Von Danzig über Berlin nach Moskau – Die Solidarność und der Umbruch in Polen
Avers: Rzeczpospolita POLSKA 1990, 10.000zł, mit dem seit 1989 wieder verwendeten Wappentier Polens – gekrönter weißer Adler, der nach links blickt.
Revers: Solidarność-Schriftzug mit polnischer Flagge, 1980 – 1990, Danziger Werftdenkmal mit der Stadt im Hintergrund.
Material: Kupfer-Nickel
Gewicht: 10,80g, Durchmesser: 29,5mm
Auflage: 15.000.000
Im August des Jahres 1980 begründet sich aus Arbeiterprotesten die polnische Bürger- und Gesellschaftsbewegung »Solidarność« (zu Deutsch: Solidarität) und läutete den beginnenden Umbruch in Mittel- und Osteuropa ein. Heute werden der Beginn dieser Bewegung, sowie die Reformbestrebungen Michael Gorbatschows, als Beginn des Zerfalls der Sowjetunion und seiner Satellitenstaaten angesehen. Die hier vorgestellte 10.000 Złoty-Münze ist in zweifacher Hinsicht ein Symbol und ein Ergebnis des über 10 Jahre andauernden Umbruchprozesses. Denn sie repräsentiert nicht nur die Höhepunkte der polnischen Bürgerbewegung, sondern auch die Probleme mit denen der sich neu gegründete polnische Staat um 1989/1990 auseinandersetzen musste. Im Folgenden soll daher ein kurzer Überblick über die Geschichte der Solidarność-Bewegung und über die Hyperinflation der Anfangsjahre der Republik Polen gegeben werden.
Die polnische Wirtschaft war in den Jahren vor 1990 durch ein schweres Ungleichgewicht des Marktes geprägt. Für die Bürger und Bürgerinnen bedeutete dies ein tägliches Schlangestehen nach Waren des Alltags. Die Einschränkungen in persönlicher als auch wirtschaftlicher Freiheit schürten immer stärker werdende Freiheitsbestrebungen im Lande. So kam es 1980 in Polen zu landesweiten Streiks in ca. 700 Betrieben, die von dem sogenannten Überbetrieblichen Streikkomitee koordiniert wurden. Schätzungsweise nahmen hierbei bis zu 700.000 Arbeiter und Arbeiterinnen an den Streiks teil, wobei auch die ›Intellektuellen‹ den Streik unterstützten. Hauptsitz des Komitees lag in der Lenin-Werft in Danzig. Ihm stand der damalige Werftarbeiter und spätere Präsident Lech Wałęsa repräsentativ vor. Die »Solidarność« forderte in ihrem Kampf nach besseren Arbeitsbedingungen, höheren Löhnen und politischer Freiheit. Um der aufkeimenden Bewegung einen Riegel vorzuschieben bediente sich der damalige polnische Ministerpräsident Wojciech Jaruzelski des Kriegsrechts und rief in der Nacht vom 12. auf den 13. Dezember 1981 den Ausnahmezustand aus. Die »Solidarność« wurde verboten und führende Personen der Bewegung, wie Lech Wałęsa, verhaftet. Dies führte zu einer weiteren Verknappung von Nahrungsmitteln für die Bevölkerung, zur Verhängung von Ausgangssperren und zur Unterbrechung der regelmäßigen Fernseh- und Radiosendungen. Zudem waren die Straßen in Polen landesweit von Panzerfahrten geprägt. Als im Jahre 1989 die Gewerkschaft Solidarność erneut zugelassen wurde und nach langen Vorbereitungen eine ›halb-freie‹ Wahl des polnischen Parlaments anstand, konnte das »Bürgerkomitee des Vorsitzenden der Solidarność Gewerkschaft« die Wahlen am 04. Juni für sich gewinnen und öffnete die Türen zur Übernahme der Regierung.
