März 2023
März 2023

Münze des Monats

© Robert Dylka

Stadtgründung im Schlaf. Alexander der Große und das neue Smyrna

Smyrna (Ionien), AE, ca. 147 n. Chr. (23,69g / 11 Uhr / 34,5mm)

Vs. Α[ΥΡΗΛΙ]ΟC – [KAICAP]. Nackte Büste des Marcus Aurelius n. l., barhäuptig.

Rs. [ΘΕΥ]ΔΙΑΝΟC [CTP]AT ΑΝ[ΕΘΗΚΕ CMYP]NAIO[IC]. Eine männliche Figur liegt unter einem Baum, den nackten Oberkörper an einen Schild gelehnt, den r. Arm über den Kopf gelegt, neben dem ausgestrecktem l. Arm ein Schwert; im Hintergrund stehen zwei weibliche Figuren, die Linke mit Zügeln, die Rechte mit Elle.

Münzsammlung des Archäologischen Museum der WWU, Inv. M 1154 (ehem. Slg. Bieder)

RPC IV,2 (online) Temp. Nr. 239/9 (dieses Stück); D. O. A. Klose, Die Münzprägung von Smyrna in der Römischen Kaiserzeit (1987) 258 Nr. 5,2 (XLIX, Serie A) (dieses Stück, abweichendes Gewicht)

Die Münze des Monats März 2023 scheint selbst nach objektiven Maßstäben nicht besonders schön (da abgegriffen, korrodiert und ›verlebt‹), ist dafür aber besonders interessant, wie viele aus der alten Sammlung von Theobald Bieder (1876-1947), die 1956 an die Universität Münster gelangt sind: Sie stammt aus Smyrna, dem heutigen Izmir in der Türkei, und zeigt auf der Rückseite mehrere Figuren, die offenbar in Beziehung zueinander stehen. Alle drei befinden sich in der freien Natur, das wird durch den rechts stehenden Baum angezeigt; seine Zweige erstrecken sich über die drei Figuren und schaffen so durch die an das Münzrund angelehnte Rahmung eine bildliche Einheit. Man muss sich erst einsehen in das Bild; der Vergleich mit besser erhaltenen Stücken (Abb. 1) lässt Details besser erkennen und verdeutlicht eine Szenerie, die uns anschaulich vom antiken ›Reiseschriftsteller‹ Pausanias geschildert wird:

© NAC AG, Zürich

Alexander, der Sohn Philipps (gemeint ist Alexander der Große), wurde Gründer der jetzigen Stadt auf Grund eines Traums: Alexander habe nämlich im Pagosgebirge gejagt, so erzählt man, und sei, wie er von der Jagd zurückkam, zum Heiligtum der Nemesis-Göttinnen gekommen, und habe dort eine Quelle getroffen und eine Platane vor dem Heiligtum, die am Wasser wuchs. Und wie er unter der Platane schlief, seien ihm die Nemeseis erschienen und hätten ihm befohlen, hier eine Stadt zu gründen und die Smyrnäer dorthin zu führen aus ihrer früheren Stadt fort. (Paus. 7,5,1-2).

Mithilfe der literarischen Überlieferung erschließt sich das Münzbild: Deutlich erscheint der schlafende Alexander unter der Platane und erinnert mit seiner Armhaltung an den schlafenden Barberinischen Faun; im Bildhintergrund stehen einander zugewandt die beiden Nemeseis, die traditionellen Stadtgöttinnen von Smyrna, klar erkennbar besonders an ihrem Gestus, dem Griff an das Gewand und dem Vorziehen des Ausschnitts.

Das ›alte‹ Smyrna war nach der Zerstörung durch den Lyderkönig Alyattes um 600 v. Chr. zu einer losen Ansammlung von Dörfern herabgesunken; erst Ende des 4. Jahrhunderts v. Chr. wurde eine neue aufstrebende Stadt gegründet. Vermutlich erfolgte diese Neugründung unter den Nachfolgern Alexanders des Großen, doch die Smyrnäer beriefen sich offenbar lieber auf Alexander selbst (z.B. auch Aristeid. or. XX,5 oder XXI,4) und konnten so ihre Geschichte und Vergangenheit mit einem großen Namen schmücken. Wie wichtig edle und ruhmreiche Abstammung und eine möglichst lange, im Idealfall in mythische Zeiten zurückreichende Geschichte war, zeigt sich immer wieder, besonders in der z.T. hitzig geführten Auseinandersetzung der Städte Ephesos, Pergamon und Smyrna um die Vorrangstellung in der Provinz. Mehrfach mussten hier die Kaiser aus Rom eingreifen, um den Frieden innerhalb der Provinz zu gewährleisten. Mythische Erzählungen oder halbhistorische Legenden wurden zu Lokaltraditionen, Gründungslegenden konstruiert und gegeneinander ausgespielt – auch und besonders wie hier über das Medium Münze.

