Kleine Schnecke mit globaler Bedeutung – Kauris verbinden Kontinente
Kauris sind Meeresschnecken, die in tropischen Gefilden an Küsten und Korallenriffen leben (Abb. 1). Es gibt zahlreiche Unterarten dieser Spezies, doch diejenigen, welche als Zahlungsmittel genutzt wurden (Cypraea annulus und Cypraea moneta), sind vor allem im Indischen und Pazifischen Ozean, aber auch im Roten Meer heimisch. Um sie zu sammeln, legt man Zweige ins seichte Wasser, an denen sich die Schnecken sammeln. Anschließend trocknet man sie, bis das Fleisch verrottet ist. Zurück bleibt das etwa 15-35 mm große glatte Gehäuse.
Schon in steinzeitlichen Gräbern in China wurden solche Kaurigehäuse gefunden, die damals als Schmuck oder Amulett genutzt wurden. Auch in Mesopotamien, Ägypten und in Teilen Europas fanden die Schnecken im Altertum in dieser Form Verwendung. Dabei scheinen sie vor allem als Fruchtbarkeitssymbol angesehen worden zu sein; vermutlich da sie aufgrund ihrer Form mit dem weiblichen Geschlechtsteil assoziiert wurden. In Teilen Asiens und Westafrikas nutzen Gebärende Kauris bis heute als Glücksbringer.
Etwa ab 1650 v. Chr. wurden die Schnecken in China als Belohnung verschenkt, spätestens um 1400 v. Chr. sind sie dort auch als Zahlungsmittel belegt. Etwa um 1000 v. Chr. konnte der chinesische Bedarf an Kauris schon nicht mehr gedeckt werden; daher kamen Imitationen aus verschiedenen Materialien wie Knochen, Holz, Ton, Jade, Türkis, Silber, Kupfer oder Bronze in Umlauf (Abb. 2). Daneben blieben aber natürlich auch weiterhin die richtigen Kauris in Benutzung, auch wenn es seitens der Regenten immer wieder Versuche gab, diese durch andere Geldformen, etwa Münzen oder Papiernoten, zu ersetzen. Noch heute wird das chinesische Schriftzeichen, das eine stilisierte Kauri darstellt, bei über 200 zusammengesetzten Wörtern verwendet, die etwas mit Geld, Ware, Opfer, Wert und Handel zu tun haben.
Neben Indien waren vor allem die Malediven Produktionsgebiete der Kauri-Währung. Arabische Reisende berichteten im 9. und 10. Jahrhundert vom Kauri-Reichtum der Inseln, der sich schließlich zu einer Art Monopol auf die Schneckenwährung auswuchs. Von hier aus wurden die Kauris nach Indien und weiter nach China transportiert. Ein Bericht des auf den Malediven gestrandeten Seefahrers François Pyrard von 1602 illustriert dies:
»... sie [die Kauris] werden zweimal im Monat gefischt, drei Tage vor und drei Tage nach dem Neumond, sowie bei Vollmond, und zu keiner anderen Jahreszeit kann man sie bekommen. Die Frauen sammeln sie aus dem Sand und aus den Untiefen des Meeres, wobei sie bis zu den Hüften im Wasser stehen. Sie nennen sie Boly und exportieren eine unendliche Menge in alle Gegenden, so dass ich in einem Jahr dreißig oder vierzig Schiffe mit ihnen beladen gesehen habe, ohne andere Ladung. Alle gehen nach Bengalen, denn nur dort gibt es eine Nachfrage nach einer großen Menge zu hohen Preisen. Die Menschen in Bengalen benutzen sie als gewöhnliches Geld, obwohl sie Gold und Silber und andere Metalle im Überfluss haben. Und, was noch merkwürdiger ist, Könige und hohe Herren haben Häuser eigens zur Aufbewahrung dieser Muscheln gebaut und behandeln sie als Teil ihres Schatzes« (übers. nach F. Pyrard, The Voyage of François Pyrard of Laval to the East Indies, the Maldives, the Moluccas and Brazil [London 1887] S. 236-239).
Interessant an diesem Zitat ist, neben dem Berichteten selbst, die Selbstverständlichkeit, mit der Pyrard allein die Nutzung von Gold und Silber als Geld ansieht. Entsprechend kurios mutet ihn die Kauriwährung an. Interessant an seinem Bericht ist auch, dass die Kauris auf den Malediven nur zu bestimmten, vom Mond abhängigen Zeiten gesammelt wurden – dies verweist auf einen spirituellen Hintergrund dieser Währung.
