„… aiuti celesti e humani“: Multiple Maßnahmen zur Bekämpfung der Pest in Rom 1656/57
Von Kunsthistorikerin Prof. Dr. Eva-Bettina Krems
Abb. 1-3: Louis Rouhier (Kupferstecher)
Im Frühjahr des Jahres 1656 brach die Pest in Rom aus. Die Epidemie hatte sich von Nordafrika Mitte des 17. Jahrhunderts nach Spanien und Südfrankreich ausgebreitet und bereits 1652 Sardinien erreicht, das damals zum Königreich Spanien gehörte. Trotz der Handelsbarrieren gegen die Insel wütete die Pest vier Jahre später, 1656, in Neapel, wo sie schätzungsweise 100.000 Menschen tötete, etwa ein Drittel der gesamten Bevölkerung. In Rom war man auf Getreidelieferungen aus Neapel angewiesen, daher wurde im Frühjahr 1656 sofort damit begonnen, an der Grenze zu patrouillieren und alle ankommenden Schiffe sorgfältig auf kranke Besatzungsmitglieder und Reisende hin zu untersuchen. Trotz dieser Vorsichtsmaßnahmen erkrankten im Mai mehrere Personen in Trastevere. Heute ist dieser römische Stadtteil auf der anderen Seite des Tibers bei Touristen besonders beliebt, damals war es ein heruntergekommenes Armenviertel mit katastrophalen hygienischen Zuständen, in denen die Pest ein leichtes Spiel hatte. Innerhalb weniger Tage traten neue Fälle auch im angrenzenden jüdischen Ghetto sowie in zahlreichen anderen Teilen der Stadt auf.
Trotz der problematischen Zustände gerade in den Armenvierteln hatte die Stadt, die laut Osterzählung von 1656 ca. 120.000 Einwohner aufwies, nur etwa zehntausend Todesfälle zu beklagen, die direkt auf die im August 1657 für besiegt erklärte Pest zurückzuführen waren. Diese Sterblichkeitsrate entspricht etwa nur der Hälfte der Quote beispielsweise in Neapel oder auch von London neun Jahre später, wo 80.000 Menschen bei einer Gesamtbevölkerung von 500.000 an der Pest starben. Vermutlich wurde die Mortalität in Rom zu niedrig angesetzt; dennoch kam die Heilige Stadt, bei aller Dramatik der absoluten Zahlen, einigermaßen glimpflich davon. Das Interessante an dieser Epidemie in Rom 1656/57 sind weniger die eigentlichen Maßnahmen, die sofort, mit großer Rigorosität und daher offenbar erfolgreich in die Wege geleitet wurden, denn diese unterschieden sich kaum von denjenigen, die bereits seit der großen Pest in der Mitte des 14. Jahrhunderts sukzessive in dem von Pestphasen immer wieder heimgesuchten Italien zu einem regelrechten Maßnahmenkatalog entwickelt und verfeinert worden waren: Lazarette wurden geschaffen, in die alle Infizierten notfalls mit Gewalt eingewiesen wurden. Stadttore wurden verriegelt. Aus Ländern, die von der Seuche befallen waren, wurde niemand in die Stadt eingelassen. Die Ärzte trugen Brille, Handschuhe und Maske. Häuser und ganze Stadtviertel wurden unter Quarantäne gestellt. Alle Materialien, die in Kontakt mit Infizierten gekommen waren, wurden desinfiziert (mit Essig und Räucherungen). Damit sind nur wenige der vielfältigen Vorkehrungen benannt, um die Epidemie einzudämmen.
