„Normative Kraft“
Historiker Prof. Dr. Lucian Hölscher über das Konzept der Konfession
Über das Konzept der Konfession hat der erste Inhaber der „Hans-Blumenberg-Gastprofessur“, Historiker Prof. Dr. Lucian Hölscher, am Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Uni Münster gesprochen. „Seine Bedeutung ist zutiefst ambivalent“, so der Wissenschaftler, „es steht sowohl für die säkulare Anerkennung des Gleichheitsanspruchs der Konfessionen im liberalen Verfassungsstaat als auch für den Absolutheitsanspruch religiöser Gruppen.“ Beide Ansprüche könnten kaum zusammen bestehen, sondern müssten „wechselseitig in der Schwebe“ gehalten werden. Die Religionsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland böte dafür zahlreiche Beispiele wie den konfessionellen Proporz innerhalb der politischen Parteien und staatlichen Institutionen oder die kontroversen Diskussionen auf Katholiken- und protestantischen Kirchentagen. Der Vortrag trug den Titel „Protestantische Frömmigkeitskultur in Deutschland. Das Konzept der Konfession“.
„Mit ‚Konfessionen’ werden in Deutschland nur die christlichen Kirchen, nicht aber der Islam oder das Judentum bezeichnet“, erläuterte der Wissenschaftler. Der Begriff „Konfession“ suggeriere dabei die Einheit religiöser Gruppen und ihre Unterscheidbarkeit von anderen religiösen Gruppen. Die beiden Großkirchen umfassten aber ein Meinungsspektrum, das sich nur wenig von dem der übrigen Bevölkerung unterscheide. „Die Identität der Kirche als konfessionelle Einheit wird heute auch dadurch unterlaufen, dass sie ihr Repräsentationsmonopol verliert“, so der Historiker. Das geschehe dort, wo sich Laien in Meinungsumfragen, zum Beispiel zur Sexualethik, öffentlich selbst artikulieren könnten. „Das wirft die Frage auf, ob wir überhaupt noch von ‚Konfession‘ im Sinne einheitlicher Bekenntnisse sprechen können und ob der Begriff als Beschreibungsinstrument noch taugt.“
„Das Konzept der Konfession als Instrument zur Unterscheidung religiöser Gruppen ist auf Deutschland beschränkt“, so der Historiker. In Europa gebe es verschiedene nationalsprachliche Konzepte, um zwischen religiösen Gruppen und Bekenntnissen zu unterscheiden. In vielen Ländern außerhalb von Europa fehle mit dem Akt der Taufe zudem der „elementare Baustein“ aller christlichen Religionsgemeinschaften, durch den die Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft manifest werde. Daher lehnt es der Historiker ab, die verschiedenen Konzepte wie die international vergleichende Religionssoziologie in Begriffen wie „Religionsgemeinschaft“, „denomination“ oder „religios group“ aufgehen zu lassen.
Konfessionelle Landschaften
„Für die Darstellung geographischer Unterschiede und historischer Veränderungen im Gefüge der Religionsgemeinschaften ist das Konzept jedoch unverzichtbar“, so der Wissenschaftler. So lasse sich nachweisen, dass sich Konfessionen mit der Zeit zu geographischen Blöcken zusammenschließen würden. „Konfessionelle Landschaften verhalten sich wie tektonische Erdplatten. Dort, wo sie aneinander reiben, entstehen neue religiöse Gemeinschaften wie die Neuapostolische Kirche und andere protestantische Sekten und Freikirchen. Sie treten mit dem Versprechen auf, die Differenzen zwischen den großen Konfessionen zu überbrücken, führen aber letztlich meist doch nur zur Bildung einer neuen religiösen Gemeinschaft“.
Kritisch würdigt Lucian Hölscher die Konfessionalisierungs-These der Frühneuzeitforschung. „Das Konzept der ‚Konfession‘ gibt es erst seit etwa 1800 und seine Anwendung auf das 16. und 17. Jahrhundert hat zu einem verzerrten Bild der Epoche geführt“, erläuterte der Historiker. Ihre Leistung habe aber darin bestanden, beide Konfessionen politisch und historiographisch gleich behandelt zu haben.
Normative Kraft
Auch heute entfalte das Konzept der Konfession noch normative Kraft. „Muslime sollen sich aus Sicht der deutschen Politik in Form christlicher Konfessionen organisieren, um Anerkennung als öffentlich-rechtliche Korporationen und damit als Partner staatlicher Institutionen zu finden“, so der Historiker. Eine andere Implikation sei das Recht von Religionsgemeinschaften zur Mitgestaltung der Zivilgesellschaft. All diese Forderungen seien im Konzept der ‚Konfession’ impliziert. „Grundbegriffe dürfen niemals nur deskriptiv neutral gebraucht werden, sondern enthalten normative Implikationen, die immer wieder auf den Prüfstand gestellt werden müssen“.
Die Vorträge der „Hans-Blumenberg-Gastprofessur“ sind dienstags von 18.15 bis 19.45 Uhr in Hörsaal F2 im Fürstenberghaus am Domplatz 20-22 in Münster zu hören – am Platz der öffentlichen Ringvorlesung des Exzellenzclusters „Religion und Politik“. Der Start der Ringvorlesung verschiebt sich damit im Sommersemester auf den 10. Mai 2016. Sie trägt den Titel „Religionspolitik heute. Problemfelder und Perspektiven in Deutschland“. (maz/ska)