Mai 2023
Mai 2023

Münze des Monats

© privat

»Fügsam trottete das Kalifat ihm zu«: Madīnat as-Salām 322/934

Dīnār (AV), Madīnat as-Salām (Bagdad) 322/934, 4,10g, 24mm, 8h

Avers Feld:

lā ilāha illā
llāhu waḥdahū
lā šarīka lahū

Innerer Rand:

bi-smi llāh: ḍuriba hāḏā d-dīnār bi-Madīnat as-Salām sanata iṯnatayn wa-ʿišrīn wa-ṯalāṯamiʾah

Äußerer Rand: Koran Q 30:4-5

Avers Feld:

Es gibt keinen Gott außer
Gott als Einzigem,
er hat keinen Teilhaber

Innerer Rand:

Im Namen Gottes: Dieser Dīnār wurde geprägt in Madīnat as-Salām im Jahre 322

Äußerer Rand: Koran Q 30:4-5

Revers Feld:

li-llāh
Muḥammadun
rasūlu
llāh
ar-Rāḍī bi-llāh

Revers Rand: Koran Q 9/33

Revers Feld:

Für Gott
Muḥammad ist
der Gesandte
Gottes
ar-Rāḍī bi-llāh

Revers Rand: Koran Q 9/33

خَطَرَتْ نحوه الخِـلافـةُ طوعاً   بٱتّـفاقٍ من الوَرَى وتَـرَاضِ

وٱصطفاقٍ من الأكُفِّ دِراعاً   واجتماعٍ مُوفٍ وعَزْمٍ مُـفاضِ

»Fügsam trottete ihm das Kalifat zu, mit Übereinkunft und Übereinstimmung aller Menschen,

mit einer ununterbrochenen Folge von Handschlägen, einer Versammlung, die ihr Versprechen erfüllt, und einem festen Willen, den nichts aufhalten kann.«

Ganz so einfach war es auch wieder nicht. Dem 24. April 934, an dem diese Verse erstmals erklangen, waren dramatische Ereignisse vorausgegangen, und auch das Gedicht hat eine ungewöhnliche Geschichte. Dagegen ist die Münze unkompliziert, und da in der Reihe ›Münze des Monats‹ bislang nur auffällige und aus dem Rahmen fallende Münzen aus dem islamischen Bereich vorgestellt wurden, sei nun eine jener gewöhnlichen Münzen gezeigt, die das tägliche Brot des Münzliebhabers sind.

Der abgebildete Dinar bewegt sich mit einem Gewicht von 4,10 g im üblichen Rahmen. Größere Abweichungen kommen zu dieser Zeit aber vor, weil die Münzen gewogen und nicht mehr gezählt wurden, was eine größere Spannbreite erlaubt. Seit der Münzreform des Umayyadenkalifen ʿAbdalmalik in den Jahren vor 700 weisen islamische Gold- und Silbermünzen (bis auf wenige Ausnahmen) kein Bild auf, was nicht so sehr religiöse Gründe hat, als vielmehr sich dem Bemühen verdankt, das oströmische und das persische Währungssystem, das die Muslime geerbt hatten, zu vereinheitlichen. Seit dieser Zeit ist auch die Inschrift im Feld der Vorderseite gleichgeblieben. Deren Fortsetzung (»Muḥammad ist der Gesandte Gottes«) wurde von den Abbasiden im Jahr 750 eingeführt. Mit der Tilgung des Herrscherbildes wurde auch der Name des Herrschers von den Münzen getilgt. Sie erschienen nicht als Münzen des Kalifen, sondern der »islamischen Ökumene« (Albrecht Noth), weshalb zwar gelegentlich Gouverneure und andere Beamte, meist abgekürzt, genannt werden konnten, nicht aber der Kalif. Dies änderte sich bei Goldmünzen erst 809, als Hārūn ar-Rašīd seinen Namen nennen lässt. Wie schon auf sassanidischen Münzen üblich, nennen islamische Silbermünzen sowohl Prägejahr als auch Prägeort, letzteres wird bei Dinaren aber erst ab 813-814 Usus. Die nächsten größeren Veränderungen verdanken sich dem Kalifen al-Maʾmūn (196-218/810-833), der seine Devise li-llāh an die Spitze des Reversfelds stellte (in Abgrenzung von seinem Bruder, mit dem er Krieg führte, und dessen Devise rabbī Allāh »Mein Herr ist Gott« war). In den 820er Jahren hat er eine umfassendere Münzreform durchgeführt und das Design von Gold- und Silbermünzen vereinheitlicht, was vor allem die Aufteilung der Randtexte auf die beiden Seiten betrifft. Außerdem fügte er dem Revers ein weiteres Koranzitat als äußeren Rand hinzu. Diesem Muster entspricht auch die hier besprochene Münze ar-Rāḍīs.