Bemerkenswerterweise wurde seitens des Papstes auch das religiöse Leben stark eingeschränkt: Heilige Messen, Prozessionen, fromme Versammlungen und andere kirchliche Feierlichkeiten sowie Straßenpredigten wurden verboten. Private Formen der Andacht hingegen wurden mit Nachdruck gefördert: Beim Klang der großen Glocken sollten im privaten Raum bestimmte Gebete und das De profundis für die Pesttoten rezitiert werden, womit Ablässe gewährt wurden. Denn auch die gerade für das Seelenheil so wichtigen Totenmessen in den dafür vorgesehenen römischen Kirchen wurden untersagt. Stattdessen ließ der Papst für die Toten zahlreiche Messen unter Ausschluss des Laienvolkes zelebrieren.
Papst Alexander VII. trat bei diesen Maßnahmen als machtvoll handelnder Akteur auf, was durchaus ungewöhnlich war; er wählte damit eine andere Strategie in dieser bedrohlichen Situation als viele seiner Vorgänger, die jeweils sofort auf ihre Landsitze geflüchtet waren oder sich in den Schutz der innersten Gemächer des apostolischen Palastes begeben hatten. Papst Alexander VII., der erst seit einem Jahr im Amt war, blieb in Rom präsent und handelte als verantwortungsbewusster Landesherr, der sich nicht nur auf die himmlische Hilfe mittels religiöser Rituale verlassen wollte, sondern auch mit großer Vehemenz und mit Unterstützung eines schlagkräftigen Mitarbeiterstabs der sofort ins Leben gerufenen Congregazione di Sanità (Gesundheitskongregation) überaus moderne gesundheitspolitische Maßnahmen durchsetzte.
Darüber hinaus ist vor allem auch die mediale Dokumentation dieser Maßnahmen von besonderem Interesse: Die Pestepisode in Rom 1656/57 ist sogar eine der am besten dokumentierten Epidemien der Frühen Neuzeit. Nicht nur der heute so berühmte Stich des „Pestdoktors“ stammt aus diesem Jahr (Paul Fürst hat ihn in seinem Kupferstich mit dem Titel „Der Doctor Schnabel von Rom. Kleidung wider den Tod zu Rom. Anno 1656“, ergänzt um ein satirisches Gedicht, verbildlicht). Vielmehr gibt es zahlreiche bildmediale und textliche Publikationen über die Vorkehrungen und Maßnahmen, die nicht selten auch vom Landesherrn, Papst Alexander VII., initiiert und gesteuert wurden. Kaum einer der zahlreichen zeitgenössischen Texte kommt ohne panegyrische Hymnen auf die großen Errungenschaften des neuen Papstes im Kampf gegen die Pest aus, was auf sein eigenes bildpolitisches Engagement zurückzuführen ist: Sein konsequentes Handeln ließ Alexander VII. im Dienste eines veritablen Marketings auch in Stichen und Medaillen medial inszenieren.
Wohl singulär in diesem Zusammenhang ist eine Serie von drei ca. 40 x 50 cm großen Kupferstichen zu den „Ordini diligenze e ripari“ von Louis Rouhier, die bei dem erfolgreichen Drucker und Verleger Giovanni Giacomo de‘ Rossi 1657 erschienen ist und in ganz Europa – als bildlich festgehaltener Maßnahmenkatalog in epidemischen Krisen – berühmt wurde (Abb. 1-3). In vier bzw. fünf Bildstreifen übereinander, lesbar wie in einem Comic-Strip von oben nach unten, werden die Maßnahmen der vom Papst eingesetzten Gesundheitskongregation präsentiert, die aus acht Kardinälen (darunter der Bruder des Papstes, Mario Chigi) und 28 Kommissaren bestand, zwei für jeden Bezirk, jeder mit einer genau definierten Aufgabe.
Diese Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens reichten – so lässt es sich den Darstellungen entnehmen – von der Überwachung der Reinigung von Häusern und Einrichtungsgegenständen (Abb. 4) über den Schutz der Nichtinfizierten und der in Quarantäne Stehenden bis hin zur Versorgung mit Gütern und der Betreuung von Erkrankten und ihren Familien, ohne die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung notfalls mit Gewalt und die Beseitigung von Leichen mit Wagen und Booten zu vernachlässigen. Unterhalb der einzelnen Bildstreifen finden sich erklärende Texte mit Zahlen, die den einzelnen Akteuren, Handlungen und Gebäuden zugeordnet sind.