Zum 1. Januar 1990 führte die dritte polnische Republik das Wirtschaftssystem der freien Marktwirtschaft ein, und löste sich damit als erstes der postsozialistischen Länder von der zentralisierten Planwirtschaft. Die erste Zeit war vorwiegend durch die bereits 1989 aufkommende Hyperinflation geprägt, die sich in dem inflationären Nominalwert der hier vorgestellten Münze widerspiegelt. Konnte zu Beginn des Jahres 1989 eine Deutsche Mark in 281,22 Złoty eingetauscht werden, stieg die Inflationsrate zum darauffolgenden Jahr rasant an, sodass eine Deutsche Mark im Januar 1990 in 5.608,78 Złoty eingewechselt werden konnte. Wodurch die hier vorgestellte Münze nicht ganz 2 DM entspricht. Grund für die wirtschaftliche Instabilität ist in den übermäßigen Staatsausgaben durch beispielweise die Finanzierung nicht profitabler Staatsbetriebe zu suchen, da für diese Geld zur Deckung der Ausgaben produziert wurde. Als Folge hatte dies unter anderem den Verlust der Kaufkraft der Bevölkerung, die die Inflation weiter vorantrieb.
Die neue Wirtschaftspolitik hatte daher zum Ziel die seit 1989 andauernde Inflation zu verlangsamen und den Złoty zu stabilisieren, zugleich sollte auch die Wirtschaft effizienter gestaltet und dadurch Warenmangel minimiert werden. Das von der polnischen Nationalbank und Finanzministeriums eigens erstelle Programm sollte hierzu die Geldmenge, Zinssatz und Wechselkurspolitik verstärkt kontrollieren. Erst durch die Währungsreform im Jahre 1995 konnte der Złoty endgültig stabilisiert werden. Dabei wurde der neue Złoty in einem Verhältnis von 1:10.000 zum alten Złoty umgerechnet. In diesem Zuge wurden auch neue Banknoten veröffentlicht, die in ihrer Gestaltung auf ehemalige Könige der polnischen Geschichte zugreifen.
Heute gilt das historische Werftgelände als zentrales Denkmal und historischer Schlüsselort Polens und steht seit 2014 auf der Liste des »Europäischen Kulturerbe-Siegels«. Welche herausragende Bedeutung die Danziger Werft bis heute für das polnische und europäische Demokratieverständnis hat, zeigen die Bemühungen, Teile der Danziger Werft als UNESCO-Weltkulturerbe anerkennen zu lassen. Denn hier ist der Funke einer Revolution gezündet worden, die die politische Landkarte des Kontinents grundlegend verändert hat. Aus diesem Grund ist es auch nicht verwunderlich, dass genau jenes Motiv für die neu aufgelegte Złoty-Münze genutzt wurde. Es handelt sich um das so genannte Drei-Kreuze-Denkmal, das an die über 45 Werftarbeiter erinnern soll, die während des Aufstandes von 1970 gefallen sind. Hervorzuheben ist, dass sich die Solidarność-Bewegung in der Tradition eben jenes Aufstandes von 1970 sah und ein Jahrzehnt später die Errichtung des Denkmals forderte. Das Denkmal zeigt drei 42 Meter hohe Kreuze, die jeweils mit einem Anker versehen sind. Zugleich deutet die Neugestaltung des Revers auf das wandelnde Selbstverständnis der neuen polnischen Republik. Mag dieses auf den ersten Blick sich kaum von Münzen der Volksrepublik Polen unterscheiden, zeigt sich beim genaueren Hinschauen, dass das Wappentier Polen hier in seiner Ursprungsform mit Krone dargestellt wird. Diese gekrönte Darstellungsweise war seit der zweiten polnischen Republik nicht mehr üblich und wird hier abermals genutzt um sich von dem Sozialismus abzuwenden. Diese Münze kann somit als Symbol für die wirtschaftliche Stabilität und das wachsende Selbstbewusstsein und Demokratieverständnis des noch jungen Landes gedeutet werden.
(Larissa Ornat aus Braunschweig, Teilnehmerin der Numismatischen Herbstschule 2021)
Literatur:
- Bundesausgleichsamt (2004): Devisenkurse in Polen; Mittelkurse. Online unter: https://www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de/bsvwvbund_19022004_IILA3481304.htm
- G. Jacobsen, Turning Poland Around the Polish Economy 1990-2009, Journal of Business Case Studies 7, 2011/Nr. 5, S. 71-100
- B. Kerski, Das universelle Erbe der Danziger Werft. Online unter: https://forumdialog.eu/2021/12/10/das-universelle-erbe-der-danziger-werft
- A. Paczkowski, Revolution and Counterrevolution in Poland, 1980-1989. Solidarity, Martial Law, and the End of Communism in Europe (Rochester, NY 2015)
- P. Surowiec-Capell, Re-visiting ›Solidarność‹: Propaganda of Protest and Campaigning of the Social Movement, in: Communication, Culture and Critique 2018/11, S. 622-641
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