,
3) einer Mummerei zur Belustigung des Kaisers, der an solchen Ergötzlichkeiten besonderes Gefallen fand. (Programm 1840, S. 3)
Zweimal zog dieser Tross zunächst durch den Saal des Hoftheaters, was etwa eine halbe Stunde dauerte. Beim zweiten Umzug wurde am Ende der dritten Abteilung ein Wagen von Bergknappen gezogen, von dem Denkmünzen herabgeworfen wurden, »welche von den Anwesenden gierig aufgehoben wurden, sie waren in der Größe eines Kreuzers, auf der einen Seite mit dem von Kaiser Maximilian verliehenen Künstlerwappen«. (Der Bayerische Eilbote, 19.2.1840, S. 169)
Da der Umzug wegen des Regenwetters nicht durch die Stadt erfolgen konnte, zog er durch die königliche Residenz und die Arkaden des Hofgartens zum Odeon, wo ein festliches Bankett stattfand.
Sehr ausführlich und anschaulich wird der exakte künstlerische Akt des Münzwurfes in einem anderen Artikel beschrieben:
Zauberhaft lieblich ist das Bild, welches sich zuletzt vor unsern Augen entfaltet, ein Bild, so anmuthig und seltsam, als wäre es aus dem Wunderschacht der nordischen Mährchenwelt in die uns um gebende lebendige Wirklichkeit hereingezaubert. Es ist der Zug des greisen Bergkönigs, der, das schneeweiße, lang herabwallende Haar mit hoher, zackiger Krone geschmückt und gehüllt in ein braunes, mit weißem Pelz verbrämtes Gewand, auf feinem dunkelfarbigen Felswagen sitzt, umgeben von stufengrabenden Gnomen und einem kleinen niedlichen Kobold, der als Bergknappe mit Grubenlicht und Hammer vor ihm steht. Hinter dem thronenden Könige ist der Prägemeisster beschäftigt, Münzen zu prägen, die ein Drache in einen Kessel speit, aus welchem die beiden Pagen ›Gold‹ und ›Silber‹ dieselben herauslangen, um sie dem in Braun und Roth seltsam gekleideten Säkkelmeister zu überreichen, der sie unter das umherstehende Volk auswirft. Die Erscheinung ist kein Traum. Das Gold hat sich freilich durch die prosaische Berührung mit der Welt in bloßes Kupfer verwandelt, aber das Silber und das Gepräge sind geblieben. Von Sternen umgeben erscheint auf der einen Seite das Künstlerwappen, auf der anderen die Inschrift: Der Künstler Maskenzug. München 1840. Aber wer geht denn zuletzt so verlassen und einsam, dürftig und achselzuckend einher? Es ist der Narr Gülichisch, der dem verduzten Volke den leeren Beutel zeigt. … Die einzelnen Abtheilungen sangen ihre Lieder. Dazwischen erklang der Schall der Champagnerpfröpfe; die Pagen ›Gold‹ und ›Silber‹ vertheilten die neugeprägten Münzen, und die Narren trieben an allen Orten und Enden ihr unsinniges Spiel. (Marggraff 1840, S. 148–149)
Die angebliche Umprägung von Gold in schnöde Silber- und Kupfermünzen fand daher zumindest teilweise während des Umzuges statt, wobei die silbernen Medaillen tatsächlich nur aus versilbertem Kupfer bestanden. Die Wahl des kleinen Durchmessers der Stücke orientierte sich dabei an den zeitgleichen bayerischen 1 Kreuzerstücken, die sicherlich keine körperlichen Schäden bei den von ihnen getroffenen Zuschauer hinterließen. Die damalige Anzahl der geworfenen Medaillen dürfte groß gewesen sein, wie deren noch heute relative Häufigkeit belegt. Der Umzug wurde am 2. März vor deutlich zahlreicherem Publikum wiederholt, es ist jedoch nicht überliefert, ob der Wagen mit dem Bergkönig und seinen Knappen und der Prägemaschine ebenfalls mitgeführt wurde und es zu einem erneuten ›Münzwurf‹ kam.