Von den Malediven exportierten arabische Händler die Kauris über Persien nach Afrika. Rasch stiegen die Schnecken zum wichtigsten Zahlungsmittel des Kontinents auf. Erstes wichtiges Zentrum war um 1300 die Handelsstadt Timbuktu, von wo aus sich die Kauris über große Teile Afrikas verbreiteten. Vor allem in Ost- und Zentralafrika waren die Schnecken ein beliebtes Zahlungsmittel, wurden aber auch als Schmuck geschätzt.
Mit der steigenden Nachfrage nach billigen Arbeitskräften auf den Zuckerrohrplantagen Amerikas war es ab dem 16. Jahrhundert vor allem der Sklavenhandel über den Atlantik, der die Schnecken in Afrika weiter zirkulieren ließ. Kaufleute aus Portugal, den Niederlanden und England brachten Kauris aus dem Indischen Ozean nach Guinea, wo sie sie mit Gewinn abstießen – und Sklaven an Bord nahmen, die sie wiederum in Amerika verkauften. Aber auch deutsche und französische Handelshäuser waren an der Einfuhr von Kauris nach Afrika beteiligt.
Im Laufe der Jahrhunderte wurden immer mehr Kauris nach Afrika importiert. 1721 waren es etwa 150 Millionen Schnecken, doch schon ca. 1850 kann man einer Einfuhr von einer Milliarde im Jahr ausgehen. Im gesamten 19. Jahrhundert wurden etwa 75 Milliarden Kauris nach Afrika transportiert. Die konstante Einfuhr durch europäische Kaufleute sorgte zunächst für die weite Verbreitung der Schnecken-Währung. Doch im Laufe des 19. Jahrhunderts führte der ungebrochene Zustrom allmählich zu einer Inflation. Der Wertverlust zeigt sich deutlich, wenn man Preise über die Zeiten miteinander vergleicht: In Uganda betrug der Brautpreis um 1600 zwei Kauris. Um 1810 war er auf 30 Kauris angestiegen. Gleichzeitig erhielt man in dieser Zeit für zehn Kauris eine Kuh. Ein Jahrhundert später, 1911, zahlte man für eine Kuh 2.000 Kauris. Auch die fantastisch anmutenden Preise im Sudan illustrieren das Problem: Zu Beginn des 19. Jahrhunderts kostete der Bau eines Hauses etwa 16 Millionen, der Bau einer Kirche 160 Millionen Kauris. In jener Zeit gab es sogar den Beruf des Zählers, der pro Tag etwa 250.000 Kauris zählen konnte. Der Wert der Kauris sank teilweise so stark, dass die von einem Menschen transportierbare Menge kaum noch genügend Kaufkraft hatte, als dass sich der Transport gelohnt hätte. Gleichwohl blieben die Kauris gerade auf lokalen Märkten trotz entgegengesetzter Bemühungen der verschiedenen Kolonialregierungen noch sehr lange in Umlauf.
In der Neuzeit gelangten die Kauris vor allem im Rahmen des Handels mit Afrika und Amerika auch auf die europäischen Märkte. Wichtige Städte für den internationalen Kaurihandel waren im 17. und 18. Jahrhundert London, Lissabon, aber auch Hamburg und vor allem Amsterdam. Europäische Händler brachten die Kauris auch nach Nordamerika. Ob sie hier auch als Zahlungsmittel umliefen, ist nicht gesichert. Allerdings wurden sie auch hier in Gräbern gefunden und spielten teilweise bei Zeremonien eine Rolle (Abb. 3).
Mitte des 20. Jahrhunderts kamen die Schnecken auch in Afrika allmählich außer Gebrauch. In Papua-Neuguinea werden kleinere Transaktionen aber bis heute auf lokaler Ebene vereinzelt mit Kauris abgewickelt.
Keine andere Währung der Welt kann auf eine so lange Geschichte blicken wie die Kauri. Darüber hinaus ist sie mit Nachweisen in Asien, Afrika und Europa auch das geographisch am weitest verbreitete Zahlungsmittel.
Ihre Spur hat sie aber auch in unserer Sprache hinterlassen: Schon im 14. Jahrhundert nannte man sie auf Italienisch auch porcella, was so viel bedeutet wie »kleines weibliches Schwein«, aber auch das weibliche Geschlechtsorgan meinen konnte und die Schnecke einmal mehr mit Fruchtbarkeitsaspekten verband. Der Name wiederum wurde auf die Keramik übertragen, deren glänzend-glatte Oberfläche an die Kauris erinnert.