Die Stiche selbst sind dem Bruder des Papstes, Kardinal Mario Chigi, gewidmet, um seine besonderen Verdienste als Mitglied der Gesundheitskongregation zu würdigen. Deutlich überwiegen auf den Stichen, vor allem dem zweiten und dritten Stich der Serie, die minutiös geschilderten gesundheitspolitischen Maßnahmen. Jedoch hält die Inschrift auf dem ersten Stich unmissverständlich fest, dass Papst Alexander VII. die entscheidende, ja heilsbringende Figur war: Alle Vorkehrungen und Schutzmaßnahmen seien „CON UNIVERSAL BENEFICIO DALLA PATERNA PIETA DI NS PP ALESANDRO VII.“ und den (von ihm eingesetzten) Kardinälen der Gesundheitskongregation getroffen worden, „PER LIBERARE LA CITTA DI ROMA DAL CONTAGIO“. Die väterliche Barmherzigkeit „unseres“ Papstes, so die Aussage, habe zur Befreiung der Stadt von der Pest geführt. Alexander VII. selbst ist somit der Protagonist der Serie: Schon im ersten und größten Bildstreifen des ersten Stichs (Abb. 5) wird er gezeigt, wie er auf dem Hügel Gianicolo oberhalb des stark von der Pest heimgesuchten Stadtteils Trastevere, in einer Sänfte getragen, die zahlreich zu ihm strömenden Genesenen segnet. Hier wird zum Auftakt der Serie in gleichsam umgekehrter Reihenfolge das wundersame Resultat der Vorkehrungen und Maßnahmen mit großen Mengen Genesener inszeniert, die auf die Knie gesunken den päpstlichen Segen empfangen.
In dem Bildstreifen darunter ist der Papst erneut zu sehen (Abb. 6), diesmal sitzend in einer von Pferden getragenen Sedia gestatoria, begleitet von zahlreichen Soldaten: Er segnet hier, wie der Text erklärt, das Lazarett auf der Tiberinsel sowie den schon am 23. Juni 1656 mit einer Mauer abgeriegelten und von Soldaten bewachten Stadtteil Trastevere.
Eindrucksvoll werden in dem Bildstreifen darunter die Aktivitäten in der Nacht geschildert (Abb. 7): Links die nächtlichen Gebete im privaten Raum beim Läuten der Glocken, während rechts davon, überwacht von einem berittenen Kommissar, die Toten abtransportiert werden. In dieser Verbindung von hygienischen und polizeilichen Maßnahmen mit den „klassischen“ religiösen Beschwörungsformeln verdichtet sich das Gesamtkonzept im Kampf gegen die Pest, wie auch die Widmung auf dem unteren Abschnitt des ersten Stichs festhält: hier werden die „aiuti celesti … e … humani“ genannt, die himmlische und die menschliche Hilfe, die zur Rettung verholfen hätten. Diese multiple gesundheitspolitische Strategie erscheint auch aus heutiger Sicht äußerst angemessen für eine Stadt, die wirtschaftlich vor allem von den großen Pilgerströmen abhängig war: In normalen Zeiten kamen bis zu einer Million Pilger pro Jahr in die Heilige Stadt. Im historischen Rückblick drängt sich der Eindruck auf, dass die Pest mittelfristig kaum negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Prosperität der Stadt hatte, vielmehr sogar der entscheidende Impulsgeber war: Kurz nachdem die Epidemie abgeklungen war, vermochte es Papst Alexander VII. in seinem Pontifikat die Heilige Stadt zu neuer Blüte zu entfalten und zu einer der modernsten und prachtvollsten Städte des Barockzeitalters zu machen.