April 2023
April 2023

Münze des Monats

Münzsammlung der Universität Münster, Inv. M 5384
© Robert Dylka

Artemis reloaded: Eine Überprägung aus Abydos

Abydos (Troas), AE, ca. 250-200 v. Chr. (8,57g / 12 Uhr / 22,3mm)

Vs. Kopf der Artemis n. r. mit Mauerkrone (überprägt auf: Kopf der Artemis in nahezu frontaler Ansicht, mit Gewandansatz und Lorbeerkranz).

Rs. ABY. Adler steht n. r. mit angelegten Flügeln und Blick zurück n. l. (überprägt auf: Adler in Schrittstellung n. r. mit geöffneten Schwingen, rechts i. F. eine Ähre)

Münzsammlung des Archäologischen Museum der Universität Münster, Inv. M 4385 (ehem. Slg. Rosenberg)

Vgl. Corpus Nummorus, CN Type 3735; BMC Troas etc. S. 4 Nr. 39; D. O. A. Klose, Ein Schatzfund hellenistischer Bronzemünzen aus Abydos, Archäologischer Anzeiger 1985, S. 73 Nr. 29-34; S. 76 Nr. 52-54 (Gruppe 3). Zum Untertyp: Corpus Nummorum, CN Type 3086

 

Auf den ersten Blick vermittelt die Münze des Monats April 2023 den Eindruck, als ob hier etwas gründlich schiefgegangen wäre: Man muss sich erst einsehen und die Münze ein wenig drehen (Abb. 1),

Abb. 1: Vorder- und Rückseite unserer Münze, jeweils gedreht, sodass die ursprünglichen Münzbilder gerade ausgerichtet sind
© Robert Dylka

dann erschließt sich die Geschichte dahinter. Erkennbar ist auf der Vorderseite ein nach rechts gewandter weiblicher Kopf mit Mauerkrone, im Hintergrund sind die Reste eines deutlich größeren nahezu frontalen Kopfes mit Kranz zu sehen (s.u. Abb. 2). Auf der Rückseite steht ein Adler mit angelegten Schwingen nach rechts; er hat den Kopf zurückgewandt. Das abgekürzte Ethnikon ΑΒΥ(δηνῶν) (= „‹Münze› der Abydener“) füllt den Leerraum des vertieften runden Stempels und weist die Münze nach Abydos in der Troas. Diese Stadt auf der kleinasiatischen Seite des Hellesponts ist bekannt als Schauplatz der Erzählung von Hero und Leander, heute ist dort ein Vorort der Provinzhauptstadt Çanakkale (seit langem militärisches Sperrgebiet, sodass wir wenig von der Archäologie der Stadt wissen). Im Hintergrund sind die kräftigen Beine eines weiteren größeren Adlers zu sehen, der seine Flügel leicht geöffnet hat, zu seinen Füßen rechts befindet sich als Beizeichen eine Ähre.

Es handelt sich um eine Überprägung. Eine besondere Überprägung, bei der die ursprüngliche Münze (die auch aus Abydos stammte) mit ihrem Münzbild nicht vollständig vom neuen Motiv verdeckt wird, sondern nach wie vor in auffällig großen Teilen sichtbar und damit erkennbar bleibt. Überprägungen waren in der Antike (und auch später) gang und gäbe und eine vergleichsweise schnelle und unkomplizierte Möglichkeit neues Geld zu produzieren, altes neu zu bewerten (meist aufzuwerten) oder fremdes Geld zu vereinnahmen. In der Regel war es dabei die Absicht, die ursprüngliche Münze mit ihren Bild- und Textinformationen unkenntlich zu machen, denn entscheidend war ja der neue Stempel. Anders ist die Situation bei unserem Stück: Dass der sogenannte Untertyp noch klar durchscheint, war sicher kein Fehler in der Produktion, sondern durchaus beabsichtigt, denn der neue Stempel ist deutlich kleiner als die eigentliche Münze, konnte das alte formatfüllende Bild also gar nicht vollständig überdecken. So erinnert diese Überprägung an einen Gegenstempel.

Auffallend ist, dass sich bei unserem Stück die Thematik der Bilder nicht ändert, nur ihre Gestaltung. Es bleibt bei Artemis und dem Adler, die beide in hellenistischer Zeit zum Standardrepertoire in Abydos gehörten. Der Adler war seit alters her das Hauptmotiv und Erkennungszeichen (Parasemon) von Abydos, bereits die frühen Elektron- und Silberprägungen zeigen ihn stehend, mit angelegten Flügeln. Ab dem 4. Jahrhundert v. Chr. wurde er dann zunächst kombiniert mit Apollon, dem Hauptgott der Troas; auch die ersten Bronzemünzen zeigen Apollon und den Adler. Spätestens im Hellenismus kam auf den großen lokalen Bronzenominalen eine weibliche Figur hinzu, die als Artemis gedeutet wird. Noch fehlen ihr die üblichen Attribute der Jagdgöttin, aber die Polos-artige Stephané, Kranz und Halskette charakterisieren sie als weiblich und lassen sie als Pendant zu Apollon erscheinen. Ihr Gesicht ist zunächst in die Dreiviertel-Frontalansicht gedreht (Abb. 2);

Abb. 2: Bronzemünze aus Abydos (Troas), ca. 325-250 v. Chr., Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, Objektnummer 18268154
© Bernhard Weisser

auf der Rückseite ist auch ihr der Adler zugeordnet, der jedoch seinen Habitus ändert: Er steht nun leicht bewegt in Schrittstellung und schlägt mit den Flügeln, ohne jedoch zu fliegen. In verschiedener Hinsicht brechen diese Bronzeprägungen mit der klassischen abydenischen Tradition: Sie zeigen Artemis statt Apollon, Frontalität statt Profil, einen bewegten statt den ruhenden Adler.