(Andrea Gropp)
Weiterführende Literatur
- G. Aumann, Primitives Geld – vormünzliche Zahlungsmittel. Erläuterungen zu den Schausammlungen des Naturwissenschaftlichen Museums Coburg, Heft 19 (Coburg o. J.) S. 6-11
- L. Bao-Seing, Die Geschichte des chinesischen Geldes (Frankfurt 1939) S. 247. Abrufbar unter http://china-institut.uni-frankfurt.de/publications/pdf/5-6_Liao%20Bao-seing_Die%20Geschichte%20des%20chinesischen%20Geldes.pdf
- X. Dalidowski – Ch. Leßmann – N. Literski, Ein reich ausgestattetes Kindergrab der älteren Merowingerzeit. Abrufbar unter: https://archlsa.de/bodendenkmalpflege/fund-des-monats/2008/dezember-2008.html
- P. Einzig, Primitive Money: In its Ethnological, Historical and Economic Aspects (London 1948, Reprint 1951) S. 384
- Y. Gönster, Wertvoll. Über nichtmünzliche Zahlungsmittel aus aller Welt, Begleitheft der gleichnamigen Ausstellung des Deutschen Schloss- und Beschlägemuseums Velbert (Velbert 2017) S. 6 f.
- U. Greifenstein, Fremdes Geld. Tauschmittel und Wertmesser außereuropäischer Gesellschaften, Begleitheft zur gleichnamigen Ausstellung der Commerzbank zusammen mit dem Museum für Völkerkunde Frankfurt (Frankfurt 1989) S. 29-32
- M. Hauser, Aus der Geschichte der vormünzlichen Zahlungsmittel, Begleitheft zur gleichnamigen Ausstellung der Volksbank Offenburg (Offenburg 22000) S. 14 f.
- P. Hofrichter, Kauris – Kulturgeschichte (Henstedt-Ulzburg 1991)
- J. Hogendorn – M. Johnson, The Shell Money of the Slave Trade (Cambridge 1986)
- H. Kimpel, Traditionelle Zahlungsmittel (Wuppertal 1994) S. 53-105
- H. Quiggin, A Survey of Primitive Money – The Beginning of Currency (New York – London 1970) S. 25–36
- M. Kohl, Mit Muscheln zahlen – oder doch nicht. Was man für eine Handvoll Muscheln wirklich kaufen kann – ein Selbstversuch. http://www.sueddeutsche.de/reise/papua-neuguinea-mit-muscheln-zahlen-oder-doch-nicht-1.459600, Artikel vom 17.05.2010
- F. Pyrard, The Voyage of François Pyrard of Laval to the East Indies, the Maldives, the Moluccas and Brazil (London 1887) S. 236–239
- A. Reikat, Präkoloniale Geldformen in Westafrika, Unveröffentlichte Abschlußarbeit zur Erlangung des Magister Artium im Fachbereich 8 der Johann Wolfgang Goethe Universität 1989
- G. Rohlfs, Land und Volk in Afrika. Berichte aus den Jahren 1865–1870 (Bremen 1870; Reproduktion Frankfurt am Main 2018) S. 44
- H. Hermann Schleich (Hrsg.), Muscheln, Salz und Kokosnüsse. Geld der Naturvölker – Vormünzliche Geldformen, Begleitheft zur gleichnamigen Ausstellung im Fuhlrott-Museum Wuppertal) (Wuppertal 2000) S. 14–17
- R. Sedillot, Muscheln, Münzen und Papier. Die Geschichte des Geldes (Frankfurt 1992) S. 41 f.
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Abbildungsnachweise
Abb. 1: Monetaria annulus. Foto: © Harry Rose, CC BY 2.0, auf: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Cypraea_annulus_(9264481095).jpg
Abb. 2: Chinesische Kauri (links) und Kauriimitationen aus Knochen und Stein. Foto: © Scott Semans World Coins (CoinCoin.com), CC BY 3.0, auf: https://commons.m.wikimedia.org/wiki/File:Cowries_(Ancient_Chinese_Money)_-_Scott_Semans.jpg
Abb. 3: Zeremonialmaske der zentralafrikanischen Kuba; 19./20. Jh.. Foto: © Brooklyn Museum, CC BY 3.0, auf: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Brooklyn_Museum_22.1582_Mwaash_aMbooy_Mask.jpg