Studienreise Bosnien und Herzegowina
Vom 01.10. bis zum 08.10.2015 sind 25 Studierende unter der Leitung von Herrn Mustafa Hadzić, begleitet durch Herrn Dr. Amir Dziri, Herrn Raid Al-Daghistani und Herrn Daniel Roters nach Bosnien und Herzegowina gereist.
Ziel der Studienreise war es, den studentischen und fachwissenschaftlichen Austausch zwischen dem Zentrum für Islamische Theologie Münster und Partnerinstitutionen vor Ort einzuleiten und zu intensivieren. Mithin hatten die Studierenden die Möglichkeit, Aspekte eines gelebten und gelehrten Islam in Europa zu erfahren.
Zunächst besuchte die Gruppe die Altstadt Sarajevos, hier insbesondere den Komplex der Gazi Husrev Beg Moschee und die Umgebung, die auf die Stiftungen des Husrev Beg, eines Bosniaken und Neffen des osmanischen Sultans Bayezid II (gest. 1512), zurückzuführen sind. Eine lange Fahrt führte die Gruppe nach Srebrenica und Potočari, wo mehr als 8372 muslimische Jungen und Männer im Juli 1992 ermordet wurden. Einer der Überlebenden, Hasan Hasanović, berichtete eindrücklich von den schlimmsten Kriegsverbrechen seit dem Zweiten Weltkrieg in Europa.
In Visoko wurde die Reisegruppe von Dženan Handžić, Direktor der Osman ef. Redčović Medrese, empfangen. Herr Handzić hielt eine beeindruckende Rede über den gelebten Islam in Europa seitdem Tariq ibn Ziyad (gest. 720) die Iberische Halbinsel betreten hatte. Herr Handzic führte die Studierenden aus Deutschland außerdem in das bosnische Medresa-System ein. Zehn bis fünfzehn Prozent der Absolventen studierten laut Handžić nach dem erworbenen Abitur Islamische Theologie. Dies sei seiner Ansicht nach begrüßenswert, denn die in der Medrese genossene Erziehung und die vermittelten Werte sollten in allen Bereichen der Gesellschaft sichtbar werden. Die Besucher aus Deutschland wurden außerdem durch Schülerinnen und Schüler eines Kurses für Koranrezitation und für deutsche Literatur begrüßt.
Während des Besuchs der Behram-Begova Medrese in Tuzla war die Reisegruppe Gast bei einem Festakt zu Ehren der Spender für die Medrese, die seit dem 17. Jahrhundert in Form eines Internats Kindern aus Bosnien, aber auch aus Übersee eine fundierte Schulausbildung ermöglicht. Mitglieder des Chors der Medrese stimmten für die Gäste aus Deutschland religiöse Gesänge in arabischer, türkischer und bosnischer Sprache an. Bei einem gemeinsamen Mittagessen bot sich den Teilnehmern die Möglichkeit des intensiven Austauschs. In einem Gespräch mit Herrn Ahmet Hatunić, dem Direktor der Schule, wurde deutlich, dass ein zukünftiger Austausch von Studierenden und Schülern angestrebt werde. Die Studierenden des Zentrums haben hier insbesondere Einblicke in die Chancen einer zeitgemäßen islamisch geprägten Erziehung in Europa gewonnen.
In Zenica besuchte die Reisegruppe die Islamisch-Pädagogische Fakultät. Studierende beider Universitäten hatten die Möglichkeit, sich in einem Workshop zum Thema Religionsfreiheit und Toleranz im Islam, auszutauschen. Im Arbeitsgespräch unter Kollegen zeigte sich der Dekan der Fakultät, Prof. Dr. Halil ef. Mehtić, sehr erfreut über den zweiten Besuch der Kollegen aus Deutschland. Bei einem gemeinsamen Abendessen hatten die Studierenden sowie Lehrende beider Standort Gelegenheit zum persönlichen und fachlichen Austausch.
An einem Tag stand die Stadt Mostar auf dem Reiseplan. Mostar ist berühmt durch die unter 1566 unter Sultan erbaute „alte Brücke“ (Stari most), die beide Stadtteile über den Fluß Neretva verbindet. Als wichtiger Übergang wurde sie von Brückenwächtern (mostari) überwacht. Im Bosnienkrieg wurde sie zerstört und durch internationale Hilfe wieder aufgebaut. Die Brücke wird als ein Sinnbild der Verständigung gesehen, da sie den kroatisch geprägten Stadtteil mit dem bosniakisch geprägten Teil verbindet.
Zehn Kilometer von Mostar entfernt liegt Blagaj. An der Quelle des Flusses Buna liegt ein Derwisch-Kloster (Tekije), das zusammen mit einem Gästehaus (Musafirhana) um 1520 im Felsen eingebaut wurde und sich architektonisch durch eine Mischung osmanischer Architektur mit mediterranen Elementen auszeichnet. Blagaj ist historisch auch bekannt als der Geburtsort von Königin Katarina (gest. 1478), der letzten Königin des Königreichs Bosnien.