Zu einem späteren Zeitpunkt beschloss die Stadt, diese und andere Typen systematisch (und zum Teil mehrfach) umzuprägen – dazu gehört unsere Überprägung. Immer geht es offenbar um dasselbe Nominal: um Bronzeprägungen mit einem Durchmesser von ca. 22-44 mm und einem Durchschnittsgewicht von ca. 7-8,5 g. Formal-ikonografisch wurde dabei einiges wieder zurückgedreht, andere Aspekte wurden hinzugefügt: Die Göttin ist im Profil, der Vogel wieder in ruhiger Pose dargestellt, dafür trägt Artemis nun eine Mauerkrone mit Zinnen, ihr wurde also die konkrete stadtschützende Funktion übertragen. Bemerkenswert ist, dass die neuen Stempel in ihrer Größe variieren je nach verwendetem Grundstock: So gibt es Münzen, die ursprünglich Apollon zeigten, die mit einem größeren Stempel überprägt wurden als Artemis-Münzen, sodass vom ehemaligen Münzbild ›Apollon‹ weniger sichtbar bleibt als beim Typ ›Artemis‹. Noch später kam es zu erneuten Umprägungen, die wiederum die formale Gestaltung tauschten (Abb. 3).

Abb. 3: Bronzemünze aus Abydos (Troas), mehrfach überprägt, ca. 250-200 v. Chr., Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, Objektnummer 18268135
© Bernhard Weisser

Gemein ist allen diesen Stempeln, dass die Göttin die Mauerkrone trägt. Es ging also offenbar darum, Artemis als (neue?) zentrale Stadtgottheit zu präsentieren.

Was die Neuausrichtung ausgelöst hat, ist unklar. Die relative Chronologie ergibt sich aus der sukzessiven Abfolge von Original und Überprägung; die absolute Chronologie der Bronzeprägungen von Abydos und damit auch der Vorgang der Überprägung werden in der Forschung diskutiert; verschiedenen Ansätze füllen die Zeitspanne vom Anfang des 4. bis zum Ende des 3. Jahrhunderts v. Chr. So fehlen bislang konkrete Anhaltspunkte für den Zeitpunkt der Überprägung und damit der historische und/oder wirtschaftliche Kontext für die ungewöhnliche, scheinbar fehlerhafte Arbeit. Auffallend ist, dass es in der Region (Nord-)Mysien/Troas, zu der auch Abydos zählt, mehrere Städte gab, die ihr eigenes Bronzegeld zu einem bislang unbestimmten Zeitpunkt im Hellenismus umprägten, und zwar auf dieselbe Weise, dass nämlich der Untertyp unter dem neuen Stempel sichtbar bleibt. Teilweise wurde mit dem neuen Stempel das alte Bildmotiv (und damit die Bildaussage) verändert (z.B. in Kyzikos), teilweise wurden alte Bilder nur ›aktualisiert‹ – wie in unserem Fall. Neue Hortfunde und Stempelstudien könnten vermutlich Aufschluss geben über die Hintergründe dieser ungewöhnlichen Praxis in Abydos und Umgebung; so bleibt es zukünftigen Forschungen überlassen, genaue Kontexte zu eruieren und mehr über das Phänomen der ›scheinbar unvollkommenen Überprägungen‹ in Erfahrung zu bringen.

(Katharina Martin)

 

Weiterführende Literatur

  • J. Chameroy, Manipulating late Hellenistic coinage: Some overstrikes and countermarks on bronze coins of Pergamum, Chiron 46, 2016, S. 85-118
  • S. Killen, Parasema. Offizielle Symbole griechischer Poleis und Bundesstaaten (Wiesbaden 2017), besonders S. 60 f. 143 und 214 f. mit Taf. 19 (zu Abydos)
  • D. O. A. Klose, Ein Schatzfund hellenistischer Bronzemünzen aus Abydos, Archäologischer Anzeiger 1985, S. 67-76
  • D. MacDonald, Overstruck Greek coins. Studies in Greek chronology and monetary theory (Atlanta 2009), besonders S. 170-173 Nr. 126-128 (zu Abydos)
  • V. F. Stolba – U. Peter, The Artemis cult in the Troad. The Corpus Nummorum and the study of regional religious history, in: R. Ciołek – R. Chowaniec (Hrsg.), Aleksanderia. Festschrift Aleksander Bursche (Wiesbaden 2021) S. 363-378

Eine Zusammenstellung der klassischen und hellenistischen Bronzemünztypen aus Abydos finden Sie im Portal Corpus Nummorum.