Eines aber sollte noch erwähnt werden: Noch ehe ein Kalif Münzen seinen Namen aufprägte, ließ schon al-Manṣūr (136-158/754-775) den Namen des von ihm gewünschten Thronfolgers auf Dirhams prägen. Kalif war eigentlich ein Wahlamt, doch sah man die Designation durch den Vorgänger für legitim an. Sie hat allerdings nur in den seltensten Fällen funktioniert, weil sich der Kalif nach seinem Tod nicht mehr der Sache annehmen konnte. Die fünf Kalifen, die designierte Nachfolger waren und tatsächlich unmittelbar nach dem Tod des Vaters dessen Nachfolger wurden, wären es wahrscheinlich auch ohne Designation geworden. Das Schicksal der anderen teilte auch ar-Rāḍī, der schon als Einjähriger unter seiner Kunya Abū l-ʿAbbās auf den Münzen seines Vaters al-Muqtadir als dessen Nachfolger firmierte. Bei al-Muqtadirs Tod setzte sich aber sein Onkel durch, der seinen Neffen enteignen und ins Gefängnis werfen ließ. Schon nach zwei Jahren hatte sich dieser neue Kalif al-Qāhir mit seinem rabaukenhaften Regieren am Hof und darüber hinaus unmöglich gemacht, und man beschloss, ihn zu stürzen und seinerseits einzusperren.

Abū Bakr aṣ-Ṣūlī, Schachspieler, Hofdichter und Prinzenerzieher, schildert den turbulenten Thronwechsel, wie er ihn miterlebt hat: »Nachdem al-Qāhir am Donnerstag, den 24. April 934 abgesetzt worden war, holten die Garden zur dritten Stunde des Tages Abū l-ʿAbbās Muḥammad, den Sohn al-Muqtadirs (…), aus dem Gefängnis und setzten ihn auf den Thron«. Abū l-ʿAbbās hatte vom Sturz seines Onkels nichts mitbekommen und war auf den direkten Übergang vom Gefängnis auf den Thron nicht vorbereitet. Als Kalif hatte er einen Thronnamen anzunehmen, und so schlug aṣ-Ṣūlī ihm den Namen al-Murtaḍī bi-llāh (etwa »der Gottes Ratschluss gutheißt«) vor und dichtete schon einmal ein Lobgedicht, dass sich passend zu al-Murtaḍī auf -ḍī reimt. Reime auf den Konsonanten ḍ gehören aber zu den kompliziertesten, die es im Arabischen gibt, und so war aṣ-Ṣūlī nicht erbaut, als der neue Kalif sich nicht für diesen, sondern für den Namen ar-Rāḍī entschied, der etwa das Gleiche bedeutet. So musste aṣ-Ṣūlī also ein neues Gedicht machen, diesmal auf den Reim -āḍī, der auch nicht einfacher ist. Aus diesem Gedicht stammen die einleitend zitierten Verse, die, trotz der Hopplahopp-Kalifwerdung ar-Rāḍīs, den Konsens der Gemeinschaft betonen. Tatsächlich wurde diese Übereinkunft dann in der Zeremonie der bayʿah hergestellt, bei der alles, was Rang und Namen hat, am Kalifen vorbeizog und ihm den Treueeid leistete. Der nun rechtmäßige Kalif erwirbt dadurch das Recht, im Freitagsgebet und auf Gold- und Silbermünzen genannt zu werden. Aus dem Jahr der Thronbesteigung stammt auch die abgebildete Münze.

Schon der Nachfolger ar-Rāḍīs, sein Bruder al-Muttaqī (nicht sein Sohn, den ar-Rāḍī als Nachfolger designiert hatte) war der letzte, der diesen Münztyp unverändert beibehalten konnte. Die folgenden Kalifen erschienen zwar weiter auf den Münzen jener Sultane, die die wahre Macht im Reich hatten, bekamen aber die nächsten zweihundert Jahre nur selten die Gelegenheit, eigene Münzen auszugeben. Auch die Sultane ließen Münzen prägen, die sich stark an das abbasidische Vorbild anschlossen, bemühten sich aber stets um einen erkennbaren eigenen Stil.

Die Unfähigkeit, das Reich zusammenzuhalten und dem Kalifen reale alltagspolitische Macht zu sichern, ist nicht der Person ar-Rāḍīs anzulasten, sondern den Umständen seiner Zeit. Ansonsten war er das Muster eines Kalifen: intelligent, gebildet, umsichtig und gottesfürchtig. Er schätzte nicht nur die Gedichte aṣ-Ṣūlīs, sondern war selbst ein Dichter von Rang und scheute nicht davor zurück, ein Schmähgedicht auf seinen eigenen Minister zu verfassen, pflegte ansonsten aber hauptsächlich Liebes- und Weindichtung. Als er mit der Krankheit zu Tode darniederlag, dichtete er noch:

Sei auf der Hut, erstrebe nie das Ganze —
                          einen Anteil suche nur zu finden!

Die Gierigen ereilt der Tod genau wie
                           jene, die enthaltsam karg sich schinden.

Wann immer die Vollkommenheit erreicht ist,
                           kündet laut sie an: Jetzt kommt das Schwinden!

(Thomas Bauer)

 

Literatur:

  • G. Bernardi, Arabic Gold Coins. Corpus I (Triest 2010) (zu den Münzen ar-Rāḍīs S. 273-277)
  • Abū Bakr Muḥammad ibn Yaḥyā aṣ-Ṣūlī: Aḫbār ar-Rāḍī wa-l-Muttaqī min Kitāb al-Awrāq, hrsg. von J. Heyworth Dunne (1982/83, Nachdruck Beirut 2010) (die Zitate aus S. 1, 10, 184)