Wie so oft können sich in der Numismatik hinter unscheinbaren und in diesem Fall winzigen Objekten interessante Geschichten verbergen, die man dem Gegenstand selbst jedoch nicht ansehen kann. Geld spielte auch in den nachfolgenden Generationen bis heute vielfach in künstlerischen Auseinandersetzungen, Aufführungen, Performances oder Aktionen eine Rolle, meist waren es dann jedoch echte Geldscheine oder Banknoten beziehungsweise deren Nachbildungen, die verwendet, verteilt, geworfen, zerrissen oder verbrannt wurden um eine bestimmte – künstlerische, politische oder gesellschaftskritische – Botschaft zu vermitteln. Darin unterscheiden sie sich daher kaum von den doch aufwändig gemachten ›Münzen‹ des Maskenfestes von 1840.
(Bernd Thier)
Literatur und Quellen:
- J. P. Beierlein, Baierische Beiträge. Jetons und Marken in Kupfer und Messing von baierischen Städten, Orten und Klöstern, Numismatische Zeitung 18, 1851, Nr. 11–13, Sp. 85–88, 93–96, 99–103, hier Sp. 99–101 Nr. 59 und 60
- Der Bayerische Eilbote, Mittwoch, den 19. Februar 1840, Nr. 22, S. 169–170
- T. Fried, Geprägte Macht: Münzen und Medaillen der mecklenburgischen Herzöge als Zeichen fürstlicher Herrschaft, Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 76 (Köln 2015), hier S. 102 f. bes. Anm. 62
- W. Hasselmann, Marken und Zeichen Lexikon, Lexikon für die im deutschsprachigen Raum aus Metall geprägten Marken und Zeichen in 4 Bänden (Manuskript München, November 2001), hier S. 1444 (versilberte Marken) [erschienen nur als PDF auf CD-ROM im Verlag für digitale Publikationen Bogon (Berlin 2007)]
- W. Hasselmann, München. Marken und Zeichen (Gütersloh 1998), hier S. 267, Nr. 351. I–II
- R. Marggraff, Kaiser Maximilian I. und Albrecht Dürer in Nürnberg. Ein Gedenkbuch für die Theilnehmer und Freunde des Maskenzugs der Künstler in München am 17. Februar und 2. März 1840 (Nürnberg 1840), hier S. 148–150
- H. Maué, Münzen – Huldigungs-›Goldgulden‹, Patern-›Taler‹, Kerzen-›Dreier‹, Rechen-›Pfennige‹, in: H. Maué – L. Veit, Münzen in Brauch und Aberglauben. Schmuck und Dekor – Votive und Amulett – Politische und religiöse Selbstdarstellung (Mainz 1982) S. 184–194, hier S. 178 (Auswurfmünzen)
- G. K. Nagler, Neues allgemeines Künster-Lexicon oder Nachrichten von dem Leben und den Werken der Maler, Bildhauer, Baumeister, Kupferstecker, Formschneider, Lithographen, Zeichner, Medailleure, Elfenbeinarbeiter, etc. Bd. XV (München 1845), hier S. 232
- E. Nathhorst-Böös, Auswurfmünzen – noch einmal, in: Th. Fischer – P. Ilisch (Hrsg.), Lagom. Festschrift für Peter Berghaus zum 60. Geburtstag am 20. November 1979 (Münster 1981) S. 269–275
- J. Neumann, Beschreibung der bekanntesten Kupfermünzen V. Enthält die Beschreibung der Jetone und Marken aus Oesterreich, Russland, Frankreich und Deutschland (Prag 1868), hier S. 400 Nr. 32100 und 32101
- Programm des Masken-Zugs der Künstler am 17. Februar 1840 (München 1840)
- N. L. Rasmusson, Auswurfmünzen. Eine Skizze, in: Congresso internazionale di Numismatica, Roma 11–16 settembre 1961 II (Rom 1965), hier S. 623–636
- O. von Eyb, Die Münzen und Medaillen der Stadt München, so wie jene, welche auf diese Stadt Bezug haben, Oberbayerisches Archiv für vaterländische Geschichte 53, 1875/1876, 1–57, hier S. 26 Nr. 87 und 88 Tafel Fig. 3