Erstmals wurde dieses erzählerische Moment von dem städtischen Strategen Theudianos auf smyrnäischem Geld gezeigt. Während der Regierungszeit des Kaisers Antoninus Pius gab er eine umfangreiche Emission verschiedener Nominale aus, d.h. er finanzierte Produktion und Ausgabe dieser Münzen, das verrät die Rs.-Legende (»der Stratege Theudianos stiftete den Smyrnäern«). Dazu gehören zwei Serien von Großbronzen, auf denen a) Antoninus Pius selbst und der Hochzeitszug von Pelops und Hippodameia zu sehen sind und b) dem noch jugendlichen Marc Aurel, der einmal der Nachfolger auf dem Kaiserthron werden würde, unsere Traumszene auf der Rückseite gegenübersteht. Interessanterweise ist die Serie mit ›Nachfolger/Alexanders Traum‹ deutlich umfangreicher als die mit dem ›Kaiser/Pelops & Hippodameia‹. D.h. die Neugründung mit der Berufung auf den großen Makedonenkönig scheint in der Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. bedeutsamer und präsenter gewesen zu sein als der Mythos. Pelops als Gründer des ›alten‹ Smyrna (auf den Münzen ist er – im Gegensatz zu Alexander – mit ΠЄΛΟΨ explizit benannt, bei Alexander war es offenbar nicht notwendig) ist zudem umstritten, die antiken Autoren weisen die mythische Gründung eher seinem Urenkel Theseus zu.

Warum unter Antoninus Pius um 147 n. Chr. die Gründungsgeschichten eine so zentrale Position in der Münzprägung der Stadt einnahmen, bleibt unklar. 30 Jahre später, nach dem verheerenden Erdbeben von 177/178 n. Chr., wurden Marc Aurel und sein Sohn Commodus tatsächlich zu Neugründern, da Rom massive finanzielle Wiederaufbauhilfe leistete. Auch der Redner und smyrnäische Bürger Aelius Aristides hatte daran seinen Anteil, denn mit mehreren eindringlichen Reden über die Zerstörung der Stadt (Aristeid. or. XVII-XIX) hatte er die Kaiser zu ihrem Engagement für Smyrna bewegt, das sie im Sommer 276 n. Chr. beide besucht hatten.

In den 230/240er Jahren, unter Gordian III. (reg. 238-244 n. Chr.) und Philippus Arabs (reg. 244-249 n. Chr.) wurde Alexanders Traum noch zweimal ins städtische Münzrepertoire aufgenommen, hier waren die Auflagen deutlich geringer, auch hier erschließt sich uns kein konkreter Anlass. Aber die Legende von Alexanders Traum war nach wie vor präsent im kollektiven Gedächtnis.

(Katharina Martin)

 

Weiterführende Literatur

  • D. O. A. ­­Klose, Die Münzprägung von Smyrna in der Römischen Kaiserzeit (Berlin 1987)
  • W. Leschhorn, ›Gründer der Stadt‹. Studien zu einem politisch-religiösen Phänomen der griechischen Geschichte (Stuttgart 1984) bes. 217 f.
  • P. Weiss, Euergeten und Elemente der zweiten Sophistik in der Münzprägung von Asia unter Antoninus Pius, in: Ch. Michels – P. F. Mittag (Hrsg.), Jenseits des Narrativs. Antoninus Pius in den nicht-literarischen Quellen (Stuttgart 2017) 181-194, bes. 181-183
  • P. Weiß, Münzprägung und zweite Sophistik, in: B. Borg (Hrsg.), Paideia: The World of the Second Sophistic (Berlin 2004) 179-200, bes. 194 f.
  • R. Ziegler, Alexander der Große als Städtegründer. Fiktion und Realität, in: U. Peter (Hrsg.), Stephanos nomismatikos. Festschrift Edith Schönert-Geiss (Berlin 1998) 679-697, bes. 687

[Das Pausanias-Zitat nach: Pausanias. Reisen in Griechenland II, übers. von E. Meyer, 3. Aufl. (Zürich 1987) S. 156. Aelius Aristides schildert in seinen Reden XVII-XIX die massiven Zerstörungen nach dem Erdbeben, die Reden XX-XXI feiern den Wiederaufbau; englische Übersetzungen der hier relevanten Reden finden sich bei Aelius Aristides, The complete works II. Orations XVII-LIII, transl. by C. A. Behr (Leiden 1981)]

Die späteren Prägungen mit Alexanders Traum finden sich unter RPC VII,1 Nr. 310 (Gordian III.) und RPC VIII Type 20331 (Philippus Arabs).

 

Abbildungsnachweise

MdM: Münzsammlung der WWU, Inv. M 1154, Foto Robert Dylka

Abb. 1: Numismatica Ara Classica, Auction 92/2 (24.05.2016) Nr. 2248 © NAC AG, Zürich