In Sarajevo besuchte die Reisegruppe die Fakultät für Islamische Wissenschaften. Prof. Zuhdija Hasanović, Dekan der Fakultät, und Prof. Kenan Musić, Spezialist im Fach Hadith und zuständig für internationale Kooperationen, begrüßten die Gruppe aus Deutschland. Prof. Hasanović ermutigte dabei explizit Studierende sowie Nachwuchswissenschaftler der Islamischen Theologie nach Sarajevo zu kommen, um in der traditionsreichen Fakultät zu forschen und zu studieren. Orhan Jašić, Assistent im Bereich Kalam, hielt einen Vortrag über die multireligiöse Geschichte Bosniens und die Chancen und Herausforderungen des interreligiösen Dialogs. Als Zeichen der Freundschaft überreichte Herr Hadzic dem Dekan der Fakultät ein Bild des Künstlers Kamal Nabil Al-Daghistani: es zeigt das Fürstbischöfliche Schloss zu Münster, Sitz der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
Bei dieser Gelegenheit bot sich auch ein Treffen mit Prof. Shahab Yar Khan an, der im November zu Gast am Zentrum für Islamische Theologie Münster sein wird und anlässlich der Fachtagung mit dem Titel „Muhammad Iqbal – Grenzen und Grenzüberschreitungen. Philosophie und Religion im Widerstreit“ sprechen wird. Prof. Khan unterrichtet englische Literatur an der Philosophischen Fakultät der Universität Sarajevo und ist ein Kenner der Werke Muhammad Iqbals.
Neben diesen Besuchen erhielten die Studierenden die Möglichkeit, sich über die Geschichte des Landes zu informieren. So besuchte die Gruppe das Stadtmuseum Sarajevo, das Historische Museum über den Beginn des Ersten Weltkriegs und Schauplätze der längsten Belagerung einer Stadt in der Neuzeit während des Bosnienkrieges sowie historische Gebäude aus osmanischer Zeit und der österreichisch-ungarischen Ära.
In der Gazi Husrev Beg Bibliothek konnten sich die Studierenden über den reichhaltigen Bestand an Werken und Manuskripten informieren. Der kulturelle Reichtum der Bosniaken ergibt sich unter anderem aus dem Umstand, dass vier verschiedene Sprachen in als Literatursprache und Gelehrtensprache genutzt wurden: bosnisch, türkisch, arabisch und persisch. Daneben zeugen die verschiedenen genutzten Schriftsysteme Bosančica, kyrilisch, lateinisch und arabisch von den vielfältigen Einflüssen, denen die Gemeinschaft ausgesetzt war. Gemeinsam sah sich die Gruppe einen Film über die lebensgefährliche Bücherrettung während der Belagerung Sarajevos an. Neben dem Nationalmuseum war die Bibliothek während der Belagerung der Stadt eines der ersten Ziele der Aggressoren. Mitarbeiter des Museums erklärten den Studierenden die aufwändigen Verfahren zur Erhaltung und Restaurierung des Bibliotheksbestandes.
Die Reisegruppe besuchte ebenfalls das nahegelegene Institut für die Islamische Tradition der Bosniaken. Die Leiterin des Insituts, Dr. Dževada Šuško, hielt einen aufschlussreichen Vortrag über die Geschichte Bosniens und der Bosniaken und beantwortete zahlreiche Fragen zu den Herausforderungen des interreligiösen Dialogs in Bosnien und den Charakteristika des gelebten Islams in Bosnien. Dr. Šuško erläuterte den Auftrag des Instituts und stellte exemplarisch das Projekt zur Aufarbeitung der Werke des bosnischen Gelehrten Hasan Kafi Pruščak (1544-1615) vor, an dem auch eine Studentin des Zentrums für Islamische Theologie Münster, Frau Esma Gruhonjic als Praktikantin beteiligt ist. Frau Dr. Šuško, Herr Hadzić und Herr Roters loteten in einem gemeinsamen Gespräch Möglichkeiten über eine vertiefte Kooperation mit Institutionen und Persönlichkeiten der Islamischen Gemeinschaft von Bosnien und Herzegowina aus.
Freundschaften wurden geknüpft, institutionelle Banden gestärkt. Die Studierenden sind inspiriert und ermutigt worden, ihr Ziel einer theologischen Reflexion ihres Glaubens in Europa weiterhin zu verfolgen. Die Erfahrung, die die älteste und größte autochthone muslimische Gemeinschaft in Europa gemacht hat ist beeindruckend, dies in vielfacher Hinsicht: ihr Engagement zur Erhaltung islamischer Traditionen in Europa ist ebenso von Bedeutung und Tragweite wie auch ihre Standhaftigkeit und Besonnenheit in der Begegnung mit der Tragödie der 1990er Jahre.
Das Zentrum für Islamische Theologie Münster möchte sich bei unseren Gastgebern in Bosnien bedanken, die diese Studienreise möglich und unvergesslich gemacht haben. Insbesondere gilt Herrn Mustafa Hadzić ein großer Dank für die Organisation der Reise.