„Religiöse Verfolgung hat bis heute nicht abgenommen“
Exzellenzcluster untersucht Verfolgung „um Gottes Willen“ vom Mittelalter bis heute
dienstags 18.15 bis 19.45 Uhr, Hörsaal F2 Fürstenberghaus am Domplatz 20-22
Die religiöse Verfolgung Andersgläubiger weltweit hat aus Historikersicht im Laufe der Geschichte nicht abgenommen. „Die Annahme, dass die säkulare Moderne die Verfolgung von Menschen um ihrer Religion willen überwunden habe, hat sich leider als Irrtum erwiesen“, sagte Historiker Prof. Dr. Wolfram Drews vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Universität Münster. Immer noch würden überall auf der Welt Menschen aus religiösen Gründen, ob vorgeschoben oder wahr, benachteiligt, vertrieben, getötet und ihre sakralen Stätten würden zerstört. Zahlreiche historische Fälle zeigten, dass sich fast jede Religionsgemeinschaft an der Verfolgung „um Gottes willen“ beteiligt habe. Der Forscher kündigte eine öffentliche Ringvorlesung zum Thema „Verfolgung um Gottes willen. Politisch-religiöse Konflikte in Vormoderne und Moderne“ an. Die Reihe des Exzellenzclusters und des neuen Centrums für Mittelalter- und Frühneuzeitforschung (CMF) beginnt am 9. April.
„Angehörige ein und derselben Religion konnten einmal Verfolger und ein anderes Mal Verfolgte sein“, erläuterte der Experte. Vorurteile über einen stets gewaltbereiten Islam oder den immer friedlichen Buddhismus ließen sich aus historischer Sicht nicht halten. Die Situation sei komplex: „Im Mittelalter führten zum Beispiel auch buddhistische Klöster Kriege.“ Und Christen hätten Andersgläubige verfolgt. „Heute sind sie die am meisten verfolgte Religionsgemeinschaft der Welt.“ Im Nahen Osten etwa, ihrem Ursprungsgebiet, würden sie stark bedrängt und verließen ihre Heimat. Bethlehem sei jüngst von einer mehrheitlich christlichen zu einer mehrheitlich muslimischen Stadt geworden. Zugleich höre man fast täglich von islamistischen Gewaltakten, die mit dem Willen Gottes begründet würden. „Die meisten Opfer der Attentate im Nahen Osten allerdings sind weder Christen noch westliche Soldaten, die dort stationiert sind, sondern wiederum Angehörige des Islams.“
Verfolgung „um Gottes willen“ vom Mittelalter bis zur Moderne
Die öffentliche Ringvorlesung geht der Diskriminierung und Verfolgung Andersgläubiger anhand zahlreicher Beispiele quer durch die mittelalterliche und neuzeitliche Geschichte nach. Die Themen reichen von der christlichen Häresiebekämpfung im Frühmittelalter und den Konfessionskonflikten der Frühneuzeit über den Kirchenkampf in der DDR bis zur Buddhistenverfolgung im kommunistischen Kambodscha und zur Christenverfolgung im Nahen Osten. „Die Vorträge wollen Vorannahmen hinterfragen und ein differenziertes Bild zeigen“, erläuterte Prof. Drews. Zu Wort kommen Geschichts- und Religionswissenschaftler, Soziologen, Theologen, Buchwissenschaftler, Romanisten und Byzantinisten. Die Vorträge sind dienstags von 18.15 bis 19.45 Uhr in Hörsaal F2, Domplatz 20-22, zu hören.
Die Gründe für religiöse Verfolgung liegen je nach historischer Situation ganz unterschiedlich, wie der Wissenschaftler ausführte. „In manchen Fällen wurde die Benachteiligung mit religiösen Argumenten gerechtfertigt – als sei sie von Gott angeordnet. In anderen Fällen diente sie der Verbreitung einer Religion – auch dann wurde eine göttliche Autorität als Grund für die Verfolgung angeführt.“ Für jeden historischen Einzelfall sei jedoch zu prüfen, ob die Religion nur Vorwand oder tieferer Grund der Verfolgung gewesen sei. „Oftmals spielten politische Motive mit hinein. Die Verfolgung Andersgläubiger war selten rein religiös motiviert.“ Oft hätten politische Regime Menschen wegen ihrer Religiosität verfolgt. „Die Nationalsozialisten stellten Priester und Ordensleute vor Gericht und deportierten einige von ihnen in Konzentrationslager.“ Als weitere Beispiele nannte Prof. Drews die Verfolgung von Buddhisten unter Pol Pot und der Roten Khmer in Kambodscha und die Christenverfolgung in der DDR.
Die Folgen religiöser Verfolgung lassen sich nach Aussage des Historikers heute oftmals an der Architektur ablesen: „In England veränderte die Zerstörung von Klöstern und Kirchen während der Reformation fast die gesamte architektonische Landschaft. Einige Abteien verfielen zu Ruinen, andere wurden zu Landsitzen und Schlössern umgebaut, Kirchenland wurde an Adlige verkauft.“ In Deutschland und Spanien seien Synagogen in Marienkirchen umgewandelt worden. In calvinistisch geprägten Regionen der Niederlande und Deutschlands hätten Kirchen während der Bilderstürme ihren gesamten mittelalterlichen Bilderschmuck verloren. „Beispiele aus der Moderne: Die Nationalsozialisten ließen Klöster schließen, die DDR-Oberen Kirchen sprengen, unter den Kommunisten in Kambodscha und China wurden Statuen, Tempel und Pagoden zerstört.“
Zum Schutz vor religiöser Verfolgung entwickelten Menschen ganz unterschiedliche Strategien, so Prof. Drews, je nach sozialer, politischer und ökonomischer Situation. „Konnte man entkommen oder in den Untergrund gehen? Ließ sich die eigene Identität verleugnen?“ Häufig sei „die Strategie einer scheinbaren Anpassung“ zu beobachten: „Man tat nach außen, als beuge man sich dem Willen der Verfolger, doch innerlich blieb man bei seiner bisherigen Überzeugung. Die Menschen wanderten in diesem Fall nicht aus, sondern gingen ins innere Exil. So etwas findet sich in jeder Religion.“ Welche Motive tatsächlich zur Annahme eines anderen Glaubens führten, sei für Historiker schwer zu überprüfen. Die Quellen gäben darauf kaum Hinweise. In manchen Fällen traten Religionsvertreter religiöser Verfolgung auch bewusst entgegen, wie der Mediävist betonte. „Bernhard von Clairvaux etwa, der zwar auch zum zweiten Kreuzzug aufgerufen hat, predigte offen gegen die damit in Zusammenhang stehende Judenverfolgung im Rheinland.“ (ska/vvm)
Programm
Sommersemester 2013
dienstags 18.15 bis 19.45 Uhr
Hörsaal F2 im Fürstenberghaus
Domplatz 20-22
48143